Duisburg. Ermittler sollen lange vor dem Messer-Angriff von Marxloh gewusst haben, dass der Beschuldigte gefährlich sein könnte. Bericht wirft Fragen auf.
Hätten die Strafverfolgungs- und Justizbehörden den Messer-Angriff auf zwei Kinder in Marxloh am 28. Februar verhindern können? Wenn sie nur etwas schneller reagiert und miteinander gesprochen hätten? Diese Fragen wirft zwangsläufig ein Bericht des nordrhein-westfälischen Justizministeriums zu der Gewalttat auf.
Aus der detailreichen Erörterung, die sich stellenweise wie eine Rechtfertigung langwieriger bürokratischer Vorgänge liest, geht hervor: Der verhaftete 21-Jährige soll lange vor der Tat einen Mord angekündigt haben – und ein Zeuge hatte dies bereits im Januar der Polizei gemeldet.
Insbesondere in Duisburg aber gab es zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Ermittlungsrichtern keinen direkten mündlichen Austausch zu dem bekannten Gefährder. Auch deshalb seien bei der Staatsanwaltschaft gegen den 21-Jährigen am 22. Februar zwar Maßnahmen zur Gefahrenabwehr eingeleitet – aber vor der Tat am 28. Februar nicht mehr umgesetzt worden. Ein Durchsuchungsbeschluss erreichte das Duisburger Polizeipräsidium erst am 29. Februar.
Messer-Attacke von Marxloh: Dienstaufsichtsrechliche Prüfung am Landgericht Duisburg
Der Bericht des Justizministers Benjamin Limbach (Grüne) für die Landesregierung wurde dem Rechtsausschuss des Landtags zu dessen Sitzung am Mittwoch vorgelegt. Zurzeit werde untersucht, ob es zum Beispiel wegen eines falsch eingetragenen Aktenzeichens und nicht mitgelieferter Unterlagen zu Verzögerungen beim Vorgehen gegen den Beschuldigten kam. Am Landgericht Duisburg läuft eine dienstaufsichtsrechtliche Prüfung.
Akte zum 21-Jährigen war fast einen Monat von Bayern nach Duisburg unterwegs
Aber der Reihe nach – diese Chronik des Austauschs zwischen den Behörden ergibt sich aus dem Bericht des Ministeriums:
Am 8. Januar habe sich ein Zeuge bei der Polizei in Straubing (Bayern) gemeldet. Ein Bekannter habe in einem privaten Chat Nachrichten von einem ihm nicht bekannten Kontakt erhalten, in denen der Fremde einen „Mordanschlag“ für September 2024 angekündigt habe. Dieser habe auch ein Foto von den späteren Tatwaffen (Messer und Hammer) geschickt. Geteilte YouTube-Videos legten zudem nahe, dass der Chat-Partner Serienmörder verherrliche.
Mann attackiert Kinder in Marxloh
Die Polizei in Straubing konnte den 21-jährigen Deutsch-Bulgaren aus Duisburg als „sehr wahrscheinlichen Urheber“ ermitteln. Sie schickte die Akten am 19. Januar der in ihrem Bezirk zuständigen Staatsanwaltschaft. Fast einen Monat lang waren die Unterlagen von dort nach Duisburg unterwegs.
Am 15. Februar seien die Akten bei der Staatsanwaltschaft Duisburg eingegangen, „wobei das den Akten beigefügte ,Deckblatt zur Übersendung‘ eine besondere Eilbedürftigkeit der Sache nicht habe erkennen lassen“, wie es im Bericht des Ministers heißt.
Gegen den Beschuldigten liefen vor dem Messer-Angriff vier Strafverfahren
Dennoch habe die Staatsanwaltschaft am 20. Februar ein Verfahren wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten gegen den nicht-vorbestraften 21-Jährigen eingeleitet. Eine „vertretungsweise zuständige Dezernentin“ habe „noch am selben Tag“, so steht es im Bericht, „fernmündlich Kontakt zur Polizei in Straubing aufgenommen“. Diese habe der Ermittlerin erklärt, dass die Polizei keinen Anlass gesehen habe, rasch Maßnahmen der Gefahrenabwehr umzusetzen.
Die Dezernentin habe im eigenen Haus noch am selben Tag Unterlagen zu vier weiteren Verfahren gegen den 21-Jährigen angefordert, um dessen Gefährlichkeit einschätzen zu können: Er war in vier Fällen wegen Gewaltdelikten im engeren Familienkreis angezeigt worden. Die Staatsanwältin entschied, mit Verfügung vom 22. Februar, beim Ermittlungsrichter am Amtsgericht Duisburg zweierlei zu beantragen: Die Polizei sollte die Wohnung der Mutter des Mannes durchsuchen, in der er gemeldet war, und dessen „Kommunikationsgeräte“ beschlagnahmen.
Staatsanwaltschaft: Wohnungsdurchsuchung sollte schnell erfolgen
Die Verfügung habe die Staatsanwältin mit dem Zusatz „Sofort! Von Hand zu Hand, Eingang bei Gericht heute bis spätestens 14 Uhr“ versehen. Die Staatsanwältin habe das Gericht zudem gebeten, gegebenenfalls „die Polizei Duisburg – Staatsschutz – unmittelbar fernmündlich zu informieren“, um die Vollstreckung zu beschleunigen.
Im Bericht des Justizministeriums folgt die Stellungnahme des Präsidenten des Duisburger Landgerichts Ulf-Thomas Bender:
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Der Antrag der Staatsanwaltschaft sei am 22. Februar um 14.30 Uhr beim Amtsgericht eingegangen, habe jedoch keine „Darstellung des Tatvorwurfs oder des Sachverhalts“ enthalten. Ein Wachtmeister habe dem „für den Buchstaben ,S‘ zuständigen Ermittlungsrichter“ das Verfahren am 23. Februar vorgelegt. Der Richter habe am selben Tag und am 26. Februar zweimal erfolglos telefonisch versucht, die Staatsanwaltschaft zu erreichen.
Beschuldigter kündigte Mord an Zufallsopfern auf Instagram an
Denn aus dem Akteninhalt habe sich ihm „bei der ersten Durchsicht nicht sofort“ ergeben, dass der 21-Jährige öffentlich gedroht hatte. Nach „nochmaliger Durchsicht“ der Akte habe der Richter jedoch einen Screenshot mit einem Instagram-Posting des 21-Jährigen gesehen. Der Inhalt: „... demnächst plane ich weitere Tödliche Verletzungen an irgendwelchen Dummen Randoms, diesmal lasse ich mich nicht erwischen“ [sic]. Daraufhin habe er den Durchsuchungsbeschluss erlassen. „Dass bereits ein konkreter Termin für die beabsichtigte Durchsuchung geplant war“, sei der Akte nicht zu entnehmen gewesen, so der Präsident.
Schnell und im direkten Austausch ging es allerdings auch danach weiterhin nicht voran: Die richterliche Verfügung sei am Dienstag, 27. Februar, um 7.18 Uhr von der Geschäftsstelle des Gerichts ausgeführt und an die Polizei versendet worden. Dort sei die Akte erst am 29. Februar eingegangen – also nach dem Messer-Angriff, bei dem die Kinder wohl nur durch Glück nicht lebensgefährlich verletzt worden waren.
Leitende Staatsanwältin sieht keine Fehler – Gerichtspräsident wartet Prüfung ab
Die Leitende Oberstaatsanwältin in Duisburg, Dr. Karin Schwarz, wird im Bericht mit der Kritik zitiert, den von ihrer Dezernentin erbetenen Anruf bei der Polizei habe das Amtsgericht nicht gemacht. Eine „Sachstandsanfrage“ der Dezernentin ans Gericht vom 28. Februar sei wohl durch ein „unzutreffend erfasstes Aktenzeichen des Amtsgerichts“ verzögert worden. Schwarz hält demnach die Entscheidung ihrer Dezernentin für „vertretbar“, während der Antragstellung beim Amtsgericht nicht gleichzeitig die Polizei Sofort-Maßnahmen zur Gefahrenabwehr prüfen zu lassen.
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Gerichtspräsident Ulf-Thomas Bender will vor einer abschließenden Bewertung des Vorgehens in seinem Landgericht das Ergebnis der „umfassenden dienstaufsichtsrechtlichen Prüfung“ abwarten. Diese sei noch nicht abgeschlossen.
Beschuldigter ist in psychiatrischer Klinik untergebracht – neue Details
Der Beschuldigte saß seit der Festnahme kurz nach der Tat am 28. Februar in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: zweifacher versuchter Mord. Durch die Ermittlungen ergaben sich laut Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte dafür, dass der 21-Jährige die Tat „zumindest im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit“ begangen haben könnte. Daher wurde der Untersuchungshaft- in einen Unterbringungsbefehl umgewandelt. Seit dem 12. März befindet sich der Mann darum in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer LVR-Klinik.
Bei der Messer-Attacke in Marxloh hatte der Täter – nach den neuesten Angaben der Ermittler für den Bericht der Landesregierung – um 11.59 Uhr „heftig“ auf die Köpfe des neunjährigen Mädchens und des zehnjährigen Jungen eingestochen. Die Kinder – offenbar Zufallsopfer – waren nach der Schule auf dem Heimweg gewesen und konnten sich in die Grundschule an der Henriettenstraße retten. Sie hatten keine lebensgefährlichen Verletzungen erlitten und das Krankenhaus binnen weniger Tage verlassen können (wir berichteten).
Der Angreifer war den Ermittlungen zufolge letztlich von seinem Vater gestoppt und entwaffnet worden. Der 69-Jährige habe seinen Sohn bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten. Zuvor hatte außerdem ein Augenzeuge eine Taschenlampe auf den Täter geworfen, damit dieser von den Kindern ablasse. Um 12.06 Uhr wurde der 21-Jährige am Tatort auf der Dahlstraße festgenommen. Neben dem bei der Tat verwendeten Messer stellten die Einsatzkräfte einen 28 Zentimeter langen Hammer und ein Messer mit einer zehn Zentimeter langen Klinge sicher. (mit dpa)