Voerde. Wahrscheinlich werden evangelische Christen in Möllen in 2022 letztmalig in ihrer Kirche Weihnachten feiern. Das Gotteshaus steht vor dem Aus.
Weihnachten – das Fest der Hoffnung, der Zuversicht, der Freude. Bei vielen evangelischen Christen, die sich in diesem Jahr an Heiligabend oder am 26. Dezember zum Gottesdienstbesuch in Möllen aufmachen, dürfte dabei aber auch Traurigkeit mitschwingen. Aller Voraussicht nach wird es das letzte Mal sein, dass sie in ihrer Kirche anlässlich Weihnachten die Predigt des Pfarrers verfolgen, gemeinsam beten und singen. Nach dem Willen der Verantwortlichen der evangelischen Kirchengemeinde Götterswickerhamm soll das Gotteshaus im nächsten Jahr geschlossen werden.
Zwar ist die ursprünglich für Ende Januar 2023 vorgesehene Entwidmung verschoben worden, weil der Prüfung auf landeskirchlicher Ebene ausreichend Zeit gegeben werden soll, so heißt es vonseiten des Presbyteriums – gemessen an den Worten von Pfarrer Harald Eickmeier scheint dies jedoch kein Indiz für eine mögliche Abkehr vom Aus des Gotteshauses zu sein, gegen das die Kritiker ungebrochen mit Schreiben an überörtliche Stellen Widerstand leisten: „Wir sind im engen Austausch mit Landeskirche und Superintendent. In der Sache besteht Klarheit. Das Genehmigungsverfahren ist aber preußisch-gründlich“, erklärt der evangelische Geistliche. Nach der persönlichen Einschätzung von Harald Eickmeier wird sich der Termin der Entwidmung um sechs bis acht Wochen nach hinten verschieben. „Aber da warte ich geduldig ab“, erklärt er.
Abschied ist bei Weihnachtsgottesdiensten nicht explizit Thema
Die Christvesper an Heiligabend und den musikalischen Gottesdienst am zweiten Weihnachtstag in der evangelischen Kirche in Möllen wird sein Kollege, Pfarrer Christoph Weßler, zelebrieren. Das Thema am Samstag wie auch am Montag „wird nicht Abschied, sondern die Weihnachtsbotschaft“ sein, erläutert der Seelsorger: „Gott wird ein verletzlicher Mensch unter belastenden, armseligen Bedingungen. Das gibt den Menschen, die unter solchen Bedingungen leben (müssen), Würde und Perspektive. Darin liegen Trost und Stärkung im Blick auf die Herausforderungen, unter denen die Menschen nicht nur in Möllen leben (müssen).“ Die „aktuellen Probleme und Sorgen der Gottesdienstbesucher – auch die Gefühle um die anstehende Kirchenschließung – haben unter diesem Aspekt im Gottesdienst selbstverständlich Raum in Predigt, Gebeten und Liedern“, sagt Weßler. Das explizite Thema „Abschied von der Kirche“ werde in einem gesonderten Termin bedacht.
Diesem traurigen Tag möchte Dieter Spelleken nicht beiwohnen – die wahrscheinlich letzte Christvesper im evangelischen Gotteshaus in Möllen aber wird er besuchen: „Es ist traditionell so, dass wir Heiligabend in die Kirche gehen“, berichtet der Vorsitzende des BSV Möllen. Es ist ein schwieriger Termin für ihn. Sein Herz sei schwer: Dieter Spelleken wurde in der Kirche konfirmiert, er hat dort geheiratet. An die Errichtung des Gotteshauses vor mehr als 60 Jahren kann er sich nicht mehr erinnern, als das Gebäude 1961 vollendet wurde, war er vier Jahre alt. Mit der Schließung werde „ein Stück Historie, ein Stück Vergangenheit mit weg“ sein, stellt Spelleken mit Bedauern fest.
Wehmut empfinden auch Wilhelm Schepers und Heinz Wuwer, wenn sie an das offenbar besiegelte Aus des Gotteshauses und damit der letzten christlichen Kirche in Möllen denken. Darüber kann auch nicht hinwegtrösten, dass das Barbarahaus der katholischen Kirchengemeinde St. Peter und Paul künftig von den evangelischen Christen mitgenutzt werden kann und im Sinne eines „ökumenischen Gemeindezentrums“ fungieren soll. „In dieser Kirche habe ich geheiratet. Das tut mir weh“, sagt Heinz Wuwer. Zudem wurde seine Tochter in dem Gebäude an der Straße Auf dem Bünder getauft.
Der 76-Jährige wohnt zwar seit vielen Jahrzehnten in Voerde, hat aber „immer noch enge Kontakte nach Möllen zu früheren Jugendkameraden“ und besucht auch seit seinem lange zurückliegenden Wegzug Gottesdienste in der dortigen Kirche. Ob er sich in diesem Jahr an Weihnachten auf den Weg macht, kann er erst kurzfristig entscheiden. Wilhelm Schepers hat den Gottesdienstbesuch für den 26. Dezember geplant: „An Heiligabend gehen wir schon einige Jahre nicht mehr“, erzählt der erste Vorsitzende des Denkmalausschusses.
Auch interessant
Früher, als es an diesem Tag noch einen Gottesdienst spätabends um 23 Uhr gab, war das anders. Die Christvesper am Nachmittag sei eher abgestimmt auf Familien mit Kindern, findet Schepers, der wie Dieter Spelleken und Heinz Wuwer in Möllen das Licht der Welt erblickte. Auch ihn verbindet sehr Persönliches mit dem Kirchengebäude: Der 72-Jährige wurde dort konfirmiert. Seine Frau und er ließen die jüngere Tochter in dem Gotteshaus taufen.
Wie Dieter Spelleken und Heinz Wuwer hat er für die beabsichtigte Schließung kein Verständnis. „Ich finde das enttäuschend für Möllen. Es geht rundweg runter“, sagt er und stellt mit Blick auf die Entwicklung innerhalb der Gemeinde fest: „Alles wird nach Götterswickerhamm geholt.“ Heinz Wuwer meint, die Gemeinde habe es in der Vergangenheit unterlassen, Schwachstellen an dem Gebäude zu beheben. Die Folge sei der Sanierungsstau, der als Schließungsgrund angeführt wird. Bei allen Überlegungen stehe das Geld im Vordergrund, sagt Wuwer.
Keine Hoffnung auf eine Abkehr
Für Doris Lemm, Vorsitzende des Fördervereins der Bücherei Möllen, die den Stadtteil als SPD-Ratsfrau im Kommunalparlament vertritt, sind „wichtige Ereignisse im christlichen“ Leben wie Taufe, Konfirmation oder Heirat nicht mit der Kirche in Möllen verbunden, weil sie nicht von dort stammt. Die vorgesehene Schließung sieht sie als einen „großen und bedauernswerten Einschnitt in das soziale und gemeinschaftsbildende Empfinden“ des Ortes. Damit werde das „bei einigen Teilen der Bevölkerung verbreitete“ Gefühl, „benachteiligt und vergessen zu sein“, bestärkt, sagt Lemm. Durch den Erhalt der Kirche „als Ort der Zusammenkunft und des sozialen Miteinanders“ könnte dieses Empfinden zumindest nicht weiter forciert werden, meint Lemm.
Dass es dazu am Ende kommt, glaubt sie nicht: „Kirche, sowohl die evangelische als auch die katholische, hat in der heutigen Zeit nicht mehr nur seelsorgerische Aufgaben, sondern steht auch vor rein betriebswirtschaftlichen Anforderungen.“ Hoffnung hegt auch Wilhelm Schepers keine. Der 72-Jährige hat mit dem Thema nach der Gemeindeversammlung im November, die er wie einige andere aus Protest vorzeitig verließ, für sich „abgeschlossen“, sagt er resigniert.
>>Info: Die Termine
Nach Abschluss des Prüfungsverfahrens und einer Genehmigung zur Entwidmung „wird es einen Entwidmungsgottesdienst geben. Die emotionale Seite des Abschieds von der Kirche Möllen steht im Vordergrund des für den Vortag geplanten Abschiedsprojekts“, erklärt Pfarrer Christoph Weßler zu den Terminen, die im Zuge der Aufgabe des evangelischen Gotteshauses in Möllen geplant sind.
Der Seelsorger zelebriert dort die Christvesper, die an Heiligabend um 16 Uhr beginnt. Der musikalische Gottesdienst zum zweiten Weihnachtstag findet in der evangelischen Kirche ab 10 Uhr statt.