Voerde. Mit dem Aus der Realschule schließt sich ein langes Erfolgskapitel Voerder Bildungsgeschichte. Drei frühere und der letzte Leiter erinnern sich.
Die Schulen in NRW haben sich am Freitag in die Sommerferien verabschiedet. Nach sechs Wochen soll am 12. August das Wiedersehen sein. Für die Realschule Voerde, die vor einigen Tagen ihre letzten zehnten Klassen entlassen hat, ist es dagegen ein Abschied für immer. Im 60. Jahr ihres Bestehens wird ihr Kapitel geschlossen. Der Gang vor ein paar Tagen über den Flur Richtung Lehrerzimmer führt an einigen Erinnerungen vorbei: „Die Lehrer waren auch mal Schüler“, ist auf der Sammlung an Fotos zu lesen, die an der Wand hängen. Auch bunte Bekenntnisse zur geschafften Schulzeit sind auf dem Flur zu sehen: In den 90-er Jahren hatte die Realschule den Brauch eingeführt, dass die zehnten Klassen ein Abschlussbild gestalten, so Jürgen Albri.
22 Jahrgänge mit jeweils mehr als 1000 Schülern
Der 72-Jährige ist an diesem Vormittag auf Bitten der NRZ mit seinem Vorgänger Fritz Potz und seinem Nachfolger Alfons Knauer als früherer Leiter der Realschule an die alte Wirkungsstätte zurückgekehrt, um über sie zu erzählen. Auch der Mann, der die Realschule, die in der Zeit ihres Bestehens in 22 Jahrgängen jeweils mehr als 1000 Schüler zählte und insgesamt 7838 in die Berufs- oder die weiterführende Schulwelt entließ, „abwickeln“ muss und selbst dort die Schulbank gedrückt hat, ist bei dem Treffen dabei: Bernd Rolles.
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Die Wehmut über das Ende einer Ära ist deutlich zu spüren: „Das ist emotional stark aufwühlend“, sagt Jürgen Albri. Dass die Realschule Voerde „so sang- und klanglos“ auslaufe, findet Alfons Knauer ein bisschen deprimierend und stimmt ihn traurig. Das habe sie nicht verdient, pflichtet ihm Fritz Potz bei, jedoch sei dies der aktuellen Situation, der Corona-Pandemie, geschuldet. Wegen der Krise muss die große Feier, die anlässlich ihres 60. Geburtstags und zugleich Abschiedes geplant gewesen war, ausfallen. Sie soll 2021 nachgeholt werden, wenn dies dann wieder möglich ist. Mit dem 26. Juni ist bereits ein Termin gefunden.
Neben der Trauer ist noch viel mehr großer Stolz zu spüren
Hört man Fritz Potz, Jürgen Albri und Alfons Knauer über ihre Realschule, deren Geschicke sie lange Jahre lenkten, sprechen, schwingt neben der Trauer noch viel mehr großer Stolz mit. Der Älteste unter ihnen erzählt von ehemaligen Schülern, die sich weit über die Grenzen Voerdes hinaus – sei es im Medizin-, im Sport- oder im Filmbereich oder wo auch sonst – einen Namen gemacht haben. „Es ist toll zu sehen, welche Biographien hier entstanden sind“, stimmt Alfons Knauer dem 94-jährigen Fritz Potz zu. Damit meint er auch Lebensläufe von ehemaligen Schülern, die nicht zu großer Berühmtheit gelangt sind.
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Dass unheimlich viele ihren Weg gemacht hätten, hänge mit der speziellen Differenzierungsmöglichkeit an der Realschule zusammen, erläutert Knauer. Die ging bis in die Klasse 7 hinunter. Die Möglichkeit, Schwerpunktfächer zu wählen, mache diese Schulform immer noch stark, bestätigt Jürgen Albri. Jeder könne sich nach seinen Fähigkeiten einbringen. Schwächen im Hauptfach können durch eine gute Note im Wahlpflichtfach ausgeglichen werden. An der Realschule habe es eine „ganz intensive individuelle“ Förderung gegeben – nicht nur der Schwächeren, sondern auch der Bildungsstärkeren.
Realschüler konnten das Lernen lernen
Zudem lief über alle Jahrgänge das Programm „Lernen lernen“, das etwa nützliche Hinweise zum Vokabeln-Pauken lieferte. „Das wurde hier sehr früh eingeführt“, erklärt Alfons Knauer. Und Fritz Potz fügt hinzu, dass die Realschule, die am 21. April 1960 in einem alten Schulgebäude in Spellen mit 66 Schülern aus Voerde, Friedrichsfeld, Dinslaken und Hünxe unter der Leitung von Heinrich Scholten und in der Trägerschaft des Kreises Wesel an den Start ging, bei einigen Dingen Vorreiter gewesen sei. Als eine der landesweit ersten beiden Schulen stellte sie Anfang der 2000-er-Jahre eine Sozialpädagogin ein – und „opferte“ dafür eine Lehrerstelle, wie Jürgen Albri erzählt.
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Der Grund dafür sei aber nicht etwa gewesen, dass die Realschule damals Brennpunktschule war. „Wir haben vielmehr erkannt, dass Lehrer eine unterstützende Begleitung benötigen“, sagt Albri. Es sei ein ganz wichtiges Zeichen für die Eltern, dass die Schule sich nicht nur lehrerseitig um ihre Kinder kümmert. Zudem habe die Realschule Voerde lange vor Einführung der Inklusion die Möglichkeit eröffnet, Schüler „mit Benachteiligungen“ zu unterrichten. Zunächst ging es um Kinder mit körperlichen Einschränkungen, denen damit ein langer Schulweg nach Dortmund erspart worden sei.
Später kamen Jungen und Mädchen mit speziellem Förderbedarf hinzu. Im weiteren bildete die Realschule Voerde Inklusionsklassen, in denen diese Kinder zusammengefasst und von einer sonderpädagogischen Fachkraft mit betreut wurden – mindestens 20 von 28 Stunden, erklärt Alfons Knauer.
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Auch sei es der Realschule wichtig gewesen, sich nach außen zu öffnen. 1990 wurde erstmals ein Tag der offenen Tür veranstaltet. Zudem wollte sie den Eltern den Schulalltag nahe bringen. Doch wie schafft man es, sie vormittags dorthin zu holen? Dies gelang mit einem Schulcafé, das 100 Helfer – vor allem Mütter, ein Vater sei dabei gewesen, erinnert sich Knauer – mit betrieben. Eltern waren es auch, die im Zuge der Errichtung des „blauen“ Gebäudes den Schulhof gestalteten.
Für Bernd Rolles geht es in den Ruhestand
Die Voerder Realschule konnte auch auf finanzielle Unterstützung bauen: „Wir hatten einen ganz ausgezeichneten Förderverein, der unheimlich viel für die Schule getan hat“, erklärt Fritz Potz.
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Wenn es mit ihr weitergegangen wäre, hätte Bernd Rolles, der nun als Letzter dort das Licht ausmacht, wie er es schon in seiner vorherigen Realschule in Hamminkeln hatte tun müssen, noch ein paar Jahre dran gehängt. Schließlich müsse es Aufgabe sein, „Schule zu entwickeln, nicht sie abzuwickeln“. Und so beginnt für den 63-Jährigen mit dem Ende der Realschule Voerde jetzt auch sein Ruhestand.