Budapest. Zehnkämpfer Leo Neugebauer hat den deutschen Rekord gebrochen. In den USA verzückt er die Leichtathletik-Fans, bei der WM ist er Goldkandidat.
Die Sonne knallt auf den Trainingsplatz. Ein Athlet läuft ins Bild, erst beim Stabhochsprung, dann beim Hürdensprint. Beide Szenen sind in Zeitlupe gefilmt – die Eleganz der Bewegungen wirkt so noch eindrucksvoller. Eines Königs würdig. Genau das strebt der junge Mann aus dem Video an: Leo Neugebauer will der König der Athleten werden. Bei der Leichtathletik-WM in Budapest startet er an diesem Freitag in den Zehnkampf-Wettbewerb (ab 10.06 Uhr/ZDF), am Samstag fällt die Entscheidung (ab 20.15 Uhr/ARD).
Aufregende Tage für Zehnkämpfer Leo Neugebauer
Schon seine ersten Tage in Ungarns Hauptstadt waren aufregend. Sein Koffer kam nicht an. Und somit auch nicht seine Wettkampf-Spikes. Was andere aus der Ruhe bringen würde, nimmt der Hüne mit dem freundlichen Grinsen mit Gelassenheit. „Ich werde das Beste draus machen“, sagt er und zieht die Linie zu seinem Sport: „Ich glaube, wenn du ein guter Athlet bist, solltest du auch mit verschiedenen Situationen umgehen können.“
39 Jahre alten Rekord des Duisburgers Jürgen Hingsen gebrochen
Buchstäblich über Nacht hatte sich Leo Neugebauer im Juni zum Shootingstar des deutschen Mehrkampfs aufgeschwungen. Denn als der 23-Jährige in Texas die NCAA-College-Meisterschaft gewann, war es in Deutschland mitten in der Nacht. Doch seine Siegpunktzahl von 8836 Punkten – nur sieben Athleten haben je mehr erreicht – sprach sich schnell bis in die Heimat rum. Leo Neugebauer hatte den 39 Jahre alten deutschen Rekord, aufgestellt von der Duisburger Zehnkampflegende Jürgen Hingsen, verbessert. Der 65-Jährige fiel auf der anderen Seite des Atlantiks „aus allen Wolken“ und freute sich über die „phänomenale Leistung“.
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Rund drei Monate nach seiner Großtat hat Leo Neugebauer „irgendwie immer noch nicht realisiert, was ich gemacht habe“. Klar, die Aufmerksamkeit sei gestiegen. Aber: „Ich fühle mich immer noch wie der alte Leo – nur mit ein paar Rekorden.“ Er habe gewusst, „dass ich es drin habe – aber ich dachte, es wäre eher irgendwann in der Zukunft so weit“.
Neugebauer bei Weltmeister Mayer auf dem Zettel
Der Athlet aus der Nähe von Stuttgart ist nun, ein Jahr nach Platz zehn bei seiner ersten Erwachsenen-WM, als Nummer eins der Welt nach Budapest gereist. Zusammen mit Europameister Niklas Kaul, der 2019 bereits Weltmeister geworden ist, gilt er als eine der wenigen deutschen Medaillenhoffnungen. Sogar der französische Weltmeister Kevin Mayer hat Neugebauer auf dem Schirm. „Er hat in einem Interview gesagt, dass er nochmal mehr Konkurrenz bekommen hat und er sich auch verbessern muss, um seinen Titel zu verteidigen. Es ist schon cool, dass ich plötzlich auf seinem Zettel bin.“
Um in diese Position zu kommen, zog es Neugebauer 2019 in USA. In Austin/Texas bot sich ihm die Gelegenheit, sich neben einem Wirtschaftsstudium auf den Sport fokussieren zu können. Von der kleinen LG Leinfelden-Echterdingen ging es in das professionelle College-System. „Die Betreuung in den USA im Vergleich zu meinem Heimatverein in Deutschland ist wie Tag und Nacht“, sagt Neugebauer, dessen erster Verein die SpVgg Stetten war. „Es gibt nichts, was ich bräuchte und da nicht bekommen würde. Das ist eine krasse Betreuung mit so vielen Trainern, Physios und Leuten, die schauen, dass ich mit meinen Unisachen nicht hinterherhinke.“ Dazu kurze Wege. „Man wird wie ein Profi behandelt.“
Neugebauer erlebt in den USA ganz andere Sportbegeisterung
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Deutschland könne sich da „definitiv noch was von den USA abschauen. Trotzdem ist es schwer zu sagen, ob ich mich in Deutschland nicht auch sehr gut entwickelt hätte.“ Aber in seinem US-Umfeld erkennt er noch einen Vorteil: „die krasse Konkurrenz“. Jeden Tag trainiert er mit internationalen Weltklasseathleten. „Hätten wir uns nicht gehabt, hätte keiner von uns so abliefern können. Das hat schon sehr gepusht.“
Die vier Jahre in den USA hört man Leo Neugebauer an. In den baden-württembergischen Singsang mischt sich eine breite Texasspur. Manchmal verschwimmen der deutsche und der englische Satzbau, dann spricht er von den Amerikanern, die „more leidenschaftlich“ sind, was die Sportbegeisterung angeht. „Mir bedeutet der NCAA-Sieg auch deshalb so viel, weil ich sehe, wie wichtig er den Leuten ist.“
Neugebauer gibt auf Social Media Einblicke in sein Sportlerleben
Auch der WM-Start bedeutet ihm viel. Er strahlt mit der Sonne um die Wette, stolz präsentiert er sein Trikot bei Instagram. Er gibt gerne Einblick in sein Leben. Dabei hat er eine natürliche Lockerheit – so will er auch den Wettkampf angehen. „Ich versuche, immer schön relaxt zu sein und der gleiche Leo zu bleiben.“ Selbstbewusst und entspannt – typisch amerikanisch.
Mit Niklas Kaul, der im Gegensatz zu dem extrovertierten Strahlemann eher der nachdenkliche Typ ist, wolle er „Deutschland gut repräsentieren“. Kaul habe durch seine Titel bereits wertvolle Erfahrung, doch Neugebauer wird sich nicht verstecken. „Wir wollen zeigen, dass wir richtig gute Zehnkämpfer sind“, sagt er und ergänzt schmunzelnd: „Wenn ich die Möglichkeit habe, will ich mich natürlich vor ihn schieben.“
Freunde und Familie haben extra T-Shirts bedruckt
Leo Neugebauer kann in Budapest auf große Unterstützung setzen. Freunde und Familie sind dabei, sie haben extra T-Shirts bedruckt. „Es wird der erste Wettkampf seit 2019 sein, bei dem meine Mutter dabei sein kann“, freut er sich. Im Vergleich zur Distanz zu den USA ist Ungarn quasi um die Ecke.
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Und dann? Der nächste Rekord? Der erste Titel? 9000 Punkte? „Alles ist möglich“, sagt Neugebauer. „Vielleicht nicht sofort, aber in ein paar Jahren – da habe ich keine Grenzen für mich gesetzt. Das Einzige, bei dem man aufpassen muss, ist dass man gesund bleibt.“ Und dass Leo, einfach Leo bleibt.