Dortmund. Jamie Gittens war der Unterschiedsspieler der Hinrunde, doch hat inzwischen ein paar Probleme. Den BVB stellt das vor Herausforderungen.
Jamie Gittens wollte schnell nach Hause am Mittwochabend. Das Champions-League-Spiel gegen Sporting Lissabon (0:0) war erst wenige Minuten abgepfiffen, da tauchte der Engländer schon unter der Osttribüne auf und sprang mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze in einen der Shuttle-Busse. Ein stiller Abgang, der ins Bild passte. Eine Halbzeit hat er mitgewirkt, wenig gerissen, und blieb dann zur Pause in der Kabine. Das habe weder taktische Gründe gehabt, noch lag eine Verletzung vor. „Wir mussten auch ein bisschen haushalten mit den Kräften“, erklärte Niko Kovac. Der Trainer wollte zudem Maximilian Beier Spielpraxis schenken.

Es gab Phasen in dieser Saison, da hätte man sich eine Auswechslung von Gittens kaum leisten können, sie wäre gleichbedeutend mit dem Ende alle Dortmunder Offensivbemühungen gewesen. Selbst in Partien wie dem Play-off-Rückspiel gegen Sporting, in dem ob des beruhigenden Vorsprungs aus dem ersten Duell (3:0) nie brenzlig wurde in Sachen Achtelfinal-Einzug. Gittens, noch immer erst 20 Jahre jung, hat ja nicht nur diejenigen mit schwarz-gelben Herzen verzückt.
BVB: Jamie Gittens will mit dem Kopf durch die Wand
So häufig dribbelte er schräg in Richtung des Strafraums, zeigte rasante Übersteiger, und schlug dann einen Haken in die Mitte. Eine Bewegung, die zu Gittens‘ Markenzeichen geworden ist. Ein Großteil seiner wettbewerbsübergreifend elf Treffer und fünf Vorlagen sowie viele weitere gefährliche Szenen resultierten genau daraus, denn der englische U21-Nationalspieler habe in der Entscheidungsfindung „einen Riesenschritt“ gemacht, wie schon Ex-Trainer Nuri Sahin mehrfach betont hat. Im vergangenen Jahr legte Gittens viele Extra-Schichten mit dem ehemaligen Assistenten Sven Bender ein, um Eins-gegen-Eins-Duelle zu perfektionieren.

Auch sein heutiger Coach Niko Kovac attestiert Gittens eine „klasse Hinrunde“. Nur: „Es ist für ihn nicht einfach, meist gegen zwei zu spielen. Er hat heute ein bisschen unglücklich gespielt“, meinte der 53-Jährige. Nicht nur gegen Sporting. Seit neun Spielen wartet Gittens auf eine Torbeteiligung, inzwischen wirkt er für die Gegenspieler berechenbarer, es fehlt Plan B. So ganz einzusehen wollen scheint er das aber nicht, denn meist dribbelt er trotzdem ins Gewühl hinein, will, wie früher, mit dem Kopf durch die Wand. Nach seiner Auswechslung in Bochum am vergangenen Samstag (0:2) entlud sich beim Wortgefecht mit Fans im Gästeblock eine Menge Frust. „Im Moment hat er ein paar kleinere Themen“, sagte Sportdirektor Sebastian Kehl. „Das ist überhaupt nicht schlimm, das ist normal in der Entwicklung eines jungen Spielers. Er bekommt vollstes Vertrauen.“
BVB braucht mehr gute Bälle hinter die Kette
Per se ist es kein Problem, wenn die Entwicklung eines Talentes in einer Spitzenmannschaft stockt. Denn meist ist das Offensivkonzept vielseitig, das Kollektiv kann die Formschwäche eines einzelnen auffangen. Beim BVB allerdings ist das nicht der Fall, zu häufig schien die Devise zu sein: Jamie, du kriegst den Ball, mach mal was. Greift es jedoch nicht, ist die Darbietung mau wie die erste Halbzeit gegen Sporting. „Für ihn ist es vielleicht ein bisschen schwieriger aufgrund der Gesamtgemengelage“, findet Kovac.

Besonders schwer tut sich Gittens, wenn die Abwehrreihe rund um den eigenen Strafraum klebt, wenn sie dicht gestaffelt ist. Gittens braucht die Räume, doch dem BVB-Spiel fehlt seit Monaten die Tiefe. Wie es gehen kann, zeigte die Entstehung des Foulelfmeters, mit dem Serhou Guirassy an Sportings Rui Silva scheiterte (59.). Da spielte Nico Schlotterbeck einen perfekten Ball hinter die Kette auf Karim Adeyemi. „Das ist probates Mittel. Die Fläche muss man bespielen, belaufen. Wir haben viele flinke und quirlige Spieler über außen“, sagte Kovac. So auch Gittens.
Der BVB braucht ihn, um sich noch auf einen Königsklassen-Platz hochzuarbeiten. Und wenn das nicht gelingen sollte, dann als Hilfsmittel, um den Kader ohne Geldtöpfe der Uefa umzubauen. Er könnte der nächste 100-Millionen-Transfer werden. „Ich denke noch nicht an den Sommer und irgendwelche Transfers“, sagte Sportdirektor Kehl. Erstmal muss Gittens wieder in die Spur kommen. Sonst verschlechtert sich auch die Verhandlungsposition.