Voerde. Die komplette Inanspruchnahme der Fläche für das Wasserstoff-Projekt stieß im Fachausschuss auf viel Kritik. Wohnbebauung spielt keine Rolle.

Der Plan von RWE, das Gelände des stillgelegten Kohlekraftwerks komplett für die Realisierung eines Wasserstoff-Projektes in Anspruch zu nehmen, löst bei der Politik große Irritation aus. Denn: Immer wieder hatte die Stadt kommuniziert, auf dem Areal neben nicht nur groß-, sondern auch kleinflächigeren Gewerbeansiedlungen außerdem auf einem Teilstück des rund 60 Hektar großen Areals Wohnbebauung sehen zu wollen. Auch das Thema Gastronomie sollte in den Fokus rücken. Im Stadtentwicklungsausschuss am Dienstag folgte nun der Paukenschlag: Die vom Stadtrat in einer im Mai 2021 einstimmig gefassten Resolution formulierten Forderungen zur Folgenutzung der Brachfläche spielen in dem Vorhaben von RWE keine Rolle. Der Energiekonzern möchte den Standort komplett überplanen, wie ein Vertreter im Gremium darlegte.

„Ausgezeichneter Standort“

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Bevor die Politik dort kritisch Stellung bezog, hatte Dr. Stefan Berrisch von RWE die Notwendigkeit einer Entwicklung im Bereich Wasserstoff betont. Die Bundesregierung hebe die Ziele zur Umsetzung der Energiewende deutlich an. Neben dem Kohleausstieg „idealerweise 2030“ statt 2038 sei das Wasserstoffausbauziel 2030 verdoppelt und der Ausbau der Erneuerbaren Energien und gesicherter Backup-Kapazitäten, wenn Wind und Sonne keinen Strom produzieren, forciert. Außerdem werde seit dem Ukraine-Krieg die Versorgungssicherheit ein zentrales Thema. „Das gesamte System in Europa ist unter Druck“, sagte Berrisch.

Er unterstrich die Bedeutung, die Wasserstoff beim Gelingen der Energiewende zukommt. Das frühere Kraftwerksgelände in Voerde sei ein ausgezeichneter Standort zur Unterstützung dieses Ziels. Auf dem Areal soll, wie berichtet, „künftig in industriellem Umfang grüner Wasserstoff erzeugt“ und zunächst Erdgas – ein fossiler Brennstoff – „und später grünes Gas (Wasserstoff) verstromt werden können“.

Ein rein mit Wasserstoff betriebenes Gas-Kraftwerk gibt es heute noch nicht. Dies sei eine Technologie, die sich noch in der Entwicklung befinde, der Wasserstoffanteil liege bei 20 Prozent, erfuhren die Ausschussmitglieder auf Nachfrage von Mascha Gores (Bündnis 90/Die Grünen). Ratsfrau Britta Dickmann (Die Unabhängigen Voerde) kritisierte, dass auf der Fläche weder Windkraft noch Photovoltaik geplant sind. Der Energiebedarf am Standort lasse sich damit nicht decken, für den Betrieb der Elektrolyse-Anlagen werde Offshore-Strom verwendet, erwiderte Berrisch.

RWE: Mehrwert für Voerde

RWE sieht mit der Realisierung des Vorhabens einen Mehrwert für Voerde einhergehen: Berrisch verwies auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, deren Zahl am Ende des Ausbaus bei rund 120 liege, die Förderung der lokalen Wirtschaft – Abbruch, Neubau und Wartung sollen „vorzugsweise“ durch lokale Handwerksfirmen erfolgen – und Gewerbesteuereinnahmen für die Stadt. Auch stellte der RWE-Vertreter eine Verbindung des Stadtteils Möllen mit dem Radweg am Rhein in Aussicht, der am brach liegenden Industriegelände entlang führt und erhalten werden soll. Und: Das Landschaftsbild werde durch die „deutlich geringeren Silhouetten“ und Bauhöhen nach dem Abriss des Bestandskraftwerks im Zuge des Neubauvorhabens verbessert.

Für die Realisierung der geplanten Elektrolyse zur Erzeugung von Wasserstoff auf dem ausgedienten Kraftwerksareal muss die Stadt zunächst planerisch die Weichen stellen, denn für diese Nutzung bedarf es einer Änderung des Bebauungsplans. Die muss der Stadtrat auf den Weg bringen. Der RWE-Vertreter formulierte die Erwartung, dass dieser im September den Aufstellungsbeschluss trifft. Die Elektrolyse-Anlage mit einer Anfangskapazität von 200 Megawatt elektrischer Leistung (MWel) könne 2027 an den Start gehen. Der Standort Voerde biete Platz für eine Kapazität von 800 MWel. Diese Endstufe könne 2030 den Betrieb aufnehmen.

CDU-Fraktionschef Ingo Hülser äußerte sich erstaunt über den Terminplan, den er als für ihn „nicht abschließend“ bezeichnete: „Fünf Jahre warten wir, dass auf dem Gelände etwas passiert. Ich sehe den Zeitdruck nicht bei der Stadt“, kommentierte er die Ausführungen des RWE-Vertreters. Berrisch räumte ein, dass das Zeitfenster „sehr sportlich“ sei, dies sei der Tatsache geschuldet, „dass wir überrannt werden“. Hülser hält einen kritischen Blick darauf für erforderlich, was der Plan für Voerde bedeutet, „was die Stadt davon hat“. Die Schaffung von rund 120 Arbeitsplätzen, „unklare“ Aussagen zu den Gewerbesteuereinnahmen und der angesprochene Radweg würden den Stadtrat nicht von den in der Resolution formulierten Forderungen abrücken lassen, glaubt Hülser. Er erinnerte auch an die Bürgeranhörungen, bei denen der Wunsch nach Wohnbebauung geäußert wurde.

Große Enttäuschung

Als sehr enttäuschend bezeichnete SPD-Ratsherr Stefan Schmitz, dass diese Art der Nutzung bei dem RWE-Vorhaben unter den Tisch fällt, auch wenn es sich „sicher um ein zukunftsträchtiges Projekt“ handele. Es gehe eine große Chance für den Wohnstandort Möllen verloren. Die Frage, ob RWE die Beschlüsse der Politik dazu bekannt seien, bejahte Berrisch. RWE habe sich in den vergangenen Wochen sehr intensiv mit dem Thema befasst. Das Resultat: Wohnbebauung sei schlichtweg nicht möglich. Berrisch verwies in dem Zusammenhang unter anderem auf die vorgeschriebenen Abstände zu den technischen Anlagen. „Als einzigen Vorteil für Möllen nehmen wir einen Radweg mit“, bilanzierte SPD-Ratsherr Schmitz sarkastisch und merkte später in Richtung RWE-Vertreter an, dass die Stadt in punkto Elektrolyse-Anlage die Planungshoheit habe, sie den Weg dafür frei machen muss. Stefan Berrisch wiederum erklärte, von einer Änderung des Bebauungsplanes auszugehen.

Bürgermeister Dirk Haarmann sprach nach der Präsentation der Pläne von einem „ersten Aufschlag“ und sagte: „Das trifft viele hier ins Mark. Auch die Verwaltung hat sich einen anderen Weg vorgestellt.“ Er appellierte aber, den Dialog nicht zu beenden. „Es ist sehr schmerzhaft zu sehen, dass ein Teil unserer Visionen unmöglich wird, doch wir sind hier nicht auf der grünen Wiese und wir sind nicht Eigentümer der Fläche“, erklärte Haarmann. Die Entwicklung auf dem Energiemarkt habe zu einem Umdenken geführt. Voerde könne einen Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung leisten – am Ende aber müsse die Entwicklung auch etwas für die Stadt bringen, betonte Haarmann.