An Rhein und Ruhr. Wissenschaftler eines Münchener Instituts wollen die zu MIssbrauch führenden Strukturen im Ruhrbistum offenlegen und Änderungen vorschlagen.

Das Bistum Essen möchte mit einer neuen Studie zum sexuellen Missbrauch die Verhaltensmuster und Strukturen aufdecken, die sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche begünstigt haben. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck spricht von einer „Tiefenbohrung“. Dazu hat das Ruhrbistum jetzt das renommierte Münchener Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) beauftragt, das in den kommenden zwei Jahren anhand ausgewählter Einzelfälle aufdecken soll, wie es Missbrauch und zu Schweigekartellen kommt.

Das Institut hat seine Erfahrungen in diesem Bereich unter anderem durch die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der Odenwaldschule und den Internaten des Klosters Ettal erworben. Das IPP erläuterte: Auch Missbrauchsopfer, die sich bislang nicht gemeldet haben, können an der Studie teilnehmen. Zudem ist geplant, dass auch Opfervertreter in den Begleitgremien zur Studie sitzen. (Kontaktdaten am Ende des Textes). Das IPP bekommt für die zweijährige Arbeit nach Angaben des Bistums rund 350.000 Euro.

Das IPP, versicherte Ruhrbischof Overbeck, ist dabei an keine Weisungen gebunden, zudem ist vertraglich gesichert, dass die Ergebnisse veröffentlicht werden. „Wir wollen verstehen und wir wollen verändern, um Missbrauch in Zukunft zu verhindern“, betonte Overbeck. Dazu gehört für das IPP auch, zu klären, „wie Bistumsverantwortliche mit Hinweisen auf sexualisierte Gewalt verfahren sind, wie mit Betroffenen umgegangen wurde und welche Auswirkungen die Taten für die Betroffenen hatten.“

Bischof Franz-Josef Overbeck mit der Soziologin Helga Dill und , dem Psychologen Gerhard Hackenschmied (v.r) vom IPP bei der Vorstellung des neuen Studienprojektes.
Bischof Franz-Josef Overbeck mit der Soziologin Helga Dill und , dem Psychologen Gerhard Hackenschmied (v.r) vom IPP bei der Vorstellung des neuen Studienprojektes. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

In weiteren Schritten gehe es darum zu analysieren, was in Gemeinden passiert, wenn Missbrauchsfälle öffentlich werden und wie sich Kirche organisatorisch aufstellen muss, um Missbrauchsmöglichkeiten zu minimieren.

Hintergrund: Bei einer von den deutschen Bischöfen im Jahr 2018 vorgestellten Studie zum sexuellen Missbrauch war im Bistum Essen von 85 Opfern und 60 beschuldigten Priestern seit Bistumsgründung ausgegangen worden. 19 Geistliche wurden verurteilt, sieben straf- und kirchenrechtlich, vier nur strafrechtlich und acht nur kirchenrechtlich. Im Jahr 2019 sind erneut drei Priester des sexuellen Missbrauchs beschuldigt worden, zwei sind allerdings bereits verstorben. In einem weiteren Fall läuft derzeit ein Verfahren, sowohl strafrechtlich wie kirchenrechtlich.

Zwölf weitere Betroffene haben sich mittlerweile beim Bistum gemeldet. Bischof Overbeck rechnet damit, dass sich im Rahmen der Studie weitere Opfer melden könnten, „die den Kontakt zum Bistum Essen als Täterorganisation gemieden haben.“ Für 41 Priester gab es in der Studie von 2018„ernstzunehmende Hinweise auf Missbrauchstaten“, so ein Bistumssprecher. Alle Beschuldigten zeigt das Bistum Essen bei der Staatsanwaltschaft an. Täter würden nicht mehr im pastoralen Dienst eingesetzt.

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Die IPP-Wissenschaftler hat nun den Auftrag, die Akten zu sichten und Gespräche führen - auch mit Tätern und Personalverantwortlichen. Daraus wolle man „möglichst konkrete Konsequenzen für die kirchliche Arbeit ziehen, um Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene künftig noch besser vor sexualisierter Gewalt schützen zu können“, heißt es beim Bistum Essen.

Missbrauch in der Kirche: Bistum Münster will Fälle vorstellen

Das Bistum hatte im Jahr 2011 bereits weitreichende Leitlinien für Priester und pädagogische Kräfte erlassen. 2012 wurden 1549 Personalakten von Priestern und Diakonen an eine Kölner Rechtsanwaltskanzlei zur juristischen Überprüfung gegeben. 41 Akten wurden an die Staatsanwaltschaft Essen übergeben.

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Mit der ehemaligen Schulleiterin Angelika von Schenk-Willms seit 2015 eine ehrenamtliche Missbrauchsbeauftragte. Sie gab an, im Schnitt mit knapp 30 Fällen pro Jahr befasst zu sein, von denen einige an andere Bistümer weitergeleitet wurden. Eine Meldung führte im Jahr 2018 zu einer Strafanzeige gegen einen Priester. Seit 2010 hat das Bistum (Stand 2019) rund 534.000 Euro an „Leistungen in Anerkennung des Leids“ gezahlt sowie rund 37.000 Euro Therapiekosten übernommen.

In der nächsten Woche wollen weitere Bistümer in NRW die Aufklärungsarbeit in ihrem Zuständigkeitsbereich vorstellen. Das Bistum Münster hat für kommenden Mittwoch zur Pressekonferenz geladen, das Erzbistum Köln will seine Ansätze tags drauf darlegen. In Münster befasst sich ein fünfköpfiges Historikerteam der Westfälischen Wilhelms-Universität mit den Fällen. Das Gremium arbeitet laut Generalvikar Klaus Winterkamp „maximal unabhängig“ und hat für seine zweieinhalbjährige Arbeit rund 1,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt bekommen.

Wie können Betroffene aus dem Bistum Essen an der Studie teilnehmen?

Interessierte Betroffene können sich per E-Mail an das IPP wenden: aufruf@ipp-muenchen.de. Bis zum 9. April ist dienstags von 15 bis 18 Uhr und donnerstags von 9 bis Uhr auch ein Anruf möglich unter 0151/457298 12. Menschen, die sexualisierte Gewalt erlitten haben und im Begleitgremium zur Studie mitarbeiten möchten, dem Wissenschaftler des IPP und Vertreter des Bistums angehören, können sich melden unter begleitgremium@ipp-münchen.de