An Rhein und Ruhr. Nach 16 Jahren verschwindet Abellio in NRW vom Markt - die Konkurrenz übernimmt. Das traurige Ende einer Erfolgsgeschichte und wie es dazu kam.
Auf wichtigen Pendlerstrecken in NRW sind am Montagabend letztmals Züge des Regionalbahnunternehmens Abellio Rail GmbH unterwegs gewesen. Die finanziell schwer angeschlagene Firma scheidet um Mitternacht aus dem Markt aus. Am Dienstag übernehmen die Bahnfirmen DB Regio, National Express und Vias die Strecken. Im Grunde endet es fast so wie es begonnen hat: Auf der Linie zwischen Essen und Hagen rollen, für den Übergang bis Ende Februar, wieder so genannte N-Wagen. gebaut in den 60er-Jahren. Geliebt bei Eisenbahnfans, unter anderem, weil man die Fenster öffnen kann (statt Klimaanlage). Bei Bahnpendlern, insbesondere bei denen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, ist die Begeisterung gering. Mit solchen Wagen begann es für Abellio, im Dezember 2005.
Die kleine Tochter der Essener Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft sowie der Essener VerkehrsAG, wurde gegründet in der Hoffnung, mit Nahverkehr auf der Schiene Geld verdienen zu können. Die ersten Züge waren alt und geliehen, der Vertrag lief ja nur für zwei Jahre. Es musste vor Gericht erstritten werden, dass der Nahverkehr in NRW nicht einfach ein großes Paket bleibt, das naturgemäß nur die Deutsche Bahn stemmen konnte.
Der Platzhirsch DB fährt heute nur noch jeden zweiten Zug
Der damalige Platzhirsch Deutsche Bahn hat vermutlich milde gelächelt über die jungen Wilden, die da auf die Strecke gingen. Wolfgang Meyer, einer der Köpfe hinter der Revolution im Nahverkehr, damals Geschäftsführer, ist heute seit 14 Jahren Berater von Verkehrsunternehmen und sieht den Abschied von Abellio „mit einer Träne im Knopfloch“.
Schuld ist aus seiner Sicht nicht die operative Ebene: „Diese Leute haben einen guten Job gemacht. Abellio war bei den Kundenbewertungen immer auf den vorderen Plätzen.“ Im Dezember 2005 stand er in Bochum an der Bahnsteigkante, schaute sich die letzte Abfahrt der DB an und die Ankunft des ersten eigenen Abellio-Zuges. Den gab es auch, der ging jedoch nach Gelsenkirchen. „Glückauf-Bahn“ heißt diese Strecke. Der Name war für Abellio lange Programm.
Auch, wenn es Meyer schwer fällt: Der Ausstieg von Abellio, die Notvergabe samt Ersatzverkehr und „Ruckeln“ ist für ihn dennoch ein Signal, dass der Markt funktioniert: „Der eine Marktteilnehmer geht und andere übernehmen.“ Doch der Markt und der Wettbewerb – sie sind durch die Abellio-Pleite und den Ausstieg von Keolis, die vor allem in Westfalen Linien betreiben, mehr als nur ins Ruckeln geraten.
Mancher stellt schon die Systemfrage: Soll es Ausschreibungen geben?
Die Erschütterungen im politischen Raum sind so stark, dass mancher schon die Systemfrage stellt. Sind Ausschreibungen im Schienenverkehr sinnvoll? Erste Antwort: Zumindest waren sie es. In den gut 16 Jahren gab es mindestens über drei Viertel der Zeitstrecke Gewinne – vor allem für die Kundinnen und Kunden: Deutlich mehr Nahverkehr fürs Geld.
NordWest- und Eurobahn, Vias und NationalExpress machten die Schienen bunt. Der Marktanteil der DB ist in NRW auf knapp 50 Prozent gesunken. Die Vielfalt, die Qualität und die Zuverlässigkeit sind über mehr als ein Jahrzehnt deutlich gestiegen.
In den letzten fünf Jahren indes ist das System, durch Ausschreibung die bestmögliche Leistung fürs Geld zu bekommen, ins Wanken geraten. Zum einen, weil die Gewerkschaften deutlich mehr Freizeit und Geld für ihre Mitarbeiter haben aushandeln können. Zum anderen, weil DBNetz mit zahlreichen Bauprojekten und oft lange verschleppten Sanierungen die Bahnstrecken in NRW in eine Art Hindernisparcours verwandelt hat: Kaum noch ein Fahrplan lässt sich so fahren wie die Unternehmen ihn einst kalkuliert haben.
Mittlerweile hat sich bei den Aufgabenträgern die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Verträge verändert werden müssen: Das Baustellenrisiko sollen nicht die Zugbetreiber schultern, ein eigener Lohnkostenindex soll her. Indes muss sich Abellio, seit 2008 im Besitz der Niederländischen Staatsbahn, fragen lassen, ob es sich nicht verhoben hat und mit verlustreichen Markteintrittspreisen zwar Wettbewerbe und Linien gewonnen hat, aber ins millionenschwere Defizit rutschte. Hinzu kam Missmanagement bei der Übernahme der S-Bahn RheinRuhr und zwei RRX-Linien. Abellio schaffte es nicht – auch wegen Corona – schnell genug genügend Personal auf die Strecke zu bringen.
Die Westfalen und Franzosen wurden sich einig, die Rhein- und Niederländer nicht
Dass zwischen VRR und Abellio, anders als zwischen dem westfälischen Aufgabenträger und Keolis (einst Tochter der französischen Staatsbahn) – jetzt Eurobahn – trotz jahrelanger Verhandlungen kein anderer Ausweg als Insolvenz und Notvergabe gefunden wurde, bleibt ein Makel.
Andere Abellio-Netze – das Unternehmen wuchs längst über NRW hinaus – blieben erhalten. Die Tochter Westfalenbahn hat überlebt, Abellio Mitteldeutschland auch. In VRR-Gremien und in der Landespolitik darf man sich die Frage stellen: Was genau schreibt man eigentlich noch aus? Die Fahrzeuge und die Werkstätten gehören dem VRR, das Personal muss übernommen und der Fahrplan steht fest. Der Wettbewerb auf der Schiene ist ein Wettbewerb der vertraglich Gefesselten.
Und ganz zum Schluss: Das ist Abellios letztes Geheimnis...
Auf der Suche nach einem Namen für ein Busunternehmen für Mülheim Essen und Oberhausen brachte ein Grafiker den Namen ins Spiel. Abellio-Chef Meyer gefiel der Name so gut, dass er ihn für das Bahnunternehmen nahm. Abellio, ein Lokalgott im Tal der Garonne, ist vermutlich eine Fusion des griechischen Gottes Apollon (kretisch: Abelios) und dem keltischen Sagenhelden Afallach. Apfel, Bellum (wie Krieg und Glocke) schwingen auch mit.