Duisburg/Oberhausen/Düsseldorf. Die Messerattacke im Duisburger John Reed hat für Yasin fatale Folgen. Im Gericht trifft er auf den Angreifer und spricht über seine Gefühle.

Der Messerangreifer Maan D. (27) wollte ihn tot sehen. Er wollte, dass das Leben von Yasin Güler mit 21 Jahren endet. Doch der Oberhausener überlebte den Angriff im Duisburger John-Reed-Fitnessstudio. Am Montag hat Güler vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht über die verhängnisvolle Begegnung in dem bekannten Fitnessclub am 18. April gesprochen, über seine schweren Verletzungen und den harten Kampf zurück ins Leben.

Mutter Nicole Güler ist Yasins engste Vertraute. Sie kennt ihn besser als jeder andere, sie ist sein Halt. In den zweieinhalb Monaten, in denen Yasin in zwei Kliniken auf Intensivstationen mit dem Tod ringt, weicht sie ihm nicht von der Seite. Nachts schläft sie auf einem Stuhl in seinem Krankenhauszimmer, da ihr Sohn Panik bekommt, wenn er alleine ist.

Sie wusste, dass der dritte Verhandlungstag vor dem Staatsschutzsenat „sehr schwierig“ werden würde. Sie und sechs Freunde und Verwandte sitzen zur Unterstützung im Zuschauerraum, der wegen der besonderen Sicherheitsvorkehrungen in dem Terrorprozess durch Sicherheitsglas abgetrennt ist. Auch für den „engsten Kreis“ des jungen Oberhauseners sind es harte Momente, als die behandelnde Oberärztin aus der Düsseldorfer Uniklinik über die schweren Bauchverletzungen referiert. Schritt für Schritt schildert sie die fatalen Folgen für Darm und Niere, die der Stich mit der 20 Zentimeter langen Klinge hatte. Es wird öffentlich bekannt: Wegen einer Thrombose drohte auch eine Beinamputation.

Mit zehn Operationen retten die Mediziner Yasin das Leben – und seine Beine. „Ich habe vieles nur verschwommen wahrgenommen. Ich hatte ja viele Medikamente intus“, blick Yasin zurück. Heute kennt er alle Details und Fachbegriffe zu seinem aktuellen Gesundheitszustand – und auch zu den Risiken der Operationen, die hinter ihm liegen.

Messerattacke im Duisburger John Reed: So lebt Yasin (21) heute

Die Ärztin beschreibt auch den schwierigen psychischen Zustand ihres Patienten. Ein wesentlicher Teil davon sind die hartnäckigen Panikattacken. Yasins Freunde sagen in der Verhandlungspause, dass die Einzelheiten sie „schockieren“ und „bewegen“. Denn: Der Oberhausener zeige oft nicht, dass es ihm schlecht geht.

Vor und nach dem Messerangriff im Duisburger Fitnessstudio: Yasin Güler und seine Mutter Nicole.
Vor und nach dem Messerangriff im Duisburger Fitnessstudio: Yasin Güler und seine Mutter Nicole. © Privat | Privat

Und das, obwohl er über ein halbes Jahr nach dem Messerangriff weiter stark eingeschränkt ist. Seine Niere hat eine Funktionsfähigkeit von 15 Prozent. Das bedeutet: Yasin muss sich sehr vorsichtig ernähren, Obst und Gemüse sind tabu, Übelkeit und Erbrechen suchen ihn an schlechten Tagen immer noch heim.

Der 21-Jährige lebt derzeit noch mit einem künstlichen Darmausgang. „Das ist verbunden mit vielen Ängsten“, gibt er zu. Zum Beispiel mit der Sorge, der Beutel könnte sich lösen oder platzen. Dreimal die Woche muss der 21-Jährige für viereinhalb Stunden an ein Dialysegerät angeschlossen werden. Die Prozedur ist für den jungen Mann weiter lebenswichtig.

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Was hinzukommt: Sein Immunsystem ist weiter extrem geschwächt. Im Oktober fing er sich eine Lungenentzündung ein, musste wieder stationär im Krankenhaus behandelt werden.

Angriff im Fitnessstudio: Yasin Güler wollte helfen

Allein sein kann der früher so lebenslustige und sportliche Student immer noch nicht. „Ich brauche Menschen um mich, um mich sicher zu fühlen“, sagt er. Aber: Große Menschenansammlungen meide er ebenfalls. „Klingt paradox, ist aber so“, so der 21-Jährige. Immerhin: Kurze Fahrten mit dem Bus traue er sich mittlerweile wieder zu. „Es ist ein Balanceakt, das eigene Leben unter Kontrolle zu bekommen“, fasst er zusammen.

In dem Fitnessstudio in der Altstadt stach Maan D. auf vier Männer ein.
In dem Fitnessstudio in der Altstadt stach Maan D. auf vier Männer ein. © FUNKE Foto Services | Zoltan Leskovar

Die Aussage des Lehramtsstudenten für Geschichte und Germanistik ist von großer Klarheit gekennzeichnet. Er drückt sich sehr präzise aus, wählt seine Worte mit Bedacht.

Auch die Situation des Angriffs in dem Fitnessstudio in der Altstadt kann er genau beschreiben. Dort verletzt Maan D. im April vier Männer mit einem Messer, drei von ihnen lebensgefährlich. Yasin habe sich an jenem Nachmittag in der Herrenumkleide gerade das T-Shirt ausgezogen, als er einen Hilfeschrei aus der Dusche gehört habe. „Der ist einem direkt ins Mark gegangen“, erinnert Yasin sich.

Er will helfen und begegnet am Übergang zwischen Umkleide und Dusche Maan D., der ihm das Messer mit einem Aufschrei in die rechte Flanke rammt. „Ich habe das Gesicht und das Messer gesehen. Es hat alles nur zwei bis drei Sekunden gedauert. Realisiert habe ich das Ganze in dem Moment nicht“, erklärt der junge Mann. Er hält sich die Wunde verzweifelt mit den eigenen Händen zu, schleppt sich einige Meter und bricht dann zusammen. Es ist der Anfang eines langen Leidensweges.

Überraschender Satz über Maan D.

Ob die Schilderungen der leitenden Oberärztin und seines Opfers den angeklagten Maan D. überhaupt erreichen, ist an dessen Mimik im Gerichtssaal nicht abzulesen. Sein Blick ist die meiste Zeit auf den Boden gerichtet, ab und an schaut er verstohlen zu dem 21-Jährigen hinüber. Der Syrer hat den Angriff auf Yasin und drei weitere Besucher des Fitnesscenters bereits zugegeben. Er habe sie alle töten wollen – im Auftrag des IS und im Glauben an Allah. So wie er den 35 Jahre alten Irfan D. Tage zuvor in der Altstadt mit 28 Messerstichen getötet hatte.

Maan D. hat sich in dem Prozess deutlich zur Terrororganisation IS bekannt.
Maan D. hat sich in dem Prozess deutlich zur Terrororganisation IS bekannt. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Yasin Güler – der gläubige Christ – nennt Maan D. eine „verirrte Seele“. Er hoffe, dass der IS-Anhänger irgendwann realisiere, was er „für einen Mist gemacht“ habe. Dann sagt der junge Oberhausener einen überraschenden Satz: „Ich hege keinen Groll gegen ihn, ich habe ihm verziehen“.

Und wie geht es für ihn weiter? Im Januar muss sich Yasin einer weiteren Operation unterziehen. Dabei soll unter anderem seine Bauchdecke endlich geschlossen werden, die Lebensqualität soll so deutlich steigen. Sein Lehramtsstudium möchte der 21-Jährige „definitiv abschließen“. Er wisse, dass es nicht mehr so werde wie vor der Attacke. Aber er sagt auch: „Ich kämpfe mich zurück.“

>>Mit einem Urteil wird im Januar gerechnet

  • In dem Terrorprozess gegen Maan D. sind noch weitere 15 Verhandlungstage angesetzt, mit einem Urteil wird im Januar gerechnet.
  • Der 27 Jahre alte Syrer ist wegen Mordes, dreifachen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt.
  • Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, Anhänger der radikal-islamistischen Ideologie der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) zu sein. Zum IS hat er sich im bisherigen Prozessverlauf bereits mehrfach bekannt.

Artikel über die Messer-Angriffe von Maan D. in Duisburg:

Berichte bis Ende April:

Artikel, die vor dem Angriff im Fitnesscenter John Reed veröffentlicht wurden: