Essen. Mit 28 Jahren nahm Vinko Sapina beim Sieg gegen Arminia eine Sonderrolle ein. Mit welchem Fakt Rot-Weiss Essen in Profideutschland heraussticht.

Lucas Brumme spielt zu Leonardo Vonic, eine Körpertäuschung, Schuss, doch Jonas Kersken hält. Den Abpraller bekommt Marvin Obuz. Er tanzt drei Bielefelder aus, zieht ab – und trifft. Es ist das 1:0 für Rot-Weiss Essen gegen die Arminia und dieses Tor taugt als Beweis für eine erstaunliche Entwicklung: RWE ist als Tabellendritter nicht nur top in Form und hat sich im Vergleich zur Vorsaison spielerisch verbessert, sondern auch verjüngt.

24,2 Jahre: Das war das Durchschnittsalter der rot-weissen Startelf gegen Bielefeld. Brumme (24) gehörte da fast schon zu den alten Eisen, mit Obuz (21) und Vonic (20) wirbelten zwei Youngster in der Offensive. Nur ein Essener ist älter als 25 Jahre: Kapitän Vinko Sapina (28).

RWE Uhlig

Tickets für den RWE-Live-Talk mit Marcus Uhlig am 29. November bei Funke können Sie hier erwerben

+++ Die Anschrift für den Talk: Jakob-Funke-Saal (FUNKE Medienhaus), Jakob-Funke-Platz 1, 45127 Essen +++

Rot-Weiss Essen – ein Ausbildungsverein?

„Unser Ansatz ist schon, dass wir RWE ein Stück weit verjüngen“, sagte Marcus Steegmann gegenüber dieser Redaktion, nachdem er den Job des Sportdirektors übernahm. Gemeinsam mit Direktor Profifußball Christian Flüthmann leitet er den Drittligisten seit diesem Frühjahr. Und Flüthmann war vorher als Chef des Nachwuchsleistungszentrums tätig.

Lesen Sie hier: Flüthmann und Steegmann – so tickt das neue RWE-Führungsduo.

Nun ist es immer ein beliebtes Ziel eines Managements, ein junges, hungriges Team zusammenzustellen, allein aus wirtschaftlichen Gründen: Entwickelt sich ein Talent, kann man es gewinnbringend verkaufen. Inzwischen ist quasi jeder Verein ein Ausbildungsverein, nicht mehr wie früher, als Klubs wie der SC Freiburg zu den Exoten gehörte, weil er eine strikte Nachwuchsphilosophie implementiert hatte und seitdem beeindruckend umsetzt.

Selbst ein deutscher Topverein wie Borussia Dortmund bildet aus, für internationale Topmannschaften. Die Märkte haben sich verändert, der Wettbewerb ist global geworden und die Ablösesummen explodieren. Wer vergleichsweise billig den nächsten Kylian Mbappe entdeckt und ausbildet, der erhöht seine Chancen auf Erfolg – oder er verkauft ihn für Millionen. Win-win.

Leonardo Vonic, ein Sturm-Talent macht bei Rot-Weiss Essen auf sich aufmerksam.
Leonardo Vonic, ein Sturm-Talent macht bei Rot-Weiss Essen auf sich aufmerksam. © FUNKE Foto Services | Thorsten Tillmann

Drittliga-Konkurrenten haben eine höhere Nachwuchs-Durchlässigkeit

Das funktioniert auch auf kleinerer Ebene, wie der Blick auf Essens regionale Konkurrenz zeigt. Der MSV Duisburg mag gerade große Probleme haben, was aber funktioniert, das ist die Nachwuchsarbeit. Hoffnungsträger ist Caspar Jander (20), der das eigene NLZ besucht hat. Julian Hettwer (20) hat die Zebras im Sommer Richtung Dortmund verlassen – für eine sechsstellige Summe, die der MSV natürlich gut gebrauchen konnte. Bei Viktoria Köln spielten acht Profis in der eigenen Jugend, Preußen Münster kommt auf sechs und drei weitere, die aus der Region stammen.

Brennpunkte bei Rot-Weiss Essen:

Hier muss sich RWE noch verbessern, denn nur zwei Kaderspieler kickten im NLZ: Mustafa Kourouma (20) und Nils Kaiser (21). Dabei hatte Rot-Weiss in der Vergangenheit stets betont, Spieler entwickeln zu wollen und auf ein junges Fundament zu setzen. „Es ist unser Ziel, ein noch besseres Sprungbrett für junge Talente zu werden und vor allem mehr Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in die erste Mannschaft zu integrieren“, sagte Ex-Sportdirektor Jörn Nowak im April 2021 – in seiner Amtszeit ist das nicht gelungen. Es braucht nun mal Zeit, eine Nachwuchsstruktur aufzubauen, die auf Dauer funktioniert.

RWE setzte unter Nowak eher auf erfahrene Namen. Routine sollte den Aufstieg in die Dritte Liga möglich machen: Felix Herzenbruch, Daniel Davari, Dennis Grote, Simon Engelmann, Felix Bastians – sie alle hat Nowak geholt. Mit Erfolg: Rot-Weiss stieg auf und hielt die Klasse.

Nur der BVB II und Freiburg II sind jünger

Seit Steegmann und Flüthmann den Kader planen, hat sich die Strategie augenscheinlich verändert. Die Transferphase im Sommer untermauert das. Das Durchschnittsalter eines RWE-Zugangs: 22,5 Jahre. Neben Vonic und Obuz wäre vor allem Eric Voufack als Spieler mit Potenzial zu nennen. Der 21-Jährige kommt immer besser rein, hat zuletzt Andreas Wiegel (32 Jahre) als Stamm-Rechtsverteidiger verdrängt.

Naturgemäß ist der Altersdurchschnitt nach der Freistellung von Felix Bastians (35) nochmals merklich gesunken. Nach dem 0:5-Debakel gegen Verl im Oktober war das. Darauf folgten: vier 2:1-Siege – allesamt geholt mit derselben Startelf (Durchschnittsalter 24,2). Es ist das jüngste RWE-Team überhaupt in der noch kurzen Drittliga-Geschichte.

Mustafa Kourouma (l.) ist einer der wenigen, die im NLZ von Rot-Weiss Essen ausgebildet wurden.
Mustafa Kourouma (l.) ist einer der wenigen, die im NLZ von Rot-Weiss Essen ausgebildet wurden. © FUNKE Foto Services | Thorsten Tillmann

Im Vorjahr bot RWE im Heimspiel gegen den SV Meppen die jüngste Elf der Runde 2022/23 auf (25,4 Jahre), die älteste gegen Waldhof Mannheim (28,9 Jahre). Noch weiter zurück: Beim Essener Aufstiegsspiel gegen Rot Weiss Ahlen im Mai 2021 betrug der Schnitt 27,2 Jahre.

Beachtlich ist der aktuelle Wert zudem, da nur zwei Drittligisten eine noch jüngere erste Mannschaft aufboten: Die U23-Teams von Borussia Dortmund (23,6) und des SC Freiburg (23,3) die in dieser Kategorie aber eigentlich qua Definition außen vor gelassen werden können. Klammert man diese zwei Sonderfälle aus, stellte Rot-Weiss Essen am Wochenende die jüngste Mannschaft in Profideutschland, gemeinsam mit Zweitligist 1. FC Nürnberg, der auf exakt dasselbe Durchschnittsalter kam.

Am vergangenen Spieltag stellte übrigens Aufsteiger SpVgg Unterhaching die älteste Drittliga-Truppe (Durchschnittsalter: 30 Jahre). Zwar steht Unterhaching auf Rang sechs, wie nachhaltig dieses Konzept ist, ist die andere Frage.