Dinslaken/Voerde/Hünxe. Wegen Corona gab es 2020 Absagen von Veranstaltungen im Stundentakt. Die gebeutelten Kulturschaffenden zeigten Pioniergeist - und hoffen auf 2021
Wenn es ein Wort des Jahres für die Kulturberichterstattung in Dinslaken, Voerde und Hünxe 2020 gibt, dann ist es „eigentlich“: Eigentlich sah es im Januar danach aus, als würde ein grandioses Jahr vor uns liegen. Doch dann kam Corona, und das Wörtchen „eigentlich“ stand zu Beginn unzähliger Meldungen im Frühjahr und im Herbst, in denen über die Verschiebung und später auch vermehrt die Absage einzelner Veranstaltungen oder ganzer Reihen informiert wurde. Doch schaut man nun auf dieses Jahr mit all seinen schmerzlichen Einschnitten und Entwicklungen, deren Spätfolgen längst nicht absehbar sind, zurück, bleibt als Resümee: Eigentlich war es ein doch recht erfülltes Jahr, in dem große Früchte geerntet werden konnten und auch so manche neue Saat gelegt wurde.
Überfüllte Säle zu Jahresbeginn
Eigentlich – da ist dieses Wort wieder – sollte 2020 ein Jahr der Jubiläen werden. Und so begann es auch. Die hervorragende Beethoven-Sonate aus dem Stipendiaten-Neujahrskonzerts des Lions Clubs Voerde noch im Ohr, wohnte man der Dankesfeier anlässlich des goldenen Chorjubiläums von Hans Dieter Rohde bei – wenn man in der Albertus-Magnus-Kirche noch einen Platz ergattern konnte.
Überfüllte Säle: Erinnert sich noch jemand an die Zeit vor gerade einmal zehn Monaten, als man froh war, dabei zu sein und keine Angst vor vollen Bänken kannte? Am ersten Märzwochenende traf man sich erstmals in der neuen Aula der EBGS: Auf dem Spielplan stand die wahrhaft fantastische Burghofbühneninszenierung von E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“. Und während auf der Bühne die Paranoia um sich griff, war in den Foyer-Gesprächen eine ganz reale Furcht das Thema: Wie geht es weiter, wenn der erste Coronafall in Dinslaken bestätigt ist.
Corona-Chroniken im Museum
Es ging nicht weiter. Erst einmal nicht. Ankündigungen und Absagen kamen im Stundentakt, die Absage des Konzerts der Jazz Initiative während des Soundchecks war der Beginn des ersten Lockdowns in Dinslaken. Eine real gewordene Dystopie? Betrachtet man es nüchtern: ja. Das Virus erzwang eine völlige Werteumkehrung: Distanz statt Gemeinschaft, virtuelle Meetings statt echter Begegnungen, Berufsverbot für die, die mit ihrer Kreativität der Gesellschaft Impulse geben und dem Einzelnen Reflexion, Emotion und das gemeinsame Durchleben dieser Seelenwelten in der Gruppe bieten.
Aber der große Haken an Dystopien – wie an Utopien, ist ihr Schwarz-Weiß-Denken. Die Wahrheit sieht anders aus. Bunt. Vielfältig. Die ersten, die den Lockdown-Schock überwanden und das taten, was Künstlerinnen und Künstler im Idealfall tun, waren die Mitglieder des Kulturkreises Dinslaken. Sie setzten sich aktiv mit der Situation und den Auswirkungen auf den Einzelnen auseinander. Die „Corona-Chroniken“ wurden hier in der NRZ veröffentlicht und aus der Ausstellung im Museum Voswinckelshof präsentiert.
Zwei große Ausstellungen
Dort leuchtete auch in den Sommermonaten die große Otto-Pankok-Ausstellung über die Stadtgrenzen hinaus. Gemeinsam mit der Ernst-Barlach-Ausstellung in der EBGS nicht nur die großen Publikumsmagneten des Kunstjahres, sondern auch für jeden Einzelnen eine Einladung zur ganz persönlichen Auseinandersetzung mit Menschlichkeit, sozialer Verantwortung, aber auch Ausgrenzung und Einsamkeit. Kreativ.
Video-Lesungen und Autokino
Das bedeutet auch: Not macht erfinderisch. Die r(h)ein-kultur-welt verlagerte ihre Lesungen in Videokonferenzen, das Essen dazu wurde nach Hause geliefert. Das Live-Bild des Jahres: Künstler vor licht-hupenden Autos. Die Lichtburg fand eine idyllische Lichtung an der Trabrennbahn und bot dort nicht nur Autokino, sondern auch Kabarett und Comedy. Selbst die Bluesanovas rockten dort bei „Das Maaß ist voll“.
Ein Pioniergeist der Grießers, der 2020 ein Happy-End verdient hätte. Stattdessen ist die Lichtburg nicht nur seit November ein zweites Mal vom Lockdown betroffen, es zerschlugen sich auch alle Hoffnungen auf ein Multiplex-Kino.
Gewinner des Jahres
Der große Gewinner des Pandemie-Jahres sind die größte und die kleinste Spielstätte Dinslakens. Die kleinste, weil das Team der Halben Treppe mit seinem „Theater im Hof“ eine Energie freigesetzt hat, die es zwar immer gab, die aber nun endlich einmal richtig wahrgenommen und gewürdigt wurde.
Und die größte, weil das Burgtheater beweisen konnte, dass es nicht nur wunderschön ist, sondern tatsächlich das grüne Herz der Stadt ist. Zwar musste das Fantastival pausieren. Aber der DIN-Event gelang es mit ihrem bewährten Team unter der neuen Leitung von Alexander Krößner, nicht nur Stars von Helge Schneider, Torsten Sträter und Markus Krebs bis Giora Feidman nach Dinslaken zu holen, sondern die anderen Dinslakener mit einzubeziehen.
Deshalb kam Beethoven nicht nur in der Tiefgarage, sondern auch im Burgtheater durch Bernhard Bücker und seine Musikerkollegen zu Ehren, deshalb verzauberten Quadro Nuevo die Nacht, deshalb machte der Shanty Chor Hiesfeld die Burg zu seinem Hafen und ließen es die Filme mit Freunden mit Kreftich krachen. Wenn dieser Spirit in die Zukunft gerettet werden kann, wird 2020 als ein Beginn in Erinnerung bleiben.
Sehenswert war das feministische Theaterstück des Kollektivs „Faul und Hässlich“ in der Zechenwerk-statt. Auch der Walzwerk-Innenhof erwies sich als Glücksfall, er wurde zum Restaurant mit Livemusik, Thomas Grosse selbst feierte mit seiner Zelle Band deren 50-jähriges Bestehen dort.
Gerettet sind Waldemar Kuhns „Sieben Säulen der Weisheit“. Die Hilflosigkeit bei den beschlossenen Maßnahmen für Kunst und Kultur gerade während des ersten Lockdowns zeigten, dass von der wirtschaftlichen Realität von den Künstlern und der gesamten Veranstaltungsbranche offenbar kaum etwas bekannt war. Jetzt müssen Taten folgen, Strukturen geschaffen werden, die die Kulturwirtschaft tatsächlich als einen Teil der Volkswirtschaft ernst nimmt. Wie wirtschaftlich Kreative tatsächlich denken, zeigte sich hier vor Ort: beim Autokino, bei den ersten Comedy-Veranstaltungen, bei den Versuchen, Online-Angebote kostenpflichtig zu machen, da es Dienstleistungen mit Gegenwert sind. Bei dem Engagement von Cesare Siglarski und anderen für Musik unterm freien Himmel.
Wie geht es weiter?
Wie es weitergehen wird? Bis Februar reichten die Reserven aus dem Diskothekenbetrieb, erklärte der Betreiber des Walzwerks Dinslaken im Sommer. Lange Jahre – Ruhr.2010 war dafür ein Musterbeispiel – war die Kulturwirtschaft der Politik nur ein klingendes Schlagwort, ein schmückendes Beiwerk.
Bleiben noch die, für die Kultur wirklich ein ehrenamtliches Engagement ist: die Chöre und Ensembles. Die Probenverbote bedeuten für sie nicht nur künstlerische Stagnation – es wird Monate dauern, bis sie wieder zur Aufführungsreife gelangen – es ist die soziale Komponente, die Wunden reißt. Hier kann wirklich nur ein großer gesellschaftlicher Konsens weiterhelfen: Jetzt durchhalten, Abstand wahren und sich impfen lassen, sobald es geht. Damit es 2021 wieder richtig weitergeht.