Duisburg. Mehr Frauen als Führungskräfte, mehr junge Menschen in der Politik: zum Internationalen Frauentag eine Abrechnung des Gleichstellungsausschusses.

Seit der letzten Kommunalwahl 2021 hat Duisburg einen eigenen Gleichstellungsausschuss. Die Vorsitzende Dr. Nazan Şirin findet, dass sich das Gremium bewährt hat. „Es lenkt mehr Aufmerksamkeit auf Chancengleichheit etwa im Beruf, es wird mehr hinterfragt.“

Dass in städtischen Ausschreibungen nach m/w/divers gesucht wird, reicht ihr nicht. „Das steht da, weil es Pflicht ist, nicht weil man davon überzeugt ist“, glaubt die Grünen-Politikerin.

Ihr ist wichtig, dass Gleichstellung nicht nur auf dem Papier stattfindet. „Die Politikerinnen und Politiker sollen die Menschen kennenlernen, über die sie entscheiden“, sagt Şirin. Deshalb lade sie Vertreter von Einrichtungen und Vereinen ein, die für Frauenrechte und mehr streiten.

Gleichstellung in Duisburg: Es braucht mehr weibliche Führungskräfte

Gleichstellung ist auch mehr als die Gendersternchen-Debatte. Nazan Şirin ärgert die Fokussierung auf Formulierungen, „es geht doch um viel mehr“. Sie selbst schreibt gern mit dem Binnen-I, in Reden nutzt sie die weibliche Form, achtet auf geschlechtergerechte Formulierungen.

Viel wichtiger ist ihr ein Mehr an weiblichen Führungskräften. Vor allem in der Stadtverwaltung und insbesondere in den städtischen Gesellschaften gelte nach wie vor die Regel: Je höher die Hierarchie, desto weniger Frauen. Das Verhältnis im Stadtkonzern sei durch den Weggang von Gebag-Prokuristin Sandra Altmann noch mal schlechter geworden.

Es müsse in die Köpfe der Entscheider, dass Leitungsfunktionen auch in Teilzeit, für Menschen mit Behinderung oder mit Migrationshintergrund möglich sind. Es fehle in der Stadt einerseits an Empowerment, also daran, Frauen an die Hand zu nehmen auf ihrem Karriereweg, aber es fehle auch an der Bereitschaft zur Flexibilität: „Führungsaufgaben kann man auch auf zwei halbe Stellen teilen“, ist sich die Zahnärztin sicher. Dazu gehöre auch, den Bestand intensiver zu fördern, „das ist alles keine Hexenkunst!“

„Ich kann Mutter sein, berufstätig sein und Politik machen“

Sie ist selbst ein Ausbund an Energie. Ihr Amt als Vorsitzende des Gleichstellungsausschusses trat sie 2021 hochschwanger an, mit kleinen Zwillingen daheim, die an diesem Tag zwei Jahre alt wurden. Aktuell arbeitet sie in der Rechtsmedizin und fertigt forensische zahnmedizinische Gutachten an. Perspektivisch möchte sie sich mit einer eigenen Praxis selbstständig machen.

„Ich kann Mutter sein, berufstätig sein und Politik machen“, betont sie. Ihr Leben zwischen Familie, Job und Rathaus gelinge nur „mit einem Partner auf Augenhöhe. Mein Mann steckt zurück, wenn ich politische Termine habe, er macht Minusstunden.“ Um das ehrenamtliche Engagement in der Politik zu vereinfachen, wäre eine Kinderbetreuung praktisch. Ratssitzungen beginnen um 15 Uhr und dauern oft viele Stunden, der Kindergarten schließt um 16.30 Uhr. Ihr Prüfantrag warte allerdings seit einem Jahr auf eine Antwort.

Im politischen Diskurs würden sich das viele so einfach vorstellen, aber „eine Kinderfrau oder ein Babysitter kann man nicht auf Abruf springen lassen“. Kürzlich musste sie die Bezirksvertretung wegen erkrankter Kinder absagen.

Die erste Sitzung des neu gegründeten Gleichstellungsausschusses tagte im September 2021 im Ratssaal.
Die erste Sitzung des neu gegründeten Gleichstellungsausschusses tagte im September 2021 im Ratssaal. © FUNKE Foto Services | Tanja Pickartz

Şirin: In der Politik muss mehr diskutiert werden

Besonders wütend machen sie Sitzungen, in denen Anträge von der Tagesordnung „ohne den Ansatz einer inhaltlichen Debatte“ fliegen. Da sitze sie schon mal „mit viel Wut im Bauch“. Diese Art von Politik behage ihr nicht, zu einer Entscheidung gehört für sie eine Diskussion.

Als konkretes Beispiel nennt Şirin den Versuch, die Frauenberatungsstelle personell besser aufzustellen. „Sie ist seit Jahren unterbesetzt, das wurde aber ohne Diskussion abgelehnt.“ Auch der Etat für das Gleichstellungsreferat sei im Vergleich mit Oberhausen winzig, wurde bislang aber nicht aufgestockt.

Şirin lässt sich davon nicht abschrecken. „Wir werden die Themen wieder auf die Tagesordnung setzen und die Kolleginnen einladen, damit sie von ihrer Arbeit berichten können.“ Oberhausen habe nur 200.000 Einwohner und vier Vollzeitstellen in der Frauenberatung, „in Duisburg sind es nur 2,5 für eine halbe Million Menschen, da muss ich schon schlucken“. Die Arbeit der Mitarbeiterinnen sei „großartig, sie betreuen so viele Mandantinnen“. Unmögliches wollte Şirin nicht, „ich hatte nur eine Aufstockung um 0,5 beantragt“.

Kommunalwahl 2025: Mehr junge Menschen in die Gremien?

Şirin ist seit 20 Jahren in der Politik, „ich steck’ da viel Kraft und Herzblut rein“, sagt sie. Mit 19 Jahren wurde sie jüngstes Mitglied der Bezirksvertretung Hamborn, 2007 rückte sie in den Rat der Stadt nach, musste für die Vereidigung kurzfristig von der Uni befreit werden. „Ich pendelte während der Prüfungen zwischen Duisburg und Düsseldorf.“

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Nach der Kommunalwahl 2025 könnte der Gleichstellungsausschuss je nach Ausgang zur Disposition stehen. „Das hieße ja, wir geben auf“, sagt Şirin. Dieses Signal dürfe auf keinen Fall gesendet werden. Die Politikerin hofft in der nächsten Legislaturperiode ohnehin auf mehr junge Menschen in den Gremien. Politiker älteren Semesters hätten zu vielem ein anderes Gefühl. „Sie glauben, es läuft alles, weil Menschen wie ich da stehen“, sagt Şirin. „‚Du meckerst auf hohem Niveau‘., sagen sie über meine Forderungen. Eine Frau soll sich aber nicht entscheiden müssen, ob sie Familie, Beruf oder Politik macht. Jeder und jede soll sich überall einbringen können.“

In ihr Amt musste sie sich selbst einarbeiten, Vorbilder gab es nicht. „Ich hab viel eigene Zeit investiert in Schulungen, es gab ja keine Vorgängerin, die mich mit Tipps versorgt hätte.“

Zum Internationalen Frauentag wird Şirin nicht müde, ihre Erwartungen zu formulieren: „Ich fordere einen Generationenwechsel in der Politik“, sagt die 39-Jährige. „Wenn manche Kollegen ehrlich mit sich wären, wüssten sie, dass es langsam Zeit wird.“ Auch sie sei kein junger Hase mehr, „U30 muss das Ziel sein“.

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>> FRAUENHÄUSER IM FOKUS DES GLEICHSTELLUNGSAUSSCHUSSES

  • Die Vorsitzende des Gleichstellungsausschusses, Dr. Nazan Şirin, will den Ausbau der Frauenhäuser politisch forcieren. Nach Gesprächen mit den Mitarbeiterinnen der beiden Frauenhäuser sei klar, dass größere Gebäude hermüssen.
  • Die Landesfördermittel stehen zur Verfügung, sagt Şirin. Sie sind aber an die Platzerhöhung gebunden. Dass dafür auch mehr Personal nötig ist, das nicht refinanziert wird, stellt die Stadt vor ein Dilemma.
  • „Der Personalschlüssel muss aufgestockt werden, da können wir als Politik fraktionsübergreifend eingreifen.“