Hünxe. Über Jahrzehnte prägte Karl Neuköther, besser bekannt als Stelten Karl, die Hünxer Kulturlandschaft mit. Jetzt ist er mit 90 Jahren verstorben.
Hätte die Gemeinde Hünxe jemals einen Diplomaten in Richtung England entsandt, hätte es wohl Karl Neuköther alias Stelten Karl sein müssen. Denn mit „Windsors Lisbeth“, wie er Königin Elisabeth II. gerne nannte, war der Mundartdichter schon seit Jahrzehnten per Du. Zumindest in seinen Erzählungen von Telefonaten mit der Queen, von denen er gerne bei den Plattdeutschen Abenden in Hünxe berichtete. Vielleicht ist es daher kein Zufall, dass Stelten Karl in der Nacht vom 8. auf den 9. September verstorben ist – genau ein Jahr nach Elisabeth II., mit der ihn so viele seiner Geschichten verbanden.
Karl Neuköther war ein Hünxer Original. Am 29. April 1933 in der Gemeinde geboren, im ehemaligen Postamt, dem Haus erbaut im Jahre 1888, in dem er quasi sein Leben lang wohnte. Als Sohn von Posthalter Wilhelm Neuköther und seiner Frau Elfriede, die von vielen Hünxern nur „Tante Post“ genannt wurde, verbrachte Karl Neuköther seine Kindheit und Schulzeit im Gebäude, das bis 1963 die Postagentur der Gemeinde war. Er selbst absolvierte eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann, arbeitete schließlich fast 25 Jahre für eine Werbeagentur in Düsseldorf.
Liebe zu seiner Heimat und zu seiner „Modersprook“
Seine Heimat Hünxe ließ ihn allerdings nie los. „Die Landschaft ist schön, die Menschen sind freundlich. Der Rhein ist nah, und natürlich ist da die alte Dorfstraße“, sagte er einmal über seine Heimat. Die Dorfstraße, an der er wohnte, war für ihn auch der Ort, wo Hünxe am meisten Hünxe ist.
1979 trat Karl Neuköther in den Heimat- und Verkehrsverein Hünxe ein. Als 1980 die plattdeutschen Abende ins Leben gerufen wurden, war er natürlich mit dabei. Mit Plattdeutsch war er, wie viele Menschen seiner Generation am Niederrhein, noch aufgewachsen. Heute eher eine Seltenheit. Für ihn war die Sprache eine Leidenschaft, ein Lebensinhalt, seine „Modersprook“ eben.
Er schrieb Gedichte und Geschichten aus dem wahren Leben am Niederrhein. Oft Vergnügliches, manchmal auch Nachdenkliches oder gar Trauriges. Ein Heimat-Dichter des Niederrheins, der sich wohl auch neben Hanns-Dieter Hüsch, den er gerne las und zitierte, nicht verstecken müsste. Mit seinen Texten trug er nicht nur zu Heimatkalendern bei. Er verfasste Kolumnen für die Zeitung und auch zwei eigene Bücher. „Döt on dat op Hönxe Platt“ und „Wie dat Läwen so spöllt...“. Letzteres auch mit Übersetzungen seiner „Vertällstöckskes“, wie er die kleinen Geschichten nannte, die er sich ausdachte.
Auch nach 30 Jahren stand er immer noch mit Lampenfieber auf der Bühne
Und da waren seine Auftritte bei den Plattdeutschen Abenden. Wo er erzählte, nicht nur von Telefonaten mit „Windsors Lisbeth“, sondern auch von alltäglichen Dingen mit Protagonisten wie „Knisters Anna“ und „Knöttelkamps Gerd“, die nie fehlen durften. Dazu schlüpfte er für die kleinen Theaterstücke auf der Bühne in verschiedene Rollen – und blieb doch immer irgendwie Stelten Karl.
2010 stand er zuletzt bei den Plattdeutschen Abend auf der Bühne, wurde dann offiziell – mit einigen Mitspielern – 2012 verabschiedet. „Für mich war es immer das Schönste, wenn die Leute sich gefreut haben und für einen Abend ihre Sorgen und Nöte vergessen konnten“, sagte er damals. Dabei hatte er vor jedem seiner Auftritte – selbst nach über 30 Jahren Bühnenerfahrung – immer noch Lampenfieber. Und natürlich hatte er auch „seine Lisbeth“ zu seinen Plänen befragt, sich von der Bühne zu verabschieden. „Karl, jetzt lass auch mal Jüngere ran. Setz dich in den Liegestuhl und mach dir einen schönen Tag“, habe die Queen geantwortet.
2013 war wohl ein besonderes Jahr für ihn. Nicht nur, dass er seinen 80. Geburtstag feierte. Ihm wurde vom Verein für Heimatpflege Land Dinslaken für seine Verdienste um das Hünxer Platt der Dinslakener Pfennig verliehen. Zudem erschien das Buch „Leben im niederrheinischen Dorf. Das Beispiel Hünxe“ des Mundart-Experten Dr. Georg Cornelissen – an dem das Hünxer Original maßgeblich beteiligt war.
Trauer über die Grenzen der Gemeinde Hünxe hinaus
Jetzt wird er in Hünxe – und auch weit über die Grenzen der Gemeinde hinaus – vermisst werden. Die „Spöllkes Hönx“ und der Heimatverein trauern um einen wahren Freund, der die Sprache der Menschen liebte und den alle sehr vermissen werden. Einen Menschen, der das Leben im Dorf liebte und dem Brauchtum und Tradition am Herzen lagen. „Sein Wirken und Schaffen bleiben in seinen Werken erhalten und werden in seinem Sinne weitergeführt“, erklärt der Heimatverein dazu.
Und Stelten Karl? Der hatte sich schon zu Lebzeiten Gedanken darüber gemacht, was wohl nach dem Leben kommen würde. „Ek komm natürlek int Paradies. Es jo well klor.“ („Ich komme natürlich ins Paradies. Ist ja wohl klar.“). So schrieb er es zumindest in einem seiner Texte. Und malte sich aus, wie er dann von oben – durch in den Himmelsboden eingelassenes Glas – das bunte Treiben auf der Erde würde beobachten können. Vielleicht macht er das jetzt mit einer Tasse gutem Tee – und natürlich mit „Windsors Lisbeth“.
>>>Der Name Stelten Karl
In Hünxe ist es Tradition, Familien mit gleichem Nachnamen einen Beinamen zu geben, um diese voneinander unterscheiden zu können. Oft wurde dabei auf ausgeübte Berufe zurückgegriffen.
Bei den Neuköthers ergab sich der Name Stelten aus dem Namen des Vorbesitzers des Grundstücks, auf dem das Elternhaus von Karl Neuköther stand. Es gehörte einem Mann namens Stelten. So wurde aus Karl Neuköthers Vater am Ende „Stelten Wilhelm“ und aus seinem Sohn „Stelten Karl“.