Dinslaken. Einige Geschäfte in Dinslaken waren Mittwoch noch geöffnet. Darum hatte Dinslaken keine rechtliche Handhabe dagegen. So geht es weiter.
Für ein paar Augenblicke zaubert Corona ein Lächeln in die Gesichter der Menschen in der Neustraße. Mit den Armen voller Tulpen und Rosen stehen die Angestellten von Blumen Risse vor dem Geschäft und verschenken die Blumen an die Passantinnen. Ein paar Augenblicke, in denen niemand mehr ans Abstandhalten denkt. Dann schließt auch Risse. Die Stadt kommt zum Erliegen – ganz langsam.
Der Filialleiterin stehen die Tränen in den Augen. So viele Jahre arbeitet sie schon hier, nun wisse niemand, wie es weitergehe. Manche Passantinnen reißen den Verkäuferinnen die schönen Blumen, die kostenlosen, aus den Händen. Aber das sei ja immer noch besser, als sie wegwerfen zu müssen, trösten sich die Angestellten.
Auch auf dem Tisch vor dem Altstadtcafé Bienemann liegen Blumensträuße. Zwei junge Damen plaudern hier. Ob sie keine Angst vor Ansteckung haben? Selbst wenn, sagen sie: Gleich beginnt ihre Schicht hinter der Theke.
In den Cafés sind noch Tische besetzt
An der Bäckerei flanieren Menschen vorbei. Vor dem Eiscafé an der Neustraße sind ein paar Tische besetzt, ebenso vor dem Pavillon auf dem Neutorplatz. Seinen Namen möchte niemand, der an diesem Tag unterwegs ist, in der Zeitung lesen. Auch nicht das Dreiertrüppchen, das an der Neustraße Kaffee trinkt. „Wir kennen uns gut“, erklären die Drei, warum sie keine Angst vor Ansteckung haben. Die Tische stünden zudem weit auseinander. Ohnehin: Das sei wohl der letzte Tag, an dem so etwas möglich sei. „Bleiben Sie gesund“, wünschen sie zum Abschied. So enden fast alle Gespräche an diesem Tag.
Wohin mit den Kindern?
Auf dem Neutorplatz tobt ein Geschwisterpaar. Ganz anders zwei Mädchen, die artig mit Papa vor „dm“ warten. Die Familie habe einen Garten, sagt dieser, zum Glück. Denn die Spielplätze sind alle abgesperrt: mit Schildern und zusätzlich mit Flatterband. Wer keinen Garten hat, geht spazieren: In den Straßen in den Wohngebieten sind viele Mütter mit Kind an der Hand unterwegs.
Keine Nachricht von der Stadtverwaltung
Die Innenstadt sieht aus wie an einem schönen Sonntag. Wenn da nicht das eine oder andere Geschäft noch geöffnet hätte. Die Friseure etwa – die Kundschaft ist übersichtlich, aber vorhanden. Auch die Optiker sind im Dienst – nur für Reparaturen, erklären die Angestellten bei „Smile“ in der Neutor-Galerie, obwohl der Laden keine Werkstatt habe. Die Neutor-Galerie ist zwar geöffnet - unter anderem wegen Netto. Das „Verweilen“ sei aber nicht gestattet, informiert eine Tafel am Eingang.
Bei Hussel an der Neustraße ist man sich unsicher, ob Tee und Süßes zum Bereich Lebensmittelversorgung gehören. Tedi scheint die Frage für sich selbst beantwortet zu haben: mit Getränken und Gewürzen in der Auslage vor dem Geschäft. Der Besitzer des Handyshops an der Duisburger Straße sitzt auf einem Stuhl vor der Tür in der Sonne. „Die Stadt hat noch nichts geschickt“, erklärt er achselzuckend, warum sein Geschäft noch geöffnet ist. Auch das „Frauenreich“ bietet aus diesem Grund noch fröhlich-bunte Sommerkleidung an.
Das ist das Problem
Die Stadtverwaltung arbeitet derweil an der aktualisierten Allgemeinverfügung. Das Land hat zwar am Dienstagabend einen Erlass geschickt – der sah aber zunächst keine Geschäftsschließungen vor. Die Einzelhändler blieben im Ungewissen. Den Erlass hat die Stadt Dinslaken noch abends auch in eine Allgemeinverfügung gegossen, veröffentlicht – und etwa auf dem städtischen Facebook-Account dafür böse Kommentare kassiert.
Die Korrektur aus der Staatskanzlei NRW kam abends per Twitter, der modifizierte Erlass erreichte die Kommunen ebenfalls abends per Mail gegen 22 Uhr: Geschäfte, die nicht für die Versorgung notwendig sind, dürfen danach ab dem heutigen Mittwoch nicht mehr öffnen. Ausnahmen sind Lebensmittelgeschäfte, Wochenmärkte, Abhol- und Lieferdienste, Getränkemärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Tankstellen, Banken und Sparkassen, Poststellen, Friseure, Reinigungen, Waschsalons, Zeitungsverkauf, Bau-, Gartenbau- und Tierbedarfsmärkte, Großhandel, Dienstleister und Handwerker.
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Keine rechtliche Handhabe
Die Kommunen, auch Dinslaken, wurden mit diesem Vorgehen kalt erwischt. Das Problem: Auch, wenn die Stadt die Allgemeinverfügung nun ändert, wird diese erst nach 24 Stunden, also am Donnerstag, gültig. Es gibt als derzeit „keine rechtliche Handhabe“, die Läden zu schließen, so Stadtsprecher Marcel Sturm. Allerdings appelliert die Stadt dringend an die Händler, dies mit Blick auf das Allgemeinwohl zu tun.
Hintergründe
Das Coronavirus breitet sich auch in Dinslaken, Voerde und Hünxe aus. Diese Artikel aktualisieren wir ständig:
Ab Donnerstag kontrolliert die Stadt
Ab Donnerstag werde die Stadt die Umsetzung der Allgemeinverfügung auch nachhalten. Bürgermeister Dr. Michael Heidinger betont: „Die Maßnahmen sind von den staatlichen Stellen als zielführend für die Bekämpfung der Coronavirus-Krise eingestuft worden. Die Umsetzung werden wir hier vor Ort kontrollieren.“ Ob eine Kontrolle überhaupt flächendeckend möglich und nicht eher eine Ausgehsperre vonnöten sei, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen? Solche Entscheidungen wolle die Stadt den Fachleuten im Land überlassen, so Sturm. „Da fordern wir ganz klare Vorgaben“, so Sturm.
Bürger und Unternehmen fordern Ausnahmen oder Verbote
Auch Bürger und Unternehmen haben sich an die Stadtverwaltung gewandt mit der Frage, ob einzelne Maßnahmen nicht verändert werden können. Ihnen ging es etwa um die Verlängerung der Öffnungszeiten von Restaurants bis hin zur Schließung von Frisereursalons. Vor diesem Hintergrund betont Heidinger: „Die Zuständigkeit liegt hier ganz klar bei den Ländern und auch dem Bund. Es ist nicht akzeptabel, wenn jede Kommune ihre eigenen Regelungen trifft. Ein solches Chaos würde die Krise keinesfalls lösen. Jetzt ist die Verantwortung einer jeden Stelle und eines jeden Menschen gefragt. Nur solidarisch und mit einer zentral entwickelten Strategie kann hier sinnvoll vorgegangen werden.“
Umsetzung in Voerde und Hünxe
Auch die Stadt Voerde setzt bei Maßnahmen zur Eindämmung auf Erlasse des Landes. Diese Vorgaben aus Düsseldorf müssen vor Ort in eine Allgemeinverfügung der Stadt fließen. Wenn dann innerhalb von zwei Stunden, zudem noch zu später Stunde, neue Erlasse veröffentlicht werden, könne es dauern, bis die Allgemeinverfügung fortgeschrieben sei, so Bürgermeister Dirk Haarmann. Kurz vor 14 Uhr am Donnerstag veröffentlichte die Stadt Voerde eine aktualisierte Verfügung.
Zur Frage, ob nicht Ausgangssperren erforderlich seien, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, verwies Bürgermeister Dirk Haarmann, dass so etwas eine drastische Beschränkung der individuellen Bewegungsfreiheit bedeute. In Voerde würde das umgesetzt werden, wenn das Land eine Ausgangssperre per Erlass anordnen würde. Auch Hünxe setzt den Erlass des Landes um. Die entsprechende Allgemeinverfügung wurde ebenfalls am Mittwoch veröffentlicht.
Das gilt jetzt
Ebenfalls schließen müssen laut Landeserlass:
- Kneipen, Bars,
Shishabar
s
- Clubs, Diskotheken,Tanzveranstaltungen
- (Freilicht-) Theater, Kinos und Museen
- Fitness-Studios,
Yog
a- und Gymnastikräume,
Reha-Sporteinrichtungen (außer Einrichtungen, soweit die dort durchgeführten Behandlungen ärztlich zwingend erforderlich sind), sonstige Sporteinrichtungen (inklusive Ballsport und Tennis).
- Spiel- und Bolzplätze, Anbieter von Freizeitaktivitäten (drinnen und draußen), Saunen
- Spezialmärkte und ähnliche Einrichtungen, Reisebusreisen, alle Angebote in Volkshochschulen, in Musikschulen, in sonstigen öffentlichen und privaten außerschulischen Bildungseinrichtungen
- Reit- und Fahrsport inklusive Unterricht, soweit es über das für die artgerechte Tierhaltung zwingend erforderliche Maß hinausgeht, Hundeschulen und -sport.<
- Zusammenkünfte in Spielhallen, Spielbanken und Wettbüros (hierzu gehören auch Rollenspiele)
- Quizveranstaltungen, Gesellschaftsspiele, Chorproben und Ähnliches, jeglicher Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen sowie alle Zusammenkünfte in Vereinen, sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen
- Prostitutionsstätten, Bordelle und Swingerclubs.
- Der Zugang zu Einkaufszentren mit mehr als 15 Geschäften ist nur zur Deckung des dringenden oder täglichen Bedarfs gestattet.
- Restaurants dürfen nur zwischen 6 und 15 Uhr öffnen, müssen alle Besucher mit Kontaktdaten (Datum,Uhrzeit, Nachname, Vorname, Adresse, Telefonnummer) registrieren. Zwischen den Tischen muss ein Mindestabstand von zwei Metern eingehalten werden, der Aufenthalt an Schanktheken ist untersagt. Es dürfen maximal ein Besucher pro drei Quadratmeter eingelassen werden.