Essen. Shoppen wie in Wirtschaftswunder-Tagen. Schauspiel erinnert an die Glanzzeit der Einkaufsstadt Essen. Zuschauer wird zum Premiumkunden.

„Essen, die Einkaufsstadt“, so stand es viele Jahrzehnte in großen Lettern über dem Handelshof. Doch der Lockruf des Besonderen, das Versprechen, hier etwas zu bekommen, was es anderswo nicht gibt, funktioniert schon lange nicht mehr. Und auch der prägnante Schriftzug wurde nach 70 Jahren abgebaut und zunächst durch „Folkwangstadt“ ersetzt. Was demnächst folgt, hat schon für viele Debatten gesorgt. Was einmal war, holt das Schauspiel Essen dieser Tage mit einer außergewöhnlichen Theater-Installation zurück.

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„Einkaufsstadt, 4300“ ist der Titel der herrlich nostalgisch gefärbten Zeitreise und steht für die - damals noch vierstellige - Postleitzahl, die Essen bis 1993 hatte. Die Arbeit des Theaterkollektivs ACE blickt aber viel weiter zurück in die 1960er Jahre, als die Zeit des Wirtschaftswunders die Konsumlust der Menschen beflügelte. Wer sie noch einmal erleben will, kann das nun am Kopstadtplatz tun.

Geschwungene Tütenlampen, gediegenes Holzinterieur: Eine Mode-Boutique wie aus der Zeit des Wirtschaftswunders empfängt das Publikum am Kopstadtplatz.
Geschwungene Tütenlampen, gediegenes Holzinterieur: Eine Mode-Boutique wie aus der Zeit des Wirtschaftswunders empfängt das Publikum am Kopstadtplatz. © Essen | Fabian Stransky

Geschwungene Tütenlampen, gediegenes Holzinterieur und ein geschniegelter Fachverkäufer in Anzug und Krawatte: Wer das liebevoll nachgebaute Ladenlokal am Kopstadtplatz 12 betritt, ist schon mittendrin in der guten alten Zeit, als der Kunde buchstäblich noch König war. Oder Königin. Wer die gediegene Modeboutique betritt, der wird jedenfalls nicht nur begrüßt, sondern geradezu feierlich willkommen geheißen, aufs Sofa befördert und in einen Kunden von anno dunnemals verwandelt. Damit ist jeder Besucher selber Teil eines Rollenspiels, dessen Szenerie mancher bestenfalls noch aus alten Schwarzweiß-Filmen kennen mag.

Mehr Infos zur „Einkaufsstadt, 4300“

Die Installation „Einkaufsstadt, 4300“ ist bis zum 5. April an ausgewählten Tagen am Kopstadtplatz 12 zu erleben. An den Vorstellungstagen stehen jeweils fünf Zeitfenster zur Auswahl. Werktags liegen die Termine zwischen 15.30 und 20.45 Uhr. An Samstagen wird zwischen 12.30 und 17.45 Uhr gespielt.

Besucher können ein exklusives Einzelticket oder ein Zweierticket für den Besuch in Begleitung buchen. Der Einlass kostet 17 Euro pro Person. Die Tickets können nur im Vorverkauf an den bekannten Vorverkaufsstellen, Ticket-Center II. Hagen 2 und Aalto-Theater, Opernplatz sowie über die Tickethotline unter Tel. 0201-8122-200 gebucht werden. Es gibt keinen Onlineverkauf und keinen Kartenverkauf am Spielort.

Rund 45 Minuten dauert die Zeitreise, die man entweder ganz allein oder in Begleitung buchen kann. Bis zum 5. April laufen die Performances, an den Spieltagen werden jeweils fünf Termine angesetzt. Das Angebot ist so exklusiv, dass am Ende - nur - etwa 150 Besucherinnen und Besucher in den Genuss dieses außergewöhnlichen Theaterprojektes kommen, das Ton und Design der Zeit aufs Schönste trifft.

Mannequins in Pumps und Petticoat

Wer mag, kann zur Begrüßung ein Schlückchen Schaumwein trinken, und sich vom emsigen Ladeninhaber über die neuesten Trends aus Paris und Mailand informieren lassen, bevor später auch noch Maß genommen wird. Und dann schreiten die Mannequins auch schon für den erlauchten Kunden die Wendeltreppe herab. In Essen werden sie zum Teil auch von Mitgliedern des Schauspiel-Ensembles verkörpert, die mit Pumps und Petticoat, Fliege und Smoking in die Modewelt von damals eintauchen. Wechselweise anmoderiert von den drei Schauspielern Alexey Ekimov, Christopher Heisler und im hier beschriebenen Fall von Mathias Znidarec, der so entzückt von Taschenapplikationen und Saumlängen spricht, den Schick von Karomustern und Plisseefalten und den Vorteil von Empire-Oberteilen so schwärmend erklärt, dass man sofort in diese Couture-Träume aus Garbadine und Chiffon schlüpfen möchten

Mannequins im Einsatz: Für die Performance schlüpfen auch Schauspieler in Pumps und Petticoat, Smoking und Fliege.
Mannequins im Einsatz: Für die Performance schlüpfen auch Schauspieler in Pumps und Petticoat, Smoking und Fliege. © fabian.stransky | Fabian Stransky

Im Vorfeld haben das ACE-Team um Alia Luque (Regie), Christoph Rufer (Bühne) und Ellen Hofmann (Kostüme) dafür nicht nur im Theaterfundus und in Vintageläden gestöbert, sondern und auch mit Zeitzeugen gesprochen. Und dabei Überraschendes erfahren. So sei der Montag früher einmal der umsatzstärkste Tag der Woche gewesen, berichtet ein Kenner. Weil die Menschen am Wochenende zum Schaufensterbummel in die City geströmt seien. Und tags darauf nicht ins Internet, sondern in die Innenstadt gegangen sind, um die Waren ihrer Wahl zu erstehen.

Anziehungspunkt Einkaufsmeile: Ein Blick auf die Limbecker Straße, Mai 1966.
Anziehungspunkt Einkaufsmeile: Ein Blick auf die Limbecker Straße, Mai 1966. © © Foto: Fotoarchiv RuhrMuseum, Fritz-Schupp-Allee 15, 45141 Essen, Fotoarchiv@ruhrmuseum.de; Nutzung nur mit schriftlicher Genehmigung des RuhrMuseums Use only with the written permission of the Ruhr Museum | Peter Happel

In der Essener City wirkt die nachgebaute Modeboutique dabei heute wie ein vom Himmel gefallener, schillernder Meteorit zwischen Ein-Euro-Shops und Textil-Grossisten. Man habe mit „Einkaufsstadt, 4300“ auch einen Beitrag zur Belebung und Verschönerung der City leisten wollen, erzählt Theater-Dramaturgin Katharina Rösch. „Wir haben lange nach einem geeigneten Ladenlokal gesucht.“ Leerstände gibt es eigentlich genug. Dass die noble Theater-Adresse nun doch etwas abseits am Kopstadtplatz liegt, habe auch daran gelegen, dass die Verhandlungen mit Immobilienfirmen und der Stadt Essen aus unterschiedlichen Gründen nicht zum Ergebnis geführt hätten, berichtet Rösch. Gleichwohl spielt man an historischer Stätte. Die nachgebaute Modeboutique, mittlerweile ein Kunstort, war früher auch einmal ein Ladenlokal. Am Kopstadtplatz 10 war lange Zeit auch das Bekleidungs-Kaufhaus Overbeck & Weller beheimatet, später bekannt als „Schossau-Haus“.

Ein Blickfang: Am Kopstadtplatz 12 öffnet bis Anfang April die Mode-Boutique auf Zeit.
Ein Blickfang: Am Kopstadtplatz 12 öffnet bis Anfang April die Mode-Boutique auf Zeit. © fabian.stransky | Fabian Stransky

Wer kein aktiver Teil der Einkaufsstadt-Performance werden will, hat übrigens auch die Gelegenheit, dem Spektakel als Zaungast zuzuschauen. Für die musikalische Einstimmung hat das ACE-Kollektiv sogar einen eigenen Soundtrack zusammengestellt - mit Titeln der Zeit von Caterina Valente bis Conny Froboess, die man sich als Playlist aufs Handy laden kann. Begleitet von Gerhard Wendlands „Tanze mit mir in den Morgen“ kann man dann das tun, was in den 1960ern auch noch in Mode war - sich einfach mal wieder am Schaufenster die Nase plattdrücken.

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