Mülheim. Der Ehemann tot, die Tochter sterbenskrank: Eine Familie aus Mülheim steht vor dem Abgrund. Wie Tausende unbekannte Spender helfen.
„Herzzerreißend“ haben Freunde der Mülheimer Familie P. deren Geschichte genannt, als sie begannen, Spenden zu sammeln. „Herzzerreißend“ ist auch das erste Wort, das Stefanie P. einfällt auf die Frage, was dann geschah: Binnen drei Wochen kam so viel Hilfe bei der 45-Jährigen und ihren beiden Töchtern an, dass ihr immer noch „die Worte fehlen“. Fremde Menschen schickten Trost und guten Rat, Handwerker lösten die praktischen Probleme – und vor allem kam viel, viel Geld zusammen: mehr als 90.000 Euro!
Weihnachten aber war doppelt schwer für Stefanie P. Das erste Fest ohne ihren Mann, ohne Holger, ohne den Vater ihrer Kinder, ohne Papa. „Weihnachten“, sagt die 45-Jährige, „sind wir immer zusammen gewesen.“ Diesmal nicht: Holger P. (52), den alle kannten im Stadtteil Styrum, war Pfingsten plötzlich gestorben. Der Dachdecker war auf dem Rückweg von einem Kunden, unterwegs ins lange Wochenende, als er auf der Straße zusammenbrach. Eine Operation konnte nicht mehr helfen, nach Hirnblutungen fiel der Familienvater ins Koma. Er wachte nicht mehr auf.
Die Angst ist immer da: „Dass es das letzte Weihnachten sein kann“
Und als sei das nicht traurig genug, ist da nun auch noch das sterbenskranke Kind: Wenige Wochen vor Weihnachten entdeckten Ärzte bei der jüngsten Tochter von Holger und Stefanie einen Hirntumor. Schwer zu behandeln, die Mediziner sagen: unheilbar. Gerade hat die Achtjährige eine erste Therapiepause, etwas Zeit ohne Bestrahlung, ohne Chemotherapie, zu Hause. Aber: „Die Angst ist immer da“, sagt Stefanie P.. „Dass es das letzte Mal sein kann, das letzte Weihnachten.“
Krankes Kind: Ärzte können den Hirntumor nicht operieren
Schon deshalb hat die 45-Jährige derzeit keine Kraft, in ihrem Beruf zu arbeiten; inzwischen bezieht sie nur noch Krankengeld. Bis 2023 war sie im Pflegedienst tätig, aber jetzt: Das kleine Kind braucht Unterstützung, muss ins Krankenhaus gefahren werden, immerzu begleitet. Und: Nach dem Tod des Vaters hatte die Grundschülerin ohnehin schon schwere Verlustängste, erzählt die Mutter, „sie will nicht eine Minute ohne mich sein“. Und Stefanie P. nicht ohne ihr Kind.
Außerdem ist da ja auch noch die „große“ Tochter, zwölf Jahre alt. Auch sie muss aushalten, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war. „Wie muss das sein für das Kind: Du verlierst jeden, den du liebst“, hat Roland van Waasen gesagt, der frühere Chef von Holger P. Der mit Freunden, Bekannten, Unbekannten zu sammeln begann, um der Ohnmacht zu begegnen, um der Familie zu helfen. Dabei könne man „gar nicht wirklich helfen“, glaubte van Waasen. Und reibt sich selbst die Augen beim Blick auf die Kontostände. Niemals hätte er mit diesem Erfolg gerechnet!
Polizeistiftung gab zusätzlich 10.000 Euro
49.508,45 Euro standen allein bei der Spendenplattform „GoFundMe“ am Beginn dieser Woche zu Buche. Weit mehr als 1000 Menschen haben über den Internet-Aufruf unter der Überschrift „Hilfe für die Familie in Not...“ gespendet, viele schrieben einen tröstenden Gruß dazu. Zusätzlich sammelte van Waasen über eine private Aktion 30.785,90 Euro – die dafür eingerichtete WhatsApp-Gruppe hatte seinen Handy-Account kurzfristig gesprengt. Frühzeitig stellte zudem die Mülheimer Polizeistiftung David und Goliath 10.000 Euro zur Verfügung. Und das alles, obwohl die Initiatoren zunächst auf maximal 5.000 Euro hofften.
Freunde in Sorge: „Familie steht vor dem Abgrund“
Und die Hilfe tut not. Die beiden Schicksalsschläge haben die Familie auch in finanzielle Bedrängnis gebracht. „Die Belastung ist enorm“, weiß van Waasen. Stefanie P. und ihren Kindern hätte andernfalls „der finanzielle Kollaps“ gedroht, steht im Spendenaufruf, sie stehe „vor dem Abgrund“. Das Mehrfamilienhaus im Mülheimer Norden, das Holger P. selbst sanieren wollte, ist noch nicht abbezahlt, aber auch das ist eine Folge der großen Hilfsbereitschaft: Handwerker-Kollegen haben angepackt, noch in diesem Monat können Stefanie P. und ihre Töchter in die eigene Wohnung einziehen.
Und die 45-Jährige ist dafür „unendlich dankbar“. Sprachlos nimmt sie die Unterstützung entgegen, zumal sie sich gut erinnert, dass sie am Anfang dagegen war. Sie wollte keine Hilfe, wollte nicht in die Öffentlichkeit, wollte alles allein schaffen. „Das war“, sagt sie nun, „falscher Stolz.“ Denn gerade, dass sie allein dasteht, ist ja ihr Problem: Es ist kein liebevoller Partner mehr da, der die Last mitträgt, „jede Entscheidung liegt bei mir“. Ihr Mann, sagt Stefanie P., sei „einfach viel zu früh verstorben“.
Die kleine Tochter aber sei „wahnsinnig tapfer“. Sie sei „eine tolle Achtjährige“, sagt ihre Mutter. „Sie macht alles toll mit“, äußere auch, was sie will und was nicht, entscheide mit. Was die Ärzte mit ihr machen, ertrage sie auf bewundernswerte Weise, auch wenn es unangenehm ist und weh tut: „Sie weiß, das ist ihre einzige Chance.“