Duisburg/Düsseldorf. Im Landtag wurde diskutiert, ob die Messer-Attacke in Marxloh zu verhindern gewesen wäre. Bayerische Behörden und Duisburger Richter im Fokus.

Hätte der Messer-Angriff auf zwei Kinder in Duisburg-Marxloh verhindert werden können? Die Polizei Duisburg hatten den Beschuldigten 2023 als „Person mit Risikopotenzial“ erfasst, die Polizei in Straubing ermittelte ab dem 8. Januar wegen der öffentlichen Ankündigung eines Mordes gegen ihn. Aber erst am 29. Februar erreichte der Durchsuchungsbeschluss des Richters die Polizei Duisburg – nachdem der möglicherweise psychisch kranke 21-Jährige auf zwei Kinder (9/10) eingestochen hatte. SPD und FDP, die Oppositionsparteien im Düsseldorfer Landtag, sahen trotz des ausführlichen Berichts der Landesregierung (wir berichteten) „Ungereimtheiten“, und hatten für Dienstag kurzfristig eine Sondersitzung des Rechtsausschusses beantragt.

In dieser räumte Nils Bußee mit einer mutmaßlichen Ungereimtheit auf. Der Referatsleiter in der Abteilung Strafrechtspflege des Ministeriums von Justizminister Dr. Benjamin Limbach (Grüne) erörterte den Abgeordneten, warum es zwischen den Angaben der Behörden in Bayern und NRW nur scheinbar widersprüchlichen Angaben zur Übergabe der Akten auf dem Postweg gebe.

Messer-Angriff in Duisburg-Marxloh: Warum die Alarmglocken bei der Staatsanwaltschaft nicht schrillten

Die Akten zum Verdächtigen habe die Staatsanwaltschaft Regensburg tatsächlich mit dem Hinweis „EILT SEHR“ rechts oben auf der „Abgabeverfügung“ nach Duisburg geschickt. Dennoch sei auf dem „Deckblatt zur Übersendung“ der Akte für Wachtmeisterei und Poststelle der Staatsanwaltschaft Duisburg „keine besondere Eilbedürftigkeit zu erkennen“ gewesen. Denn ein „Hinweis auf Eilbedürftigkeit auf der Abgabeverfügung ist von außen nicht sichtbar“ – sondern nur beim genaueren Blick in der Akte, so Bußee. „Darum haben hier nicht die Alarmglocken geschrillt.“

Diese Erklärung für einen Teil der Verzögerung sei „juristisch nicht zu beanstanden“, aber auch „eine juristische Spitzfindigkeit, um sich der Verantwortung zu entziehen“, kritisierte der Abgeordnete Sven Wolf (SPD). Er sprach von einem „dramatischen Fall“, „der sehr verärgert, weil es schon 51 Tage vor der Tat Hinweise auf Gefährdung gab“. Gregor Golland (CDU) entgegnete, die Akte sei „erst am 15.2. in NRW aufgeschlagen“, ein nordrhein-westfälischer Richter habe diese „erstmals am 23.2. gesehen, also erst fünf statt 51 Tage vor der Tat“. Ein politisches Versagen liege ohnehin nicht vor.

E-Akte soll 2026 eingeführt werden, Erlass soll Richter sensibilisieren

Der Abgeordnete Dr. Werner Pfeil (FDP) meinte, es gehe mit Blick auf die lange Meldekette nun auch darum, über Möglichkeiten zur verbesserten Zusammenarbeit von Behörden verschiedener Bundesländer zu beraten. Etwas Hoffnung macht die E-Akte: Die elektronische Akte soll zum Jahresanfang 2026 eingeführt werden, sodass die Informationen zwischen den Justizbehörden auch länderübergreifend schneller ausgetauscht werden können, erläuterte ein IT-Experte der Ministerialbürokratie im Landtag. Die Staatsanwaltschaft Duisburg sei sogar eine Pilot-Behörde. Die umstrittene Akte sei jedoch nicht digitalisiert worden.

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Da Minister Limbach wegen der Kabinettssitzung der schwarz-grünen Landesregierung verhindert war, vertrat ihn Staatssekretärin Dr. Daniela Brückner. Sie sagte zur Aufarbeitung des Falls in NRW: „Wir prüfen, wie wir die Zusammenarbeit der Behörden verbessern und beschleunigen können.“ Das Ministerium habe in einem ersten Schritt versucht, die Gerichte mit einem Erlass vom 14. März zu sensibilisieren, damit Richter künftig im Zweifelsfall schneller den Austausch mit Staatsanwaltschaft und Polizei suchen sollen.

Die abgesperrte Dahlstraße am Tag des Messer-Angriffs.
Die abgesperrte Dahlstraße am Tag des Messer-Angriffs. © dpa | Christoph Reichwein

Dienstaufsichtsrechtliche Prüfung am Duisburger Gericht

Was FDP-Politiker Pfeil „stutzig“ mache: Der Präsident des Landgerichts hatte in seiner Stellungnahme ans Justizministerium berichtet, dass ein Wachtmeister dem Ermittlungsrichter den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchung der Wohnung („Sofort! Von Hand zu Hand“) und die Akte am Freitag, 23. Februar, vorgelegt habe. Weil sich dem Richter bei einer „ersten Durchsicht“ nicht sofort ergeben habe, dass der spätere Beschuldigte einen Mord öffentlich auf Instagram angekündigt hatte, habe er zweimal vergeblich versucht, die Staatsanwaltschaft anzurufen: am 23. Februar und am Montag, 26. Februar. Aber nach „nochmaliger Durchsicht“ an jenem Montag habe der Richter doch einen Screenshot mit der öffentlichen Mord-Ankündigung „entdeckt“ und den Durchsuchungsbeschluss erlassen. „Und warum ruft er statt der Staatsanwaltschaft nicht einfach die Polizei an“, fragte Sven Wolf (SPD).

Referatsleiter Nils Bußee verwies dazu auf die „umfassende dienstaufsichtsrechtliche Prüfung“ dieser Angelegenheit, deren Ergebnis abzuwarten sei. Der Präsident des Landgerichts, Ulf-Thomas Bender, habe in einem ersten Schritt „alle Beteiligten hinsichtlich des Umgangs mit Androhungen von Straftaten, insbesondere über Social-Media-Kanäle sensibilisiert“.

Staatsanwältin hatte die Polizei in Straubing angerufen

Duisburgs Leitende Oberstaatsanwältin, Dr. Karin Schwarz, habe ebenfalls „ihre Dezernentinnen und Dezernenten dafür sensibilisiert, künftig in Zweifelsfällen vorsorglich unmittelbar und unverzüglich auch die örtlich zuständige Polizeibehörde zu kontaktieren und erforderlichenfalls gemeinsam zu erörtern und abzuwägen, ob und welche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr […] parallel zu strafprozessualen Maßnahmen zu veranlassen seien“.

Bußee verteidigte wie die Oberstaatsanwältin das Vorgehen der Dezernentin der Staatsanwaltschaft. Diese habe die Akte am 20. Februar auf den Tisch bekommen, vier Strafverfahren gegen den Gefährder ausgewertet und den Antrag auf Durchsuchung mit Hinweis auf die Dringlichkeit am 22. Februar ins Amtsgericht bringen lassen. Zudem hatte die Staatsanwältin laut Bericht ihrer Vorgesetzten noch am 20. Februar sofort zum Telefon gegriffen und bei der Polizei in Straubing angerufen: Dort habe man ihr auf Nachfrage mitgeteilt, dass die Polizei dort „für – eilbedürftig zu treffende – Maßnahmen der Gefahrenabwehr“ keinen Anlass gesehen habe.

Mann attackiert Kinder in Marxloh

Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
Duisburg, 28.2.2024, kurz nach 12 Uhr: Die Polizei sperrt in Marxloh die Dahlstraße ab.
Duisburg, 28.2.2024, kurz nach 12 Uhr: Die Polizei sperrt in Marxloh die Dahlstraße ab. © WAZ | Semih Köse 
Duisburg, 28.2.2024, gegen 13 Uhr: Eltern warten vor der Grundschule an der Henriettenstraße auf ihre Kinder. Die beiden Opfer der Gewalttat hatten sich aufs Schulgelände gerettet.
Duisburg, 28.2.2024, gegen 13 Uhr: Eltern warten vor der Grundschule an der Henriettenstraße auf ihre Kinder. Die beiden Opfer der Gewalttat hatten sich aufs Schulgelände gerettet. © WAZ | Egemen Semih Köse
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
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Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | JUSTIN BROSCH
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh.
Duisburg, 28.2.2024: Zwei Polizisten am Tatort in Marxloh. © dpa | Christoph Reichwein
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Kinder erlitten Schnittverletzungen an Kopf und Händen

Bei der Messer-Attacke auf der Dahlstraße in Marxloh hatte der Täter am Mittwoch, 28. Februar, um 11.59 Uhr mit einem Messer heftig auf die Köpfe des neunjährigen Mädchens und des zehnjährigen Jungen eingestochen. Sie waren wohl Zufallsopfer. Sie konnten sich trotz Schnitt- und Stichverletzungen an Kopf und Händen in die nahe gelegene Grundschule Henriettenstraße flüchten, nachdem ein Passant (mit dem Wurf einer Taschenlampe) und der Vater des Beschuldigten diesen hatten stoppen können. Die Festnahme erfolgte laut Polizei um 12.06 Uhr.

Die Einsatzkräfte stellten neben der Tatwaffe und dem Handy des Mannes einen Hammer und ein weiteres Messer sicher, die bei der Tat wohl nicht verwendet worden waren. Der Beschuldigte saß seit dem 29. Februar in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: zweifacher versuchter Mord.

Durch die Ermittlungen ergaben sich laut Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte dafür, dass der 21-Jährige die Tat „zumindest im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit“ begangen haben könnte. Daher wurde der Untersuchungshaft- in einen Unterbringungsbefehl umgewandelt. Seit dem 12. März befindet sich der Mann darum in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer LVR-Klinik.

Die von dem 21-jährigen Mann schwer verletzten Kinder waren in die Grundschule Henriettenstraße zwei Straßen weiter geflüchtet.
Die von dem 21-jährigen Mann schwer verletzten Kinder waren in die Grundschule Henriettenstraße zwei Straßen weiter geflüchtet. © dpa | JUSTIN BROSCH