Düsseldorf. Erst Krieg, dann Cabaret: Der Ukrainer Yaroslav Ros war Schauspieler in Moskau. Er flüchtete nach Düsseldorf. Ein Glücksfall – nicht nur für ihn.

Ausgerechnet Cabaret! Manchmal schlägt das Leben fast schon unheimliche Kapriolen. Vielleicht ist es das, was die einen Zufall und die anderen Schicksal nennen. Gerade erst hatte der Ukrainer Yaroslav Ros nach 18 Jahren als Schauspieler und Tap Dancer an russischen Theatern seine einstige Wahlheimat Moskau als Kriegsflüchtling verlassen, da wurde er kurz nach seiner Ankunft in Deutschland im Sommer 2022 zu einem Casting des Düsseldorfer Schauspielhauses eingeladen – und bekam den Job als Tänzer im „Kit-Kat Club“ des Musicals Cabaret.

Eine emotionale Achterbahnfahrt: Erst die Flucht, dann der neue Job in Düsseldorf

Was für eine emotionale Achterbahnfahrt für einen, der aus einem Land fliehen musste, in dem er sich ein Leben aufgebaut und seine Zukunft vorgestellt hatte. „Life is a Cabaret, old chum. Come to the Cabaret.“ Das legendäre Lied der Nachtclubsängerin Sally Bowles trieb Yaroslav Ros bei der ersten Probe die Tränen in die Augen. „Ich habe dieses Musical schon immer geliebt“, sagt er. Und tatsächlich waren es genau diese Textzeilen, die dem Ukrainer nach dem Kriegsausbruch die Kraft gegeben hatten, seinen Bühnenjob in Moskau bis zur Flucht durchzuhalten.

„Ich habe dieses Musical schon immer geliebt“, sagt Yaroslav Ros über „Cabaret“. In der Düsseldorfer Inszenierung ist der Schauspieler und Tap Dancer aktuell als tanzende „Olga“ aus dem Kit-Kat Club in der Inszenierung von André Kaczmarczyk zu sehen.
„Ich habe dieses Musical schon immer geliebt“, sagt Yaroslav Ros über „Cabaret“. In der Düsseldorfer Inszenierung ist der Schauspieler und Tap Dancer aktuell als tanzende „Olga“ aus dem Kit-Kat Club in der Inszenierung von André Kaczmarczyk zu sehen. © Thomas Rabsch

So wie Sally Bowles in Cabaret gute Miene zum bösen Spiel der Nazis macht, so hat sich der 34-Jährige nach dem 24. Februar 2022 gefühlt. Dem Tag, als Russland die Ukraine angriff und es ihm in seiner Moskauer Wohnung den Boden unter den Füßen wegzog. „Ich lag einfach nur noch da und weinte.“ Yaroslav Ros trinkt einen Schluck Cola aus der Flasche. Die dunklen Haare stecken unter einer Mütze im leuchtenden Blau der Ukraine; ein kleines Herz ist in den Stoff gewebt. Wir sprechen Englisch. Das ist eine Herausforderung in einem Interview, das um Erlebnisse und Gefühle kreist, für die es selbst in der Muttersprache kaum passende Vokabeln gibt.

Das Moskauer Ermolova-Theater ist nur wenige hundert Meter vom Kreml entfernt

Wir hangeln uns an der Chronologie des Schreckens entlang. Mein Gesprächspartner kaut nachdenklich auf seinem Kaugummi und lässt die Tage nach dem Kriegsausbruch Revue passieren, als er nach dem emotionalen Zusammenbruch den Autopiloten einschaltete. „Ich musste funktionieren.“ Jeden Abend hatte er Vorstellung. Nur wenige hundert Meter vom Kreml entfernt, am Ermolova-Theater, zu dessen Ensemble er gehörte. Er brachte die Spielzeit zu Ende – allen inneren Kämpfen zum Trotz. „Life is a Cabaret!“ Das war sein Mantra, als er auf Blusen und Jacken im Publikum immer häufiger das Propagandazeichen „V“ sah, das Symbol der putintreuen Kriegsbefürworter. Und der Cabaret-Song war auch sein innerer Rettungsanker, als er eines Abends auf dem Heimweg von Polizisten umringt wurde, die ihn, den Ukrainer, nach der Passkontrolle über seine Haltung zum Krieg ausfragten.

So gelang dem ukrainischen Schauspieler Yaroslav Ros die Flucht aus Moskau

Am 13. Juli stand Yaroslav Ros zum letzten Mal auf der Bühne. Bis 23 Uhr. „Um halb vier am nächsten Morgen saß ich im Flieger nach Istanbul.“ Eine fingierte Reise, die ihm die Flucht ermöglichte. Bei sich hatte er eine einzige Tasche, gerade so groß, dass sie als Gepäck für einen einwöchigen Badeurlaub durchging und ihn zusammen mit einem „Hin- und Rückflugticket“ durch die Polizeikontrolle brachte. Ein paar Kleidungsstücke, Dokumente, ein Album mit Fotos – viel mehr hat er nicht mitnehmen können in sein neues Leben.

So schnell werden die Tänzer des Kit-Kat Clubs zu Nazis. Yaroslav Ros in der Düsseldorfer Inszenierung von „Cabaret“.
So schnell werden die Tänzer des Kit-Kat Clubs zu Nazis. Yaroslav Ros in der Düsseldorfer Inszenierung von „Cabaret“. © Thomas Rabsch | Thomas Rabsch

Nun also Düsseldorf, wohin es ihn zog, weil seine aus Kiew geflüchteten Eltern hier waren. Yaroslav Ros trägt bei unserem Treffen einen schwarzen Kapuzenpulli mit dem Logo des Schauspielhauses. Die große Theaterfamilie hat den Neuankömmling mit offenen Armen empfangen. Freunde hat er unter den Kollegen gefunden. Und obwohl der Krieg sein Denken jeden Tag beherrscht, so hat sich doch auch ein gutes Gefühl in ihm breit gemacht. So etwas wie Zuversicht. „Ich bin so dankbar, dass ich hier diese Möglichkeit habe.“ Dass er durch die Gage seines Gast-Engagements nicht mehr auf die finanzielle Unterstützung des deutschen Staates angewiesen ist, das war ihm enorm wichtig. „Ich wollte selber etwas tun. So viel Geld verdienen, dass ich auch mein Heimatland im Krieg unterstützen kann.“

Dem Schauspieler fehlt momentan noch sein wichtigstes Instrument: die Sprache

Shakespeare, Gogol, Pinter – Figuren der großen Autoren hat der 34-Jährige in Russland auf die Bühne gebracht. Mit 16 ist er aus Kiew nach Moskau gegangen, das damals als das Mekka der Theaterausbildung im Osten galt. Wer ihn jetzt in Cabaret als „Olga“ erlebt, der sieht und spürt, mit welchem Können und welcher Hingabe er diese Nebenrolle spielt. Auf eine Art und Weise, die vergessen lässt, dass dem Schauspieler hier in Deutschland aktuell noch sein wichtigstes Instrument fehlt – die Sprache.

Es ist nicht nur der großartige Tap Dance, mit dem er schon als talentierter Zwölfjähriger in Nachtclubs auftrat und jetzt das Düsseldorfer Publikum beeindruckt. Es ist vor allem sein charismatisches Ausdrucksspiel, das ihn aus der Gruppe der Kit-Kat Boys und Girls hervorstechen lässt. Und selbst beim Schlussapplaus zieht Yaroslav Ros die Blicke auf sich. Weil er irgendwie noch ein bisschen mehr strahlt als die anderen. Erschöpft und glücklich sieht er in diesem Augenblick aus. Und aufrichtig dankbar, Teil dieser Show sein zu dürfen.

Schauspieler und Regisseur André Kaczmarczyk mit seinem Cabaret-Ensemble auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Schauspieler und Regisseur André Kaczmarczyk mit seinem Cabaret-Ensemble auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses. © Thomas RabscH

>>> Regisseur André Kaczmarczyk über die Arbeit mit Yaroslav Ros:

Eine neue, bereichernde Erfahrung ist die Arbeit mit Yaroslav Ros für Schauspieler und Regisseur André Kaczmarczyk. Beim Casting für das Kit-Kat-Ensemble hatte der Ukrainer ihn zunächst als Tap Dancer überzeugt. „Wir wussten, dass er vor seiner Flucht in Moskau als Schauspieler gearbeitet hatte.“ Deshalb fragten sie ihn, ob er auch etwas vorspielen möchte. In seiner Sprache. „Das war ein sehr bewegender Moment“, sagt André Kaczmarczyk.

„Wir haben natürlich kein Wort verstanden und dennoch hat er uns total erreicht mit seinem intensiven Spiel, das körperlich und mimisch wahnsinnig ausdrucksstark ist.“ Das Cabaret-Team war beeindruckt: „Es stand für uns alle außer Frage, dass wir einen ganz besonderen Menschen und Künstler vor uns haben.“

Die „osteuropäische Schule“, die das Bühnenspiel von Yaroslav Ros prägt, ist André Kaczmarczyk als Qualität sehr nah, wie er sagt: „Besessen fleißig, minutiös vorbereitet, unglaublich in der Intensität der Emotionen und bis zur Erschöpfung probend.“ Die Sprachbarriere hat er als Regisseur nicht als Hindernis verstanden. „Er hat einfach gespielt, nur ohne etwas zu sagen.“ Spannend sei das gewesen, eine Rolle ganz ohne Worte zu gestalten; allein mit dem Körper, der Mimik und dem Wesen. „Das setzt eine hohe Offenheit und Sensibilität voraus“, sagt André Kaczmarczyk. „Ich bin beglückt und dankbar, dass ich das erfahren durfte.“

>>> Tickets für Cabaret und Premiere von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“:

  • Cabaret, Schauspielhaus Düsseldorf, Karten: 0211/36 99 11 oder www.dhaus.de. Nächste Termine: 13. und 25. April, 5., 24., 31. Mai, 6. und 15. Juni. Früh buchen empfiehlt sich, die Vorstellungen sind rasch ausverkauft.
  • Am 22. April hat Yaroslav Ros eine weitere Premiere. Er wird einen der Götter in Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ (Regie: Bernadette Sonnenbichler) spielen und erstmals auch Deutsch auf der Bühne sprechen.