Am Niederrhein. Italien, Spanien und Co rücken in weite Ferne. Urlaub in Deutschland gewinnt an Bedeutung. Davon könnte ausgerechnet der Niederrhein profitieren.
Privat hat es Martina Baumgärtner gut – sie war schon im Urlaub. Drei Wochen im Januar, „ausnahmsweise“, verrät sie. Beruflich bestimmen Sorgen ihren Alltag. Sie führt Niederrhein Tourismus, einen Zweckverband, bezahlt von den Kreisen Heinsberg, Kleve, Viersen und Wesel, um Gäste in die Region zu locken. Schwierig, in Corona-Zeiten. Deshalb – nachgefragt im Interview.
Vom Hotel- und Gaststättenverband NRW heißt es, ein Drittel der Branche sei durch die Corona-Krise in seiner Existenz bedroht. Wie ist die Situation am Niederrhein? Baumgärtner: „Ich habe von einigen Betrieben gehört, dass sie die Schließung weitere drei bis vier Wochen finanziell nicht verkraften werden. Deshalb ist es auch so erfreulich, dass nun die Öffnung erfolgen kann.“
Schließt sich Niederrhein Tourismus der Forderung an die Landes- und Bundesregierung nach einem Hilfsfonds für die Branche an? „Die Tourismusbranche ist, die am stärksten betroffene Branche und es wäre wünschenswert, wenn die Betriebe trotz Öffnung, zusätzlich auch weitere finanzielle Unterstützung erhalten würde wie etwa Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen.“
Messen, Tagungen und Seminare wird es in diesem Jahr kaum noch geben. Wie schwer wiegt dieser Verlust? „Auch das ist für die Betriebe sehr schmerzlich. Was es in Zahlen genau bedeutet, kann ich Ihnen sagen, wenn uns die Umsatzverlustberechnung von März bis Mai vorliegt und damit verbunden eine Hochrechnung der Umsätze für das zweite Halbjahr und für 2021. Dies haben wir in Auftrag gegeben.“
NRW will den Tourismus in einem Drei-Stufen-Plan wieder hochfahren. Kritiker werfen die Landesregierung vor, zu zögerlich zu sein. Sie auch? „Das sind schwierige Entscheidungen. Auf der einen Seite, die Gesundheit der Menschen im Blick zu haben und auf der einen Seite die Wirtschaft am Laufen zu halten oder stillgelegte Branchen wieder ans Laufen zu bringen. Die jetzt „guten“ Zahlen geben der Politik recht, dass es der richtige Weg war.“
Seit gestern dürfen Campingplätze, Ferienhäuser und -wohnungen öffnen, ab nächste Woche dann Hotels und Gastronomie. Stets unter hohen Auflagen, immer mit Einschränkungen. Wie sind die Betriebe für den Neustart gerüstet? In der „Nacht von Freitag auf Samstag wurde die neue Verordnung des Landes veröffentlicht mit allen Auflagen, die es zu berücksichtigen gilt. Jeder Betrieb ist nun angehalten diese in seinem Betrieb umzusetzen. Das genannte Datum der Öffnung ist ein „Ab-Datum“. Wer länger für die Vorbereitungen benötigt, kann natürlich auch später öffnen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Betriebe glücklich sind, wieder eine Perspektive zu haben und ihre Gäste begrüßen zu dürfen.“
Der Neustart in der Touristik ist an viele Hygienevorschriften gekoppelt. Wie gut sind Hotels- und Restaurants darauf vorbereitet? „Wie ich gehört habe, hat DEHOGA hierzu Konzepte entwickelt und den Betrieben zur Verfügung gestellt. Es geht in diesen Konzepten darum,wie interne betriebliche Abläufe gestaltet werden sollten, um den Auflagen zu entsprechen.“
Die Umsetzung der vielen Regeln kostet einiges an Aufwand, insbesondere Geld. Am Ende rechnet sich die Öffnung eines Betriebs vielleicht nicht mehr? „Dies kann auf kleine Betriebe mit wenigen Tischen oder Betten zutreffen. Diese wirtschaftliche Entscheidung muss jeder Betrieb für sich treffen.“
Letzten Endes werden wohl die Verbraucherpreise steigen: für Übernachtungen, Essen und Trinken... „Auch dies könnte eine Folge sein. Friseure und andere Dienstleister haben diese Mehrkosten bereits aufgeschlagen.“
Vom deutschen Reiseverband heißt es, die Zahl der Inland-Buchungen steige gerade spürbar an. Welche Trendmeldungen gibt es dazu aus den Kreisen Kleve und Wesel? „Auch bei uns gibt es vermehrte Anfragen. Allerdings können die Verluste, die die Betriebe in den letzten Wochen eingefahren haben, damit nicht aufgefangen werden. Einige haben mir signalisiert, dass sie drei Jahre und mehr benötigen, um diese Verluste wieder zu kompensieren.“
Ihre Botschaft an den Rest der Republik: Auf zum Niederrhein, denn... … „hier können Sie den Freiraum genießen. Es erwarten Sie tolle Gastgeber, leckere Küche, große Auswahl an Kultur und jede Menge Spaß. Vor allen Dingen stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis.“
So weit, so gut. Aber hat der Niederrhein Tourismus eine Chance gegenüber Alpen und Allgäu, Nord- und Ostsee? „Wir sind bislang als Kurzreiseregion bekannt und unser Ziel mit der Marke Niederrhein „so gut so weit“, war es, ganzjährig als attraktives Ziel zu gelten.“
Zwei Wochen Urlaub in der Sonsbecker Schweiz, mit Verlaub, das erscheint sehr ambitioniert? „Der Anteil der Tagestouristen ist sehr hoch, aber 2,4 Millionen Übernachtungen in 2019 ist eine stolze Leistung. Seit zehn Jahren verzeichnen wir kontinuierlich steigende Übernachtungszahlen.“
Mit dieser Rekordserie wird 2020 Schluss sein – oder? „Ja, das ist richtig. Aber einen Wert, den wir in unserem Markenprozess für den Niederrhein ermittelt haben, ist „Anpacken“. Wir alle werden die Ärmel hochkrempeln und jeder wird seinen Beitrag leisten, um den Tourismus in der Region wieder hochzufahren.“