Budapest. Der 27 Jahre alte Hürden-Star hat es bei der Leichtathletik-WM seinen Kritikern gezeigt und sich den WM-Titel zurückgeholt.
Kurz vor dem Startschuss. Es wird still im Stadion. Zu hören ist nur noch ein Klatschen. Kein Applaus, sondern das Schlagen von Händen auf nackte Beine. So klingt es, wenn Karsten Warholm sich bereit macht, um über die 400 Meter Hürden Weltklasse auf die Tartanbahn zu zaubern. Dann schlägt er sich so oft auf den Körper, bis er sicher ist: Jede Faser ist bereit.
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Karsten Warholm hat sich bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Budapest in 46,89 Sekunden zurückgeholt, was er „meine Goldmedaille“ nennt. Der 27 Jahre alte Norweger hat die Grenzen seiner Disziplin verschoben. Er ist Europameister, Olympiasieger, er hält den Weltrekord (45,94) – aufgestellt bei den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio. Zweimal war er bereits Weltmeister. Nur im vergangenen Jahr in Eugene/Oregon, da wurde er – nach einer Verletzung noch nicht wieder in Topform – lediglich Siebter. Ein Ergebnis, das es für ihn zu korrigieren galt. „Das vergangene Jahr war schwierig“, sagt er nun. „Es ist schön, heute hier zu sein und die Medaille wieder dahin zurückzuholen, wo sie hingehört.“ Grinsend ergänzt er: „Auch wenn es sieben andere gab, die da anderer Meinung waren.“
Karsten Warholm läuft im WM-Finale über 400 Meter Hürden allen davon
Im Finale von Budapest ließ Karsten Warholm nicht nur seinen Dauerrivalen und Eugene-Weltmeister Alison dos Santos (Brasilien) als Fünften hinter sich, er verwies auch Kyron McMaster von den Britischen Jungferninseln (47,34) und Rai Benjamin (USA/47,56) auf die Plätze zwei und drei. Der Oberhausener Joshua Abuaku wurde als Überraschungsfinalist Achter (48,53).
Die Bühne, sie gehörte allein Karsten Warholm. Unwiderstehlich zog er auf den letzten 100 Metern der Konkurrenz davon. „Wir sind gemacht für diese Momente. Mein Trainer hat mir heute gesagt: Du hast eine großartige Taktik; ab Hürde fünf bist du der Beste der Welt.“ Und genau so kam es. Als der Konkurrenz die Kraft ausging, aktivierte Warholm, was er zuvor wach geklopft hatte.
Seine Freude schrie er in den ungarischen Nachthimmel, als wolle er auch die letzten Bedenken vertreiben, die ihn seit Eugene begleitet hatten. Schon vor dem Start in den USA hatten ihn Selbstzweifel gequält, und auch öffentlich wurde die Frage gestellt, ob es das nun war mit der Warholm-Ära.
Der 27-Jährige musste lernen, dass es noch viel schwerer ist oben zu bleiben, als nach oben zu kommen. Geholfen hat ihm sein Coach Leif Olav Alnes, beide verbindet ein enges Band. Warholm spricht von ihm als Mentor, der ihm immer den richtigen Weg aufzeige. Alnes hatte ihm in der schwierigen Zeit gesagt: „Karsten, ich hasse es, dass du in so jungen Jahren schon lernen musst, wie zynisch die Welt ist.“ Mit seiner Hilfe gelang es Warholm, die „Desaster-Story“, die nun jene herbeiredeten, die ihn am Anfang seiner Karriere in den Himmel gelobt hatten, nicht an sich rankommen zu lassen. „Ich bin nicht mehr naiv“, sagt er nun. „Ich weiß, wie die Leute reden.“ Eine Erfahrung, verbucht als Lernen fürs Leben.
Karsten Warholm ist in WM-Rennen eiskalt, abseits der Laufbahn aber schüchtern
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Es den Zweiflern zu beweisen, motiviert den Skandinavier genauso wie die Aussicht auf sportlichen Erfolg. „Jeden Tag versuche ich, die richtigen Entscheidungen zu treffen, damit ich an dem Tag, an dem es drauf ankommt, der Beste der Welt sein kann.“ Er wirkt abgeklärt, aber nicht kühl. So extrovertiert wie er seinen Rennen bestreitet, so schüchtern wird er, wenn er abseits der Tartanbahn vor der Kamera aus sich rausgehen soll. Er verkörpert, anders als etwa der schillernde Sprinter Noah Lyles, einen anderen, aber ebenso sympathischen Typ Athlet. „Ich bin immer demütig“, sagt Warholm selbst. „Ich mache keine großen Worte, ich habe echte Überzeugung. Ich weiß, wozu ich in der Lage bin.“ Eine Goldmedaille sei nichts, „was man im Vorbeigehen einsammelt“. Warholm: „Ich weiß, da sind Leute, die auch gewinnen wollen. Das lässt mich fokussiert bleiben.“
So redet keiner, dessen Ära schon beendet ist.