Essen-Rellinghausen. Eine Essenerin hat ein Start-up gegründet, das gezielt Unternehmen in Frauenhand fördert. Warum sie Männer absichtlich ausschließt.
Die Essenerin Catherine Lieberei hat ein Unternehmen gegründet, das Männer kategorisch ausschließt: Das Start-up „In Frauenhand“, das die 44-Jährige seit Anfang des Jahres aufbaut, unterstützt Unternehmen von Frauen.
Lieberei hat eine Website (www.infrauenhand.com) kreiert, die am 6. November mit einer großen Party vorgestellt und ab dem 10. November online vorzufinden sein wird. In dem Online-Portal finden Verbraucher und Verbraucherinnen eine Übersicht über Unternehmen, die sich in Frauenhand befinden – und können so gezielt dort einkaufen.
Catherine Liebereis Büro in Essen-Rellinghausen am Riesweg 79 ist stilvoll eingerichtet und bunt dekoriert. Ein Sofa, ein paar Schränke und ein Schreibtisch aus weißem Holz finden darin Platz. Am Fenster lehnen vier kleine Postkarten in Lila, Grün und Rosa, auf denen „I believe in women“ (Ich glaube an Frauen) „I buy woman made“ (Ich kaufe Frauengemachtes) und „join women“ (Schließe dich Frauen an) steht.
Essenerin möchte mit Start-up Unternehmen von Frauen unterstützen
Die Geschäftsidee der 44-Jährigen funktioniert so: Das Unternehmen verteilt das Siegel „In Frauenhand“ – ähnlich wie ein „Fair Trade“-Siegel soll die Auszeichnung den Unternehmen helfen, potenziell mehr Kunden zu gewinnen. Dafür müssen an dem Siegel interessierte Unternehmen sich einem Zertifizierungsprozess unterziehen.
Dafür hat Lieberei einen Beirat gegründet, der die Unternehmen, die sich bewerben, genau unter die Lupe nimmt und nach bestimmten Kriterien bewertet. Diese Kriterien seien nicht wie beim „Fair Trade“-Siegel EU-weit festgelegt, sondern von ihrem Team eigens definiert worden. Das Hauptkriterium sei, dass die Unternehmen sich zu mindestens 51 Prozent im Eigentum von Frauen befinden. Das Gütesiegel „In Frauenhand“ können die Unternehmen dann auf ihrer eigenen Website präsentieren oder beispielsweise im stationären Einzelhandel auf dem Schaufenster anbringen.
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Inzwischen habe der Beirat schon 60 Unternehmen mit dem Gütesiegel zertifiziert – diese Firmen werden auf der Website aufgelistet sein, darunter die Kölner Marke „Badesofa“ sowie verschiedene Kosmetikmarken. Das Portal soll aber branchenübergreifend aufgebaut sein. Von der Website profitieren laut der Gründerin beide Seiten: Für die Unternehmen stellt die Website einen weiteren Vertriebsweg dar. Und Liebereis Unternehmen bekommt einen kleinen prozentualen Anteil der Einnahmen, wenn Kunden über das Portal auf die Unternehmen stoßen und etwas bestellen.
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Doch ist es heutzutage überhaupt nötig, eine Website speziell für Unternehmen von Frauen zu eröffnen – in einem Land, in dem alle von Gleichberechtigung sprechen? Dass Frauen in Deutschland noch lange nicht gleichberechtigt sind, sei Lieberei selbst erst aufgefallen, als sie vor neun Jahren Mutter wurde. Inzwischen hat sie zwei Kinder, einen neunjährigen Sohn und eine sechsjährige Tochter.
„Es wird erwartet, dass ich in Elternzeit gehe“, sagt sie. Wenn die Kinder krank seien, werde erwartet, dass sie zu Hause bleibe und sich kümmere. Außerdem sei ihr der sogenannte Gender-Pay-Gap aufgefallen: Ein Begriff, der aufzeigt, dass Frauen in Deutschland bei gleicher Arbeit und vergleichbarer Qualifikation durchschnittlich weniger Gehalt bekommen als ihre männlichen Kollegen: „Das sind einfach so viele Sachen, die mich vor allem als Mutter noch mehr beschäftigt haben“, sagt Lieberei.
Start-up für Frauen: Essenerin betreut Projekte in Entwicklungsländern
Also kündigte sie ihren Job bei einer Essener Firma. Dort hatte die Essenerin nach ihrem Studium zwölf Jahre lang in der Entwicklungsarbeit gearbeitet. Sie lebte in Tunesien, Madagaskar und Marokko und betreute dort Kampagnen im Bereich Landwirtschaft, Agrarwirtschaft und Erosionsschutz.
Immer wieder unterstützte sie auch Projekte speziell für Frauen: Auf Madagaskar habe sie zum Beispiel mit angesehen, wie Frauen in Lehmhütten vor dem offenen Feuer kochten. Viele dieser Frauen litten später an schweren Atemwegserkrankungen. Lieberei beriet die Frauen und klärte sie auf, um die Frauen dazu anzuregen, ein gesünderes Leben zu führen.
„Ich habe immer gesehen, dass Frauen gerade in Entwicklungsländern Schwierigkeiten haben: patriarchale Systeme, weniger Rechte, höhere Armut, Kindersterblichkeit, Müttersterblichkeit“, sagt Lieberei. Als sie wegen ihrer Kinder nicht mehr so viel reisen konnte, suchte sie nach einem Weg, Frauen auch in Deutschland zu unterstützen.
Essenerin will gezielt bei Unternehmen in Frauenhand einkaufen
Aus den USA kannte sie das Konzept, strategisch bei Unternehmen von Frauen einzukaufen. „Konsumenten haben mit ihren Kaufentscheidungen eine große Macht“, sagt sie. Sie wollte es Konsumenten ermöglichen, gezielt bei Unternehmen von Frauen einzukaufen: „Wenn man Eigentum hat, hat man die Möglichkeit, Finanzressourcen aufzubauen und sich finanziell zu verbessern“, sagt Lieberei. Auf diese Weise können Frauen mehr Einfluss bekommen und in der Wirtschaft eine wichtigere Rolle spielen.
Es sei aber gar nicht so leicht gewesen, herauszufinden, welche Unternehmen von Frauen auf die Beine gestellt wurden. Man könne im Handelsregister nachschauen, aber im Impressum ist in der Regel nur der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin aufzufinden. Daher die Idee, das Siegel einzuführen – so wird Konsumentinnen und Konsumenten mehr Transparenz geboten, wenn sie Unternehmen in Frauenhand unterstützen wollen.
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Auch die Finanzierung der Vision sei schwierig gewesen: Die Essenerin ging mit ihrer Idee zu „einer großen Essener Bank“ und fragte nach finanzieller Unterstützung: „Dort hat man mir gesagt, die Zielgruppe erscheint ihnen nicht groß genug“, sagt sie. „Wo ich mir denke, mehr als 50 Prozent der Menschen sind Frauen.“ Doch ihre Vision war zu groß, um sie scheitern zu lassen – also finanzierte Lieberei ihr Unternehmen selbst.
Die Vision der Gründerin: Eine paritätische Wirtschaftslandschaft, in der Frauen genauso viel Macht und Einfluss haben wie Männer. Denn Studien hätten gezeigt, dass Frauen in der Wirtschaft neue Perspektiven und Blickwinkel einbringen würden, ihr Geld oft mehr in die Gemeinschaft steckten als Männer. „Wenn du in ein Unternehmen von Frauen investierst, investierst du automatisch in eine diversere, nachhaltigere und innovativere Wirtschaft“, meint sie. Männer wolle sie dadurch nicht benachteiligen: „Es ist nichts gegen Männer Gerichtetes. Es ist Platz für alle“, sagt sie.
Essener Unternehmensverband: Frauenförderung bei Fachkräftemangel nicht notwendig
Laut Laura Barusch, Pressesprecherin des Essener Unternehmensverbands, ist Frauenförderung grundsätzlich wertvoll, aber inzwischen „überall angekommen“. Aufgrund des in Deutschland herrschenden Fachkräftemangels könnten Unternehmen es sich gar nicht mehr leisten, Frauen aufgrund ihres Geschlechts zu diskriminieren. „Die Unternehmen sind dankbar um jede gut qualifizierte Kraft, die sie bekommen können – ob es eine Frau ist, ob es ein Mann ist, ob es ein Angestellter mit Behinderung ist“, sagt Barusch.
Dass es den sogenannten Gender-Pay-Gap immer noch gebe, liege „oft in der Natur der Sache“. Verschiedene Faktoren seien für die Gehaltsunterschiede verantwortlich, unter anderem, in welchen Berufen Frauen und Männer arbeiteten, ob Frauen in Elternzeit gingen, ob sie mit reduzierten Stunden arbeiteten und vieles mehr. „Aber eigentlich kann es sich kein Unternehmen heutzutage leisten, Frauen bei gleicher Qualifikation schlechter zu bezahlen als Männer. Das gibt es eigentlich nicht mehr“, sagt Barusch.
Studie zu „Gründung durch Frauen“ in NRW wird aktuell durchgeführt
Außerdem halte der Essener Unternehmensverband es für schwierig, die Förderung bestimmter Unternehmen anhand einer Quote festzumachen. Interessant könne aber Cathy Liebereis Plan sein, das Portal branchenübergreifend zu gestalten und beispielsweise auch Handwerkerinnen auf der Website aufzunehmen.
Zu der Anzahl der Essener Unternehmen in Frauenhand kann weder die Industrie- und Handelskammer (IHK) noch der Essener Unternehmensverband Daten liefern. Die Handelskammern in NRW führen jedoch aktuell eine Studie durch zum Thema „Gründen und Nachfolgen durch Frauen in NRW“ – die Ergebnisse der Studie werden laut IHK Essen am 22. November veröffentlicht.
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