Duisburg. Im Prozess um den tödlichen Angriff auf seine Frau gesteht der angeklagte Skender A. die Tat. Was ihn, aus seiner Sicht, zu dem Femizid trieb.

Den fünften Prozesstag nutzt Skender A., seine Verteidiger für sich sprechen zu lassen und sich zu entschuldigen: „Es tut mir unendlich leid, ich bereue zutiefst.“ Vor der Schwurgerichtskammer im Landgericht Duisburg steht er wegen Mordverdachts: Er soll seine 19-jährige Ehefrau und sein im Buggy sitzendes Kind mit seinem Mercedes angefahren haben, danach soll er die am Boden liegende Alia getreten und geschlagen haben. Sie starb an ihren massiven Kopfverletzungen.

Eine halbe Stunde lang liest der Verteidiger vor, was Skender A. zu sagen hat. Es geht um seine schwierige Kindheit in einem Dorf in Serbien, den Umzug nach Deutschland 2009, das Leben in Asyl- und Flüchtlingsheimen auf engstem Raum mit der psychisch kranken Mutter und dem dominanten Vater. Diesem gegenüber sei er immer unterwürfig gewesen.

Gymnasium, Abitur, Studium: Doch dann lernt Skender A. Alia kennen

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen gelang ihm der Schritt aufs Gymnasium. Das Abitur. Die Aufnahme eines VWL-Studiums. Der Tod des Opas, eine Trennung und die Corona-Pandemie hätten dazu geführt, dass er das Studium schleifen ließ. Und am 14. Mai 2020 nahm die Tragödie ihren Lauf: Das Paar lernte sich übers Internet kennen.

Mit Alia sei er Tag und Nacht zusammen gewesen, sie seien abhängig voneinander gewesen, hätten sonst niemanden gehabt. Der Stief-Schwiegervater drogensüchtig, die Schwiegermutter überfordert.

Skender A.: selbst „pflegebedürftig“?

Nach einer ersten Schwangerschaft und Abtreibung sei sie immer wieder abgehauen und dann wiedergekommen, behauptet Skender A. In dieser Zeit habe er viel gebetet und sich dem Glauben intensiv zugewandt.

Die Geburt des gemeinsamen Sohnes im April 2022 habe ihn dann endgültig überfordert, er sei ja selbst „pflegebedürftig gewesen“. In Nachtschichten jobbte er bei einem Pizzadienst, versuchte dann die Selbstständigkeit. Seine Frau habe zugleich mehr Geld von ihm gefordert und mehr Zeit für die Familie.

Skender A.‘s Leben: eine befremdliche Heldenstory

Die aktenkundigen Vorwürfe häuslicher Gewalt relativiert er: Er habe sie einmal geschlagen, weil sie ihm einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf geschüttet habe. Ansonsten seien sie häufig auch wegen Bagatellen wie Popcorn süß oder salzig aneinandergeraten.

Skender A. blättert Seite für Seite mit, was sein Verteidiger vorliest. Es ist der Roman seines bisherigen Lebens, eine befremdliche Heldenstory eines Mannes, der sich „in einer ausweglosen Situation“ befunden habe, in einer Beziehung, die von großer Nähe und schnellen Trennungen geprägt gewesen sei. Seine Frau sei „kontrollsüchtig gewesen“, habe ihm keinen eigenen Account bei TikTok oder Instagram gestattet.

Skender A. wollte Pastor werden: „guter Kontakt zu Gott und Jesus“

Als sie wieder mal getrennt waren, habe er versucht, sich auf seine berufliche Karriere zu konzentrieren und andere Frauen über die Dating-App Azar kennenzulernen.

Anwalt Fin Habermann hat vor dem Schwurgericht Duisburg eine Erklärung seines Mandanten Skender A. verlesen, in der dieser erklärt, wie es zu dem Angriff auf seine Frau kam.
Anwalt Fin Habermann hat vor dem Schwurgericht Duisburg eine Erklärung seines Mandanten Skender A. verlesen, in der dieser erklärt, wie es zu dem Angriff auf seine Frau kam. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Akribisch beschreibt er die Tage vor dem tödlichen Exzess. Wer wann wie was gesagt, geschrieben, gemacht habe. Und dass ihm ein Freund empfahl, Pastor zu werden, „weil ich so gut reden kann und so gute Kontakte zu Gott und Jesus habe“. Der Verteidiger liest: „Ich war überwältigt von der Idee, sie fühlte sich gut an.“ Er habe darüber mit seiner Frau auch reden wollen, „weil sie in religiösen Dingen immer meine erste Ansprechpartnerin war“.

Skender A. tritt und schlägt seine Frau: „Da war ich wie im Tunnel“

Stattdessen eskalierte nach seiner Beschreibung dieses letzte Gespräch am Tag vor ihrem Tod mitten auf der Straße: Sie soll den Schlüssel des Mercedes aus dem Zündschloss gezogen und aus dem Auto geworfen haben. Dann habe sie seine Tasche mit Geld und Ausweispapieren genommen und gerufen: „Ich nehm‘ dir alles weg, ich mach’ dir das Leben zur Hölle“. Auch eine Ohrfeige soll sie ihm verpasst haben.

Der erste Impuls, sich das Leben zu nehmen, sei dem Gefühl gewichen, noch mal das Gespräch zu suchen, zu ihr zu fahren, seine Sachen zu holen. Und als er vor dem Garagenhof in Walsum, wo er sie trifft, aus dem Auto heraus „Verachtung in ihren Augen sah, hat es Klick im Kopf gemacht“. An seinen Sohn habe er dabei nicht eine Minute gedacht, als er Alia mehrfach tritt und schlägt, „da war ich wie im Tunnel“.

Psychiatrische Gutachterin: Keine Einschränkung der Schuldfähigkeit

Mit der psychiatrischen Gutachterin verweigert der Angeklagte ein Gespräch. Auf Basis seiner Einlassung und den Aussagen im Prozess erklärt die Gutachterin jedoch, dass kein Krankheitsbild zu erkennen sei, das eine Einschränkung der Schuldfähigkeit zulasse.

Skender A. schaut bei der Analyse starr nach vorne, wirkt wie versteinert. Er trägt ein blaues Sweatshirt, beige Cargohose. Dass sein Bein angestrengt wippt, sieht man nur beim Rausgehen während der zahlreichen Sitzungspausen. Gegenüber sitzt seine ehemalige Schwiegermutter, die angesichts des Gehörten den Kopf konsequent abwendet in Richtung Anwältin.

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Der Angeklagte sei „sicher nicht intelligenzgemindert“, so die Gutachterin. Der IQ liege „sicher im dreistelligen Bereich“, er sei „hochgradig eloquent“, rede ohne Akzent, Dialekt, habe trotz schwieriger Bedingungen in der Schule alles geschafft.

Täter Skender A. zeigt wohl narzisstische Tendenzen

Für die Diagnose psychischer Störungen sei die Datenlage zu dünn. Aber jenseits des verhandelten Delikts habe es keine Auffälligkeiten gegeben. Daher gehe sie davon aus, dass es sich um eine Persönlichkeitsstörung handele, um eine emotionale Instabilität, narzisstische Tendenzen.

Noch ist ungewiss, ob die Aufnahmen der Bodycams der Polizisten vom Tattag im Prozess gewertet werden dürfen. Sie wurden aber vor Gericht gezeigt. Hier sah man nach der Tat nach Einschätzung der Expertin einen konzentrierten Menschen, der die Kontrolle hatte, sich mit Beamten zu unterhalten und sich dabei deutlich abwertend über seine Frau äußerte.

„Hilfesuchende“ Selbstmordversuche von Skender A.?

In A.‘s Bericht ist häufig die Rede von durchwachten Nächten, großer Müdigkeit, dass er oft „wie in Trance“ gewesen sei. Dazu erklärt die Gutachterin, dass Schlafmangel von mehr als 48 Stunden dazu führen könne, dass die Leistungsfähigkeit reduziert ist, dass man beispielsweise Satzbaufehler macht. Eine nach außen sichtbare Übermüdung habe sie aber nicht feststellen können. Die behaupteten Selbstmordversuche von Skender A. vor der Tat und in Haft relativiert die Gutachterin, sie seien eher hilfesuchend gemeint, nicht ernsthaft.

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Ein Gedanke der Gutachterin bringt die Verteidigung noch mal in Wallung: Skender A. sagte, er habe bei der Tat die Schreie seines Kindes gehört. Das zeuge davon, dass er während der Tat nicht eingeengt wie im Affekt gehandelt habe, sondern dass er Aktionsspielraum gehabt habe.
Vor der Urteilsverkündung, die eigentlich für Mittwoch geplant ist, sollen nun noch mal zwei Zeugen und die Rechtsmedizinerin gehört werden, um diese Frage zu klären: Konnte das 17 Monate alte Kind nach all den lebensbedrohlichen Verletzungen überhaupt noch schreien?

>> SCHMERZENSGELD FÜR DAS VERLETZE KIND

  • Die Nebenklage-Vertreter haben im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens für den bald zweijährigen Jungen unter anderem Schmerzensgeld nicht unter 100.000 Euro und eine Hinterbliebenen-Rente gefordert.
  • Zur Begründung listeten die Anwälte die vielen Verletzungen des Kindes auf, an deren Folgen es ein Leben lang leiden werde.
  • Skender A. und seine drei Anwälte lehnten das Adhäsionsverfahren ab.
  • Das Gericht kann im Rahmen des Strafurteils über den Antrag entscheiden.