Essen. Während das Bistum Tabula rasa macht und die Statue von Kardinal Franz Hengsbach im Domhof entfernt, räumt Bischof Overbeck eigene Fehler ein.

Vier Tage sind die Missbrauchsvorwürfe gegen den 1991 verstorbenen Kardinal Franz Hengsbach bekannt, und die Welt im Bistum Essen steht kopf. Dies auch künstlerisch zu dokumentieren, indem man die Porträt-Statue im Domhof kurzerhand um 180 Grad dreht – das war dem Domkapitel dann aber wohl nicht genug der Distanzierung. In einer Sondersitzung am Freitag verwarf das Gremium eine entsprechende Idee der Künstlerin Silke Rehberg und beschloss: Das Kunstwerk kommt weg. Wohin auch immer.

In welch atemberaubenden Tempo eine Institution, die Fortschritte sonst gerne schon mal in Jahrhunderten misst, sich von der lange verklärten Lichtgestalt Hengsbach lossagt, das erzählt viel über die tiefe Enttäuschung und Verbitterung in den eigenen Reihen. Es war das Domkapitel, das dem verstorbenen ersten Bischof von Essen zu seinem 100. Geburtstag die Porträt-Statue widmete – mit üppig eingeworbenen Spendengeldern auch großer Wirtschaftsunternehmen im Ruhrgebiet. Und es ist das Domkapitel, das sich nun rigoros abwendet.

Domkapitel will einen Gedächtnisort für die Opfer sexuellen Missbrauchs schaffen

Sehr zur Enttäuschung der Bildhauerin, die bis zuletzt appelliert hatte, eine künstlerische Lösung zu suchen und nicht einmal mehr „der schlechten Tradition der Kirche“ zu folgen, indem man unbequeme Wahrheiten kurzerhand aus dem Weg schafft, aus den Augen, aus dem Sinn. So sehe doch, wunderte sich Silke Rehberg zuletzt im Gespräch mit dieser Redaktion, „kein Bewältigungsprozess“ aus.

Das Domkapitel und seine Aufgaben

Beim Domkapitel handelt es sich um eine Gemeinschaft von Priestern an einer katholischen Bischofskirche, die den Bischof in der Leitung und Verwaltung des Bistums unterstützt. Das Gremium verwaltet den Dombesitz, sorgt für seinen Erhalt und für die würdige Feier der Gottesdienste in der Bischofskirche.

Eine zentrale Aufgabe kommt auf das Domkapitel nach dem Amtsverzicht, der Versetzung oder dem Tod eines Bischofs („Sedisvakanz“) zu. Dann wählen die residierenden Domkapitulare einen Diözesanadministrator, der das Bistum bis zur Besitzergreifung durch den neuen Bischof leitet.

Außerdem hat das Domkapitel das Recht der Bischofswahl. Grundlage dafür ist der für das Bistum Essen nach wie vor gültige Vertrag zwischen dem Freistaat Preußen und dem Heiligen Stuhl („Preußen-Konkordat“) von 1929.

Danach wählen die residierenden und nichtresidierenden Domkapitulare aus einer „Dreierliste“ des Heiligen Stuhls in freier und geheimer Abstimmung den Bischof. Das Domkapitel des Bistums Essen besteht aus 15 Personen: sechs „residierenden“ – also vor Ort tätigen – Domkapitularen, vier „nicht residierenden“ und vier Domvikaren. Den Vorsitz hat Dompropst Thomas Zander.

Das Domkapitel sieht das offenbar anders. In einer Mitteilung an die Medien, die nach dem Beschluss des Gremiums verbreitet wurde, heißt es: „Das Domkapitel am Hohen Dom zu Essen wird die Skulptur für Kardinal Franz Hengsbach auf dem Domhof alsbald entfernen lassen.“ Die Entscheidung der Domkapitulare sei einvernehmlich erfolgt.

Dompropst Thomas Zander kündigte nach der Sondersitzung an, dass sich das Domkapitel dafür ausgesprochen habe, anstelle der Skulptur für den ersten Essener Bischof einen Gedächtnisort für die Opfer sexuellen Missbrauchs schaffen zu wollen. Man werde deshalb zeitnah das Gespräch mit dem Betroffenenbeirat suchen und klären, ob und wie man ein solches Projekt auf den Weg bringen könne. Auch mit der Künstlerin der Hengsbach-Skulptur, so Zander, seien noch einige offene Fragen zu klären. Ebenso werde das Domkapitel mit den Sponsoren der Skulptur Kontakt aufnehmen.

Ruhrbischof wendet sich in einem Brief an die Gläubigen des Bistums

Derweil wendet sich der jetzige Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck in einem Brief an die Gläubigen des Bistums, bittet um Verständnis für den jetzigen Kurs der Abgrenzung und räumt gleichwohl auch eigene Versäumnisse ein. In dem Bischofswort, das am Sonntag in allen Gemeinden verlesen werden soll, betont Overbeck, er betrachte es aus heutiger Sicht als seinen „persönlichen Fehler“, nach einem ersten Missbrauchsverdacht gegen Hengsbach im Jahre 2011 nicht weiter nachgeforscht, sondern sich auf eine Bewertung aus Paderborn und Rom zu verlassen, dass die Anschuldigungen „nicht plausibel“ seien.

Stattdessen enthüllte der Bischof im Oktober 2011 noch die Hengsbach-Statue, deren Entfernung er nun ausdrücklich unterstützt: „lch denke heute viel darüber nach, warum ich bei all meinen damaligen Bemühungen, Missbrauch aufzuklaren, zu solchen Fehleinschätzungen gekommen bin, die dann auch zu Fehlern geführt haben.“ Gerade hinsichtlich der im Februar dieses Jahres veröffentlichten Aufarbeitungsstudie sei ihm deutlich geworden, nach den Standards damaliger Zeit gehandelt zu haben, „die sich aus heutiger Sicht als vollkommen ungenügend darstellen“.

Overbeck: „Ich bitte Sie alle um Entschuldigung für meine Fehler“

Gerade während der Amtszeit von Bischof Hengsbach, so verweist Overbeck auf eine jüngst vorgelegte Studie, habe es zahlreiche, schwerwiegende Missbrauchsfälle gegeben. „Betroffene wurden mit ihrem Leid überhaupt nicht gesehen. Missbrauchstäter dagegen wurden geschützt. Die jetzt im Raum stehenden Vorwürfe gehen noch weit darüber hinaus.“

Zur Demut, die die katholische Kirche zu lernen habe, gehöre deshalb auch die Zurückhaltung mit Denkmälern, die man für einzelne Menschen errichte. Eine bittere Lektion, auch für den Bischof, der sich in seinem Brief als „lernender Bischof“ bezeichnet: „lch bitte Sie alle um Entschuldigung für meine Fehler.“

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