Emmerich/Kreis Kleve. Seit 2013 haben im Kreis Kleve 26 Prozent der Apotheken geschlossen. Die Gründe für das Apotheken-Sterben erklärt der Emmericher Carsten Moser.

Bislang hatte man in Deutschland noch nicht den Eindruck, dass man sich Sorgen um die Finanzen von Apothekern machen müsste. Mit „Apotheker-Preisen“ verbindet der Volksmund ja eher ein ziemlich teures Produkt. Aber die Zeiten ändern sich. Und so müssen auch die Apotheker im Lande spitz rechnen. So spitz, dass viele mittlerweile den Betrieb sogar einstellen. Im Kreis Kleve haben in den vergangenen zehn Jahren 19 Apotheker aufgegeben – das ist ein Minus von gut 26 Prozent.

Viele Apotheker geben auf

Was ist also los in den Geschäften mit dem roten A? Warum sind die Bedingungen offenbar so schlecht, dass es sich nicht mehr lohnt, eine Apotheke zu betreiben? Die NRZ unterhielt sich mit Carsten Moser, der in Emmerich die Stern-Apotheke auf der Speelberger Straße führt. Moser ist einer vor vier Apothekern in der Stadt. Erst im Oktober hatte die Glocken-Apotheke in der Kaßstraße den Betrieb eingestellt.

Carsten Moser
Carsten Moser © NRZ-Archiv

Tja, wo anfangen? Carsten Moser kann viele Gründe benennen, warum es immer weniger Spaß mache eine Apotheke zu führen. Zwei Gründe stechen dabei hervor: Die Vergütung ist seit Jahren rückläufig und die Bürokratie nimmt seit Jahren zu. Die Kombination ist gravierend.

Seit 2004 wurden Honorare eingefroren

Moser erklärt, dass seit 2004 die Honorare für rezeptpflichtige Medikamente eingefroren wurden. Und diese Rezepte machten gut 84 Prozent der Einnahmen eines Apothekers aus. All die rezeptfreien Dinge und die üppigen ausliegenden Hustenbonbons etc. machten hingegen nur einen Bruchteil des Umsatzes aus. Apotheker seien nach wie vor auf den Verkauf von rezeptpflichtigen Medikamenten angewiesen.

Während sich die Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen seit 2004 sich fast verdoppelt hätten, seien die Apothekervergütungen im gleichen Zeitraum nur um 21,4 Prozent gestiegen. Netto bleibe aber nicht viel übrig, wenn man die Steigerung der Tariflöhne (plus 48 Prozent) und der Inflation (36,3 Prozent) gegenrechne. „Wir werden einerseits von den Krankenkassen beschnitten und andererseits wächst die Bürokratie ins Uferlose“, so Moser.

Die Bürokratie nimmt stetig zu

Beispiele gebe es auch dafür zu Hauff. So dürfe man als Apotheker keine Kompressionsstrümpfe anpassen oder Lanzetten (für die Blutgewinnung) abgeben, wenn man keine Behindertentoilette nachweisen könne. Grund sind die sogenannten Präqualifizierungen, die eigentlich mal einen guten Hintergrundgedanken hatten – nämlich die Wildwüchse in der freien Marktwirtschaft zu begrenzen –, aber zu einem Bürokratiemonster ausgewachsen sind. Wenn Moser eine Bandage anpassen möchte, dann muss er heute eine professionelle Werkbank vorhalten, wie man sie auch in einem Sanitätshaus vorfindet. Die Folge: „Viele Kollegen bieten schon gar keine medizinischen Hilfsmittel mehr an, weil sich das nicht mehr rechnet.“

Eigentlich müsste es den Apothekern richtig gut gehen. Denn die Nachfrage nach Medikamenten ist in einer alternden Gesellschaft hoch. Aber durch die Deckelung der Honorare sei es egal, ob ein Medikament zehn Euro kostet oder 100 Euro. Den Reibach machen andere.

Online-Apotheken sind nicht die große Gefahr

Die Online-Apotheken seien nicht die große Gefahr, da über sie nur ein Prozent der rezeptpflichtigen Medikamente abgewickelt werden. Auch die niederländischen Apotheken in der Grenzregion würden nicht den entscheidenden Faktor für die hiesige Apotheker-Misere bilden, da mittlerweile viele Produkte auch in Deutschland als Generika sehr günstig angeboten werden: „Dafür fährt dann keiner mehr nach Holland“, so Moser.

Die deutlich abnehmende Zahl der Apotheken im Kreis Kleve – es gibt jetzt kreisweit noch 53 – hat Folgen: Moser stellt eine Verdopplung der Wochenenddienste seit 2005 fest. Und die Notdienste seien extrem wichtig. Allein am ersten Weihnachtstag habe man 300 Kunden bedient, weil die Grippe- und Erkältungswelle zuschlug. Überhaupt sei die Funktion der Apotheken wichtig, wie man jetzt jüngst gesehen hat, als Fiebersäfte für Kinder ausgingen: „Deutschland ist ein Medikamenten-Billigland. Über 95 Prozent der Generika stammen von No-Name-Anbietern aus China oder Indien. Und selbst die teuren Markenprodukte werden nur zum Teil in Europa oder Amerika hergestellt“, so Moser.

Belastung der Mitarbeiter wird höher

Als die Fiebersäfte Mangelware waren, mussten ihn die Apotheker selbst anrühren. Moser hat mittlerweile Hunderte Fiebersäfte selbst gemacht, damit er seine Kunden bedienen kann. Ein selbstgerührter Fiebersaft kostet 23 Euro, ein Fertigprodukt fünf Euro. Der Apotheker kritisiert, dass die Krankenkassen auf der einen Seite sparen und auf der anderen Seiten das Geld raushauen: „Das ist linke Tasche, rechte Tasche.“

Eine Gefährdung der Medikamentenversorgung sieht Moser noch nicht. Gleichwohl: „Es wird natürlich alles enger. Wenn einer der Emmericher Kollegen ausfällt, dann ist das für die anderen direkt zu spüren“, so Moser. Vor allem seine Mitarbeiter merken das an der Arbeitsbelastung: „Und gute Mitarbeiter zu bekommen, ist das nächste Problem. Die gibt es nicht wie Sand am Meer.“