Emmerich. US-Nachfahren von Emmericher Juden haben Gräber restaurieren lassen. Warum dies ein ungewöhnliches Vorhaben ist. Pro Kultur agierte als Mittler.

Im Judentum wird eine ganz andere Grabkultur gepflegt als im Christentum. Während die Christen ihre Gräber pflegen, oft mit frischen Blumen dekorieren, aber sie nach 25 Jahren meist aufgeben, bleiben jüdische Gräber ewig erhalten, aber sie werden sich selbst und der Zeit überlassen. Keine Pflege.

Auch auf dem Jüdischen Friedhof in Emmerich an der Wassenbergstraße sind einige sehr alte Gräber vorzufinden. Die meisten sind ziemlich verwittert. Diese Erfahrung, berichtet Irene Möllenbeck, Vorsitzende der Bürgeraktion Pro Kultur, hat auch die Familie Nathan aus den USA gemacht, Nachfahren der Juden, die einst in Emmerich lebten. Sie waren zuletzt für die Eröffnung des Jüdischen Kulturraums im PAN am 7. Juni 2019 in Emmerich.

Landesverband und Denkmalschutz wurden eingeschaltet

Wie immer besuchten sie auch diesmal den Jüdischen Friedhof, konnten aber kaum die richtigen Gräber finden, weil die Inschriften fast nicht zu entziffern waren. „Sie haben mit Papier und Bleistift Abdrucke gemacht, um sie zu entziffern“, verrät Möllenbeck. George Nathan , dessen Eltern Heinz und Sophie beide in Emmerich geboren wurden und vor den Nazis flüchteten, äußerte daraufhin den Wunsch, die Gräber seiner Urgroßeltern – Conrad (11. Januar 1845-4. April 1907) und Sebylla Nathan (26. August 18.42-12. März 1909) – restaurieren zu lassen. Er würde den Auftrag geben und dafür bezahlen.

So sah der Grabstein von Sebylla Nathan auf dem Jüdischen Friedhof in Emmerich vor der Restaurierung aus.
So sah der Grabstein von Sebylla Nathan auf dem Jüdischen Friedhof in Emmerich vor der Restaurierung aus. © Pro Kultur | Irene Möllenbeck

Vor dem Hintergrund der Grabkultur ist die Restaurierung eines „normalen“ Grabes eher ungewöhnlich. Bei bedeutenden Persönlichkeiten wird es schon mal gemacht. Außerdem steht der ganze Friedhof unter Denkmalschutz. Pro Kultur hat als Mittler für die Familie Nathan erstmal Kontakt zum Jüdischen Landesverband Nordrhein aufgenommen. Nach kurzer Bedenkzeit gab man dem ungewöhnlichen Ansinnen grünes Licht. Dann wandte sich Möllenbeck an die Untere Denkmalbehörde in Emmerich, die wiederum die Abstimmung mit der Oberen Denkmalbehörde suchte. „Nach eingehender Prüfung wurde die Restaurierung genehmigt.“

Steinmetz hat über 1000 jüdische Gräber restauriert

Der Jüdische Landesverband hatte seine Zustimmung an einen Verweis geknüpft. George Nathan möge doch Manfred Messing, Steinmetzmeister aus Kempen, beauftragen. Er ist ein ein Spezialist auf dem Gebiet. „Ich habe 2003 damit angefangen, als es ein Förderprogramm für die Restaurierung gab“, berichtet Messing. Er erstellte einen Masterplan, wie man sehr behutsam die Gräber reinigt und ihre Substanz erhält. Seither hat er über 1000 jüdischer Gräber restauriert.

Die beiden genannten Gräber in Emmerich hat Messing vor Ort mit weichen Bürsten und Spachteln vorsichtig vom Schmutz befreit und die Patina erhalten. Der Carrara-Marmor erstrahlen nun wieder in Weiß und die Inschriften sind lesbar. Irene Möllenbeck ist „begeistert“ vom Resultat und könnte sich gut vorstellen, weitere Gräber in Emmerich restaurieren zu lassen. „Wir müssen die Angehörigen dafür immer einbinden“, ergänzte Norbert Kohnen von Pro Kultur.

Sonderfall: Die zerbrochene Grabplatte von Sophie und David Salomon Nathan

Bei einem weiteren Grab ist das ebenfalls schon geschehen: Ein Cousin 3. Grades von George Nathan, John Rohe, Nachfahre von Arabella Nathan, der auch in den USA lebt, schloss sich an und erteilte einen Auftrag für die Restaurierung des Grab seiner Urgroßeltern – Sophie (13.10.1844-19.1.1922) und David Salomon Nathan (14.3.1840-23.1.1922). Allerdings ist dieser Fall anders gelagert. Die Grabplatte in einer Halterung ist zerbrochen und nur noch ein kleiner Teil als Fragment ist erhalten. Die Platte komplett zu erneuern wurde wegen des Denkmalschutzes nicht genehmigt. Aber die Alternative: Messing errichtete ein Duplikat als Bodenplatte vor dem Grab, auf dem die ganze Inschrift zu lesen ist. Diese hat Emmerichs bekannter Juden-Forscher Herbert Schüürman in einem Buch verewigt.

Irene Möllenbeck zeigt, wie der Grabstein von Sebylla Nathan nach der Restaurierung aussieht. Jetzt kann man die Inschriften wieder lesen.
Irene Möllenbeck zeigt, wie der Grabstein von Sebylla Nathan nach der Restaurierung aussieht. Jetzt kann man die Inschriften wieder lesen. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

George Nathan hat zu den Ereignissen in einem Brief geschrieben: „Ich bin stolz auf die Arbeiten von Herrn Messing und wir wissen, dass sie ohne die Unterstützung von Irene Möllenbeck und der Stadt Emmerich nicht möglich gewesen wären. Jetzt können zukünftige Nathan-Generationen stolz sowohl die Stadt besuchen, in der ihre Vorfahren geboren wurden, als auch ihre letzte Ruhestätte.“ Sobald die Corona-Lage es zulasse, werden die Amerikaner wieder Emmerich besuchen und sich das Resultat persönlich ansehen.

>> Führung über den Friedhof wird erarbeitet

Sonderfall am Grab von Sophie und David Salomon Nathan: Die zerbrochene Grabplatte oben in der Fassung steht unter Denkmalschutz und durfte nicht erneuert werden. Stattdessen durfte Steinmetz Manfred Messing ein Duplikat am Boden vor dem Grabstein errichten.
Sonderfall am Grab von Sophie und David Salomon Nathan: Die zerbrochene Grabplatte oben in der Fassung steht unter Denkmalschutz und durfte nicht erneuert werden. Stattdessen durfte Steinmetz Manfred Messing ein Duplikat am Boden vor dem Grabstein errichten. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

Für die künftige Pflege der Gräber sollen übrigens Schüler der Gesamtschule, hier der AG Stolpersteine, und des Förderzentrums Grunewald gewonnen werden.

Und noch was: Norbert Kohnen und Leni Wochnik sind gerade dabei, eine Führung für den Jüdischen Friedhof zu erarbeiten. Diese wird demnächst angeboten.

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