Budapest. Clemens Prokop ist großer Anti-Doping-Kämpfer. Die Leichtathletik-WM verfolgt er in Budapest - und fordert ein verbessertes Kontrollsystem.

Clemens Prokop (66) war von 2001 bis 2017 Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Er machte sich zudem einen Namen als überzeugter Anti-Doping-Kämpfer. Heute ist der Jurist Landgerichtspräsident in Regensburg. Die Leichtathletik hat den ehemaligen Zehnkämpfer nicht losgelassen. Die WM in Budapest verfolgt er derzeit vor Ort - und erlebt beeindruckende Leistungen, aber auch einen diskussionswürdigen Dopingfall. Er nimmt sich die Zeit, ein paar Fragen zu beantworten.

Herr Prokop, wie erleben Sie die Leistungen der Athletinnen und Athleten in Budapest insgesamt? Ist es aus ihrer Sicht eine besonders leistungsstarke WM oder trügt der Eindruck?

Clemens Prokop: Es ist eine erstaunlich und außergewöhnlich leistungsstarke Weltmeisterschaft. Wir erleben eine ungewöhnlich hohe Zahl von persönlichen Bestleistungen, Saisonbestleistungen und Weltbestleistungen. Dies ist in seiner Zahl, der Leistungsbreite und vor allem vom Zeitpunkt erstaunlich: normalerweise ist das Jahr nach einer WM und vor den Olympischen Spielen eher ein leistungsruhigeres Jahr.

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Es gab bei der WM bereits etliche Bestleistungen – nationale Rekorde, Weltbestleistungen und sogar Weltrekorde: Wie schätzen Sie die Leistungen ein? Darf man sie als sauber werten oder gibt es Anlass, skeptisch zu sein?

Prokop: Die Ursachen für diese überraschende Leistungsentwicklung sind vermutlich vielfältig, beginnend von individuellen Faktoren bis hin zur Verbesserung der Ausrüstung. Zum jetzigen Zeitpunkt könnte ich aber nur spekulieren.

Die schnelle Bahn, die Hightech-Spikes aus Carbon – beides wird als Argument für schnelle Zeiten angeführt: Wie schätzen Sie das ein, kann der Effekt wirklich so groß sein?

Prokop: Sicherlich können eine schelle Bahn und Hightechschuhe Leistungen fördern. Ob dies aber für sich gesehen wirklich alle Leistungssteigerungen zu erklären vermag – ich bin mir da nicht sicher, kann aber mangels entsprechender Anhaltspunkte auch keine Verdächtigungen aussprechen.

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Im Vorfeld der WM gab es wieder einige Dopingfälle und eine spezielle Diskussion um Tobi Amusan, die erst gesperrt und dann doch zur WM zugelassen wurde: Wie beurteilen Sie den Fall?

Prokop: Ihre Starterlaubnis kam für mich überraschend, aber ich kenne den Fall nur aus den Medien, so dass ich mir mangels exakter Faktenkenntnis kein abschließendes Urteil bilden kann. Nach meinem Kenntnisstand wird derzeit geprüft, die Aufhebung der Sperre vor dem Internationalen Sportgerichtshof überprüfen zu lassen. Dies wäre aufgrund der Fragezeichen hinter dieser Entscheidung ein sehr wichtiger Schritt.

Ihr Start bei der Leichtathletik-WM in Budapest war wegen einer vorherigen Dopingsperre umstritten: Hürdensprinterin Tobi Amusan.
Ihr Start bei der Leichtathletik-WM in Budapest war wegen einer vorherigen Dopingsperre umstritten: Hürdensprinterin Tobi Amusan. © afp

In jüngerer Vergangenheit waren verpasste Tests oft Grund für Dopingsperren – meist aber nur ein paar Monate: Was halten Sie von dieser Maßnahme? Birgt diese Methode nicht die Gefahr, dass Sportler, die gedopt haben, lieber einen Test verpassen und so nur eine kurze Strafe fürchten müssen, als dass sie mit entsprechenden Mitteln in ihrem Körper erwischt werden und das Ende ihrer Karriere fürchten müssen? Wie beurteilen Sie dies?

Prokop: Tatsächlich darf es für gedopte Sportler keine Anreize geben, durch Verpassen oder, besser gesagt, durch Verhinderung von Tests, das Dopen mit vergleichsweise geringen Risiken betreiben zu können. Sperren von wenigen Monaten werden daher dem Ziel der Dopingbekämpfung nicht gerecht. Das Regelwerk eröffnet hier – vor allem für Wiederholungstäter – ganz andere Sanktionen. Gegebenenfalls sollten solche unangebracht milden Entscheidungen öfters vor den Internationalen Sportgerichtshof gebracht werden.

Ist das Anti-Doping-System noch zeitgemäß oder sehen Sie Anlass dafür, dass es überdacht und überarbeitet werden sollte?

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Prokop: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Dopingpraxis immer sehr erfinderisch war, um dem Kontrollsystem zu entgehen. Tatsächlich ist das bestehende Kontrollsystem inzwischen sehr professionell geworden. Allerdings überrascht mich, dass in der öffentlichen Wahrnehmung infolgedessen das Thema Doping nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, obwohl die Ursachen für Doping im Spitzensport unverändert fortbestehen. Ich glaube deshalb, dass eine grundlegende Evaluierung des Kontrollsystems erforderlich ist, um eine Effizienzkontrolle auf allen Ebenen durchzuführen.

Was sind die Schwachstellen? Wo und wie würden Sie ansetzen?

Prokop: Es gibt eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten – beginnend von der Zahl der Kontrollen bis hin zur verbesserten Vergleichbarkeit der Systeme auf internationaler Ebene. Es ist viel in den vergangenen Jahren erreicht worden, aber Doping ist ein systemimmanentes Problem des Leistungssports, das ein sich dynamisch verbesserndes Kontrollsystem erfordert.