Duisburg/Oberhausen. Yasin (21) ringt nach der Messerattacke im Duisburger John Reed monatelang mit dem Tod. Jetzt spricht der Oberhausener über den Kampf ums Leben.

Das Taxi wird am Montagmittag wieder in der ruhigen Straße in Oberhausen-Lirich vorfahren, Yasin Güler abholen und ihn zur Dialyse bringen. Dort wird der 21-Jährige fünf Stunden an dem Gerät zur Blutwäsche hängen. Es ist für den jungen Mann eine lebenswichtige Prozedur. Sie wiederholt sich dreimal in der Woche. Immer montags, mittwochs und freitags. „Mein Leben hat sich total verändert, das ist in jeder Sekunde nicht zu übersehen“, sagt der Student. Es gibt für ihn das Leben vor dem 18. April 2023 und das danach. An diesem Tag in den Minuten nach 17 Uhr trifft Yasin im Duisburger John-Reed-Fitnesscenter auf Maan D. (26).

Als Yasin in der Dusche des hippen Fitnessclubs einem weiteren Opfer zur Hilfe eilt, rammt der junge Syrer ihm ein Messer in den Bauch. Für die Attacke in dem Fitnessstudio und den tödlichen Messerangriff auf einen 35-Jährigen an Ostern muss sich Maan D. ab Montag im Düsseldorfer Oberlandesgericht verantworten, an 18 Verhandlungstagen.

Nach Attacke im Duisburger John Reed musste Yasin zehnmal operiert werden

Deutlich mehr Tage, nämlich über 80, verbringt Yasin nach der Messerattacke in einer Düsseldorfer und einer Duisburger Klinik. Die meiste Zeit davon auf der Intensivstation. Zehnmal wird er operiert. Es ist ein langer und harter Kampf ums Überleben. „Nach der vierten OP ist mir bewusst geworden, dass ich noch lange nicht außer Lebensgefahr bin“, sagt er rückblickend.

Auch interessant

Die physischen Spuren der Tortur sind unzählige Narben auf dem Unterbauch und ein künstlicher Darmausgang. Treppensteigen fällt ihm weiter sehr schwer. Auf seine Ernährung muss Yasin penibel achten. Sein Immunsystem ist geschwächt.

Im Juli darf Yasin endlich nach Hause. Aber das Ringen ums Leben, um ein erfülltes Leben geht für ihn weiter. Der 21-Jährige denkt nicht daran aufzugeben. Er nennt es seine „zweite Chance“. „Yasin nimmt sein Schicksal an“, sagt seine Mutter Nicole Güler.

Sie ist Yasins Halt, sein „Engel“. Mit ihr zusammen lebt der Student in der Wohnsiedlung, in der sich alte Bergbauhäuschen und neuere Wohnhäuser aneinanderreihen. Die Arzthelferin ist täglich an seiner Seite.

Schon immer ein Team: Yasin und seine Mutter Nicole vor dem fatalen Angriff im April.
Schon immer ein Team: Yasin und seine Mutter Nicole vor dem fatalen Angriff im April. © privat

Gemeinsam stehen sie auch vor finanziellen Herausforderungen. Denn der Kampf um Gesundheit und Unabhängigkeit kostet Geld: Das kleine Bad in dem Einfamilienhaus muss umgebaut werden. „Ich kann mich ja nur sehr umständlich duschen“, erklärt Yasin. Er hofft außerdem auf ein mobiles Dialysegerät.

Die zahlreichen Hürden auf dem langen Weg haben die Ermittler der Duisburger Kripo zum Teil hautnah miterlebt. Sie wollen helfen, der Duisburger Bezirksverband des Bundes Deutscher Kriminalbeamter ruft eine Spendenaktion ins Leben. Die Anteilnahme ist groß. Über 75.000 Euro sind bislang zusammengekommen. Schon vor dem Start der Aktion gehen die Kriminalisten in Vorleistung, überweisen die Studiengebühr für das Wintersemester.

Yasin: Gerichtsurteil kann keine Wiedergutmachung für das Leid der Opfer bringen

Denn: Yasin möchte sein Studium an der Bochumer Ruhr-Universität fortsetzen. Lehrer möchte er werden. Deshalb studiert er Germanistik und Geschichte auf Lehramt, kämpft für seine Zukunft. Die wird aber von seiner Gesundheit bestimmt. Und von vielen Fragenzeichen.

Denn auch psychisch sind die Folgen der Attacke omnipräsent. Der einst lustige und lebensfrohe junge Mann hat Angstzustände und Alpträume. Er kann nicht mehr alleine schlafen.

Der Angriff in dem Fitnessstudio sorgte für einen massiven Polizeieinsatz.
Der Angriff in dem Fitnessstudio sorgte für einen massiven Polizeieinsatz. © FUNKE Foto Services | Zoltan Leskovar

Abschließen könne er mit der Vergangenheit aktuell nicht, gibt Yasin zu. Schließlich könne er beim Blick in den Spiegel nicht verbergen, was an dem verhängnisvollen Apriltag in dem Fitnessstudio passiert ist. Auch das Verhalten von Maan D. macht es ihm schwer. Denn der Messerangreifer schweigt beharrlich. Die Frage nach dem Warum bleibt. Bislang ist die Antwort für ihn diffus. Die Ermittler sind davon überzeugt, dass der Syrer mit der Ermordung möglichst vieler „Ungläubiger“ einen Beitrag zum weltweiten Dschihad leisten wollte – zum „Heiligen Krieg“ radikaler Islamisten. Die Opfer seien „Zufallsopfer“.

[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]

Ob Maan D. im Gerichtssaal endlich sprechen wird, ist offen. Für Yasin Güler ist schon vor Prozessbeginn klar: „Am Ende des Tages wird das, was er bekommt, niemals das wettmachen, was er uns allen angetan hat.“

>>> Beweislast gegen Maan D. ist erdrückend

  • Bei dem Messerangriff in der Herrendusche des John-Reed-Fitnessstudios werden am 18. April vier Männer (zum Tatzeitpunkt 21, 24, 24, 32 alt) zum Teil lebensgefährlich verletzt. Am schlimmsten von ihnen erwischt es Yasin Güler.
  • Er hörte Hilfeschreie und eilte aus der Umkleide in den Duschbereich. Dass Yasin die Attacke überhaupt überlebte, verdankt er wohl einer zufällig anwesenden Rettungssanitäterin, die seine Wunde am Unterbauch versorgt.
  • Dass es sich bei dem Täter um Maan D. handelt, daran gibt es keine Zweifel. An einem Schuh von ihm entdeckten Kriminaltechniker DNA-Spuren der Opfer. Außerdem erkannten die vier Männer aus dem Fitnessstudio ihn wieder.

Artikel über die Messer-Angriffe von Maan D. in Duisburg:

Berichte bis Ende April:

Artikel, die vor dem Angriff im Fitnesscenter John Reed veröffentlicht wurden: