An Rhein und Ruhr. Die Arbeitsgerichte werden bei der Gewerkschaft hinschauen, ob sie nicht auch Arbeitgeber ist: Sie wirbt der Bahn die Lokführer ab.
Die gute Nachricht zuerst: Ab April kommen neue Lokführer auf den Markt. Die Genossenschaft „Fair Train“ hat erste Arbeitsverträge abgeschlossen, nur die Kündigungsfristen bei den alten Firmen verhindern bislang, dass die dringend benötigten Triebfahrzeugführer schon starten können. Zudem sei man mit einer „mittleren zweistelligen Zahl von Bewerbern“ im Gespräch.
Das Besondere an „Fair Train“ ist nicht nur, dass die Genossenschaft bereits seit Oktober den Tarifabschluss mit der GdL hinbekommen hat. Das muss einen nicht so richtig verwundern, denn der Vorstand der Genossenschaft ist eng verbandelt mit der GdL, die „Fair Train“ ins Leben rief. Das mutmaßliche Kalkül: Wenn Lokführer ein knappes Gut sind, lässt sich mit ihnen gutes Geld als Leiharbeitskräften verdienen. Auf Kosten von Bahnunternehmen wie DBRegio.
Gewerkschaft als Unternehmer? Geht das?
Die haben quasi nur die Wahl: direkt den Forderungen der Gewerkschaft nachgeben – oder für noch mehr Geld Leihlokführer einkaufen. Ob das rechtens ist, dass eine Gewerkschaft zumindest indirekt auch als Arbeitgeber tätig, lässt die DB jetzt juristisch prüfen. Auch bei den Eilverfahren zur Verhinderung des Streiks vor den hessischen Arbeitsgerichten dürften diese Fragen bereits eine Rolle spielen. Juristen ziehen bei einer derartigen Konstruktion die Augenbrauen hoch.
Denn laut Tarifrecht braucht es die sogenannte „Gegnerfreiheit“: Eine Arbeitnehmervertretung kann nicht gleichzeitig zum Arbeitgeber mutieren, die Geschäftsführung sich nicht die Arbeitnehmervertreter aussuchen. Das scheint immerhin auch vielen Lokführern im Hinterkopf herumzugehen, sonst würden vermutlich noch weit mehr von ihnen zur noch jungen Genossenschaft wechseln.
Im Eilverfahren mochten die Arbeitsrechtler in Hessen das auch in zweiter Instanz nicht entscheiden. und deswegen den Streik nicht untersagen. Ob und wie eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren ausfällt, ist jedoch offen.
Aber egal wie das juristische Spiel mit der Genossenschaft als Leiharbeitgeber ausgeht: Die Leiharbeit wird zum großen Problem der Branche. So flatterten nach NRZ-Informationen dem Bahnunternehmen National Express Ende 2023 gleich 30 Kündigungen von Lokführern auf den Tisch. Das Unternehmen zieht daher zum Fahrplanwechsel die Notbremse, stellt eine RRX-Linie vorerst halb ein und kürzt weitere Zugfahrten weg.
Und Leiharbeitsfirmen natürlich auch nicht, selbstredend auch nicht „Fair Train“. Aber warum überhaupt kommt eine Gewerkschaft auf die Idee, eine Genossenschaft als (Leih-)Arbeitgeber zu gründen? Gewerkschaften, die sonst über Jahrzehnte Leiharbeit als Ausbeutung skandalisiert haben. Was oft genug gelten mag, aber nur solange es ein Überangebot von Arbeitnehmern gibt. In der Pflege – und jetzt auch bei der Bahn – wird Leiharbeit zum Geschäftsmodell für pfiffige Unternehmen. Ein hochrangiger Bahnmanager wechselte erst jüngst zu einer Mannheimer Lokführer-Leihfirma mit 700 Beschäftigten. Er wird wissen, warum.
Die Leiharbeiter-Genossenschaft, aus der Not geboren
Bei der GdL indes ist die Idee auch aus einer gewissen Not heraus entstanden: Die Gewerkschaft der Lokführer ist im Vergleich zur Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) deutlich kleiner: sie vertritt rund 40.000 Bahner, die EVG rund 185.000. Gemäß dem Tarifeinheitsgesetz ist in Betrieben immer jene Gewerkschaft federführend, die mehr Mitglieder hat. Sie hat sich zudem einen kundigen Geschäftsführer gesucht: Peter Bosse war Personalchef unter anderem bei Vias (fährt u.a. den RE19 und übernimmt jetzt das Ruhr-Sieg-Netz von Essen über Hagen ins Sauerland) und der insolventen Abellio Rail NRW.
Die GdL versucht, gleich auf zwei Wegen ihre Forderungen durchzusetzen: Direkt durch (Warn-)Streiks und indirekt, in dem sie ihre in der Genossenschaft „Fair Train“ eingestiegenen Arbeitnehmer an Bahnunternehmen zurückvermietet. Was den Betriebsfrieden dort stören dürfte, wenn Leihlokführer deutlich mehr verdienen als die Stammbelegschaft.
1500 Euro mehr bei Leiharbeitsfirmen
Wenn der einstige Traumberuf kleiner Jungs zum Alptraumberuf mit Schichtdienst für viele, oft überalterte Damen und Herren wird, die von Baustellen, Verspätungen, Mängeln an Fahrzeugen genauso genervt sind wie die Fahrgäste, stoßen Angebote von Zeitarbeitsfirmen auf weit geöffnete Ohren, die den „Triebfahrzeugführern“, wie sie offiziell heißen, angenehme Arbeitsbedingungen und netto einen oder anderthalb Tausender mehr im Monat versprechen.
„Alle angeln im gleichen Teich. Doch die Leiharbeitsfirmen haben die fetteren Köder“, sagt ein Brancheninsider. Dem Lockruf des Goldes folgen viele. Und die Verkehrsunternehmen in der Region, von Eurobahn über Transdev, Vias, National Express bis zur DB Regio müssen sehen, wie sie genug Personal bekommen, um ihre Züge besetzen zu können. Das – der Fahrgast spürt es nicht nur an Streiktagen – gelingt immer seltener. Immerhin streiken derzeit etliche der privaten Bahnunternehmen nicht, weil sie bereits Abschlüsse erzielt haben. Auch mit der GdL.
Die Zeitarbeitsfirmen bieten selbstredend ihre Hilfe an: fertig ausgebildete Triebfahrzeugführer. Gern, aber gegen deutlich höhere Kosten als sie für das Stammpersonal fällig wären. Eine Goldgrube für findige Personalagenturen, eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera für die Bahnunternehmen. Bei denen ist die Rechnung schlicht diese: Was ist teurer? Die Strafe für den nicht gefahrenen Zug - oder der Aufschlag für den Leihlokführer?
NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) dazu: „Ich kann nur an die Verkehrsunternehmen appellieren, auf diese Angebote nicht einzugehen. Wenn wir uns gegenseitig das Personal über Leiharbeitsfirmen abwerben, wird es nur teurer aber nicht besser.“ Skeptiker fürchten sogar, dass es so teuer wird, dass einige Bahnunternehmen in Schieflage geraten könnten, oder wie Abellio vor knapp zwei Jahren in die Insolvenz gehen könnten.
Mit noch weit schwerwiegenderen Folgen für den Bahnverkehr in der Region als „nur“ einem Streik. Gleichwohl räumt National Express gegenüber der NRZ ein: „Inzwischen ist der Einsatz von Leihtriebfahrzeugführer für den Erhalt von Zugleistungen bei National Express sowie in der gesamten Branche notwendig.“ Sie seien auf allen Linien eingesetzt. Fernziel sei indes, alle Linien wieder mit eigenem Personal betreiben zu können.
Mit Leihlokführern über die Grenze
Dabei wähnte sich NRW auf einem guten Weg. Mit dem Projekt „Fokus Bahn NRW“ war zumindest auf Landesebene mit zahlreichen Verkehrsunternehmen festgeschrieben, dass sie sich nicht gegenseitig die Lokführer wegnehmen. Und wenn Triebfahrzeugführer doch die Firma wechseln, müssen Betriebe, wie im Fußballvereine, eine Abgabe zahlen an jene Firma, die die Leute ausgebildet hat. Problem dabei: Weder DB Fernverkehr, Flix oder Güterzuganbieter sind dem Bündnis beigetreten.
Dass Leiharbeitnehmer in der Praxis durchaus eine sinnvolle Option sein können, lässt sich beispielsweise beim Regionalexpress von Düsseldorf nach Arnheim beobachten: In Emmerich wechselt der Lokführer, ein Leiharbeitskollege, der auch die niederländische Sprache und – noch wichtiger – die Signaltechnik des Nachbarlandes kennt und dort fahren darf, übernimmt den Zug. Und kann womöglich über die Leihfirma auch noch Güterzüge von und nach Rotterdam mindestens bis zur Grenze bringen: Fachpersonal mit Doppelqualifikation sinnvoll eingesetzt. Schon wieder eine gute Nachricht bei der Bahn.