Emmerich/Rees. Der demografische Wandel flog als Thema lange etwas unter dem Radar. Diese Auswirkungen könnte er in Emmerich und Rees in Zukunft haben.
Spätestens seit Fridays for Future auf die Straßen gehen, um zu demonstrieren, ist der Klimawandel in aller Munde. Doch während man beim Klimawandel gegensteuern könnte, gibt es auch noch einen anderen Wandel, dem sich wesentlich weniger entgegenwirken lässt: dem demografischen Wandel.
Schon jetzt viele Rentner in Emmerich und Rees
In den kommenden Jahren gehen die geburtenstärksten Jahrgänge der deutschen Geschichte, besser bekannt als „Baby Boomer“, in den Ruhestand. Teilweise bis zu 1,3 Millionen Menschen pro Jahr. Doch unten kommen wesentlich weniger Menschen nach. Zwischen 2005 und 2013 verzeichnete man in Deutschland jedes Jahr weniger als 700.000 Geburten. Und auch wenn die Zahl in den vergangenen Jahren wieder etwas höher war, wird die Gesellschaft doch immer älter. Und das hat auch lokale Konsequenzen – auch in Emmerich und Rees.
Schon die aktuelle Bevölkerung in den beiden Kommunen spiegelt den demografischen Wandel wieder. Das Demografiekonzept des Kreises Kleve weist für beide Städte einen Anteil von Menschen über 65 Jahren aus, der um die 20 Prozent liegt. Und dieser dürfte weiter ansteigen. Für Rees prognostiziert das Demografiekonzept, dass im Jahr 2040 auf 100 erwerbstätige Personen 69 Menschen über 65 Jahren kommen werden, in Emmerich sogar 72 Senioren auf 100 erwerbstätige. Zudem wird für Rees ein Bevölkerungsrückgang von mehr als fünf Prozent prognostiziert.
„Rees ist keine Rentnerstadt“
„Rees ist keine Rentnerstadt“, sagt Christoph Gerwers, Bürgermeister von Rees, im Gespräch mit unserer Redaktion zu diesen Zahlen und Prognosen. Im Rathaus nimmt man eine Situation wahr, die eher das Gegenteil von dem zu verheißen scheint, was die Prognosen im Demografiekonzept sagen: Die Geburtenzahlen bleiben stabil, sind sogar teilweise angestiegen. Man plant gerade den Bau einer neuen Kindertagesstätte. Und zahlreiche, auch junge, Menschen, wollen gerne nach Rees ziehen. „Unsere Einwohnerzahl bleibt stabil. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Zahlen steigen, bei den zahlreichen Neubauten, die wir gerade schaffen“, erklärt Gerwers weiter. Rund 300 neue Wohnungen entstehen gerade im Stadtgebiet und bestehende Immobilien, die in den Verkauf kämen, wären nahezu sofort vergeben.
In der Verwaltung hat man den demografischen Wandel schon früh kommen sehen. „Als ich hier anfing hatten wir nur eine Auszubildende in der Verwaltung“, erzählt Gerwers. Deswegen hat man 2010 das Personalentwicklungskonzept für die Verwaltung aufgestellt und stellt seitdem mehr Auszubildende ein. Und was die Arbeit angeht, sieht man einen Mangel von jüngeren Menschen im Stadtgebiet dann doch. „Die Unternehmen in der Stadt haben fast alle Probleme, Nachwuchs zu finden“, sagt Christoph Gerwers.
Emmerich profitiert von Zuzug aus dem Ausland
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Für Emmerich sehen die Prognosen im Demografiekonzept des Kreises etwas besser aus. Was auch an einer positiven Bevölkerungsentwicklung in den vergangenen zehn Jahren liegt. „Der positive Saldo bei der Bevölkerungsentwicklung entstand vorwiegend durch die Arbeitsmigration aus Osteuropa“, erklärt Stadtsprecher Tim Terhorst. „2011 waren zum Beispiel 700 Menschen polnischer Nationalität mit Hauptwohnsitz in Emmerich gemeldet, 2021 waren es bereits 2800.“
Der Fachkräftemangel, den auch Christoph Gerwers beklagte, hat für die Emmericher Stadtverwaltung zumindest den positiven Effekt, dass immer mehr Menschen bei den zahlreichen Unternehmen in Emmerich eine Stelle finden könnten – und dann in die Stadt ziehen oder dort bleiben. „Die aktuelle in jüngerer Vergangenheit erfolgte stärkere Neubautätigkeit wird für weitere Zuzüge sorgen“, ist sich Stadtsprecher Tim Terhorst mit Blick auf Baugebiete wie das Kasernengelände oder die Klimaschutzsiedlung Zur alten Taufabrik außerdem sicher.
Herausforderungen für Emmerich und Rees unausweichlich
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Das klingt erstmal positiv und weniger nach großen Problemen. Gleichwohl ist man sich in beiden Kommunen der kommenden Herausforderungen durchaus bewusst. „Die Probleme durch den demografischen Wandel werden auf uns zukommen“, sagt der Reeser Bürgermeister Christoph Gerwers. Er sieht da besonders den Fachkräftemangel und die ärztliche Versorgung als Knackpunkte. „Ich denke aber, im Vergleich zu anderen Kommunen, sind wir da in Rees ganz gut aufgestellt“, sagt er. Für ihn ist es wichtig, den Menschen Perspektiven zu bieten und sich in Rees darum zu kümmern, dass die Wege kurz bleiben – zum Beispiel zur Nahversorgung. Andere Maßnahmen kämen jungen wie älteren Menschen zu Gute. Zum Beispiel barrierefreie Wohnungen. „Wo der Rollstuhl barrierefrei reinkommt, kommt auch der Kinderwagen rein“, sagt Gerwers dazu.
Auch in Emmerich sieht man Handlungsbedarf. „Wenngleich viele, auch im Demografiekonzept des Kreises genannte Faktoren nicht oder nur wenig auf der lokalen Ebene beeinflusst werden können“, schreibt Stadtsprecher Tim Terhorst. Rat, Ausschüsse und Verwaltung würden sich, so Terhorst, den Herausforderungen, bestenfalls im Dialog mit der Bürgerschaft, stellen. „Die Schwierigkeit wird sein, möglichst viel Demografiegerechtigkeit herzustellen“, erklärt der Stadtsprecher. Sprich: Man muss allen Altersgruppen der Bevölkerung gleichermaßen gerecht werden.
Das kann zum Beispiel bedeuten, dass man Senioren eine Alternative zum Eigenfamilienhaus mit wohnungsnaher Infrastruktur bietet, damit Familien die Häuser übernehmen können. Aber auch, dass man nicht nur auf Angebote für ältere Menschen schaut, sondern auch jüngere Menschen im Blick behält.
Oder, kurz gesagt: Es gibt für Verwaltungen und Politik noch sehr viel Arbeit zu leisten, um dem demografischen Wandel gerecht zu werden.
>> Die Zahlen zum demografischen Wandel
Prognosen gehen davon aus, dass 2060 in Deutschland zwischen 67 und 73 Millionen Menschen leben – also deutlich weniger, als heute noch. Jeder dritte Mensch im Land könnte dann älter als 65 Jahre sein.
Experten erwarten, dass vor allem im ländlichen Raum die Bevölkerung schrumpfen wird, während die Bevölkerung in größeren Städten eher zunehmen wird. In beiden Fällen ergeben sich hier Herausforderungen – wenn auch unterschiedliche.