Am Niederrhein. Der Autor Gerd Laudert hat ein Buch über Hanns Dieter Hüsch geschrieben. Okko Herlyn hat sich schon ‘mal durchgelesen...
Ausgerechnet am Niederrhein auf ein weiteres Hüsch-Buch hinzuweisen, könnte unter dem Verdacht stehen, Eulen nach Athen zu tragen. Doch dem Autor Gerd Laudert ist mit seinem Buch „Der fahrende Poet. Hanns Dieter Hüsch 1925-2005“ etwas gelungen, das auch eingefleischte Hüsch-Kenner überraschen wird: eine wahre Fundgrube an nur zum Teil bekannten, vielfach aber auch völlig unbekannten Seiten dieses großen und unvergessenen niederrheinischen Kleinkünstlers.
Biografie und mehr
„Der fahrende Poet“, Hanns Dieter Hüsch (1925-2005), von Gerd Laudert; Geschichte & Biografien; Hardcover, 256 Seiten; ISBN-13: 9783756258109; Books on Demand, 23,99 Euro.
Mit ungeheurem Fleiß hat sich Laudert noch einmal neu auf die Suche begeben, hat Weggefährten befragt, verblüffende „Geistesverwandtschaften“ – etwa mit Uta Ranke-Heinemann oder Rudi Dutschke – ausgemacht, manch ein Telefonat geführt, verschüttete Tonaufnahmen ausgegraben und nicht zuletzt das Mainzer Kabarettarchiv intensiv durchwühlt.
Das typisch Niederrheinische kommt nicht zu kurz
Herausgekommen ist dabei eine überaus originelle Mischung aus Biografie, Textanalyse, Dokumentation und persönlicher Annäherung. Bei all dem kommt natürlich das typisch „Niederrheinische“ nicht zu kurz.
Gleichwohl stechen zwei Themen besonders hervor. Zum einen das für Hüsch offenbar traumatische Schlüsselerlebnis beim Song-Festival auf der Burg Waldeck 1968. Hüsch gehörte damals – etwa neben Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey, Dieter Süverkrüp und Hannes Wader – zu den eingeladenen Künstlern, wurde aber rüde als „liberaler Scheißer“ ausgebuht. Man wollte lieber über die Revolution diskutieren statt sich vermeintlich unpolitische Lieder anhören.
Hüsch: „Ich saß da voller Angst, Enttäuschung, Wut und Ohnmacht.“ In Folge dieses für ihn demütigenden Ereignisses entschließt er sich, künftig nur noch solo aufzutreten und sich politisch keiner Gruppe, Bewegung oder Partei mehr als Mitglied anzuschließen. Originalton Hüsch: „Darum bin ich heute nur noch in der evangelischen Kirche und in der GEMA.“
Das führt zu dem zweiten thematischen Schwerpunkt dieses Buches. Es ist Hüschs besonderes, um nicht zu sagen: eigenwilliges Verhältnis zur Kirche und ganz allgemein zum christlichen Glauben.
Hüsch ist immer Hüsch geblieben
Immer wieder begegnet man ja der Behauptung, Hanns Dieter Hüsch sei auf seine alten Tage noch einmal „fromm“ geworden. Kein Geringerer etwa als Franz Josef Degenhardt, mit dem Hüsch in den 60er Jahren gemeinsame Auftritte und auch Publikationen verbanden, bespottete ihn noch Jahrzehnte später als „alten Verräter“. Degenhardt war offenbar der Meinung, Hüsch habe sich im Alter von den kritischen Wurzeln der frühen Jahre verabschiedet.
Tatsache ist aber, dass er, der aus seiner protestantisch grundierten Biografie nie – auch in den 60er Jahren nicht – ein Hehl gemacht hat, bis zum Ende seines künstlerischen Wirkens ein politisch überaus wacher und gesellschaftlich unbestechlich kritischer Geist geblieben ist.
Wer seine Texte – vielleicht auch manchmal mehr zwischen den Zeilen – aufmerksam liest, nimmt vielmehr einen für Hüsch überaus wichtigen Zusammenhang wahr. Nämlich, dass seine stets unmissverständliche antifaschistische Grundhaltung unmittelbare Konsequenz aus seinem nur scheinbar infantilen Glauben war. Derselbe Gott, der „mit uns am Tisch sitzt“ und den man gelegentlich sogar in einer Dinslakener Wäscherei treffen kann, „macht aus mir keinen Kriegsknecht“.
Hüsch ist mehr als ein Niederrhein-Verklärer
Auch dieser Zusammenhang wird in dem Buch von Laudert eindrucksvoll dokumentiert. Die Evangelische Kirche im Rheinland, die Hüsch inzwischen zu einer Art Säulenheiligen erkoren und eins seiner Zitate sogar auf ihrem Briefkopf verewigt hat, täte gut daran, durch seine „Psalmen“, „Choräle“ und „Segenswünsche“ hindurch seine unbequemen politischen Botschaften ernst zu nehmen.
Das gilt ebenso für die am Niederrhein immer noch beliebten „Hüsch-Lesungen“, die ihn auf den gemütvollen Niederrhein-Verklärer reduzieren, dem man inzwischen ganze Straßen und Bildungszentren widmet. Gott sei Dank ist Hüsch immer Hüsch geblieben. Unverwechselbar und eigenwillig. Und deshalb von niemandem so schnell zu vereinnahmen.
Dauerausstellung
Noch mehr Hanns Dieter Hüsch kann man in einer Dauerausstellung im Alten Landratsamt, Kastell 5, in Moers entdecken. In zehn Räumen findet sich dort die Sammlung des Grafschafter Museums zur (Kreis-) Moerser Geschichte des 20. Jahrhunderts und zu Hanns Dieter Hüsch. Geöffnet: di-do, 10 bis 13 Uhr, so 11 bis 18 Uhr. Eintritt frei! Anfrage Führungen: 02841-201-6 82 00.
Auch das ist ein Verdienst dieses Buches. Ein Interview mit der Tochter Anna Hüsch-Kraus und eine kleine Auswahl der für den Autor wichtigsten Hüsch-Texte schließen diesen lesenswerten Band ab. Er macht Lust, sich auch fast zwei Jahrzehnte nach seinem Tod noch einmal in die alten und doch ungeheuer aktuell gebliebenen Texte neu zu vertiefen. Wer bislang noch kein Hüsch-Fan war, könnte es nun womöglich werden.