An Rhein und Ruhr. ÖPNV, Klima und Jobs – was die Bürger vom vermeintlichen Energieträger der Zukunft haben und welches Potenzial die Politik sieht

Das Land NRW und die hiesige Wirtschaft investieren verstärkt in Wasserstoff. Doch was haben einfache Bürger konkret vom Ausbau des vermeintlichen Energieträgers der Zukunft? Das Wirtschaftsministerium sieht Vorteile bei Klimaschutz und Verkehr. Die Gewerkschaft IG Metall betont die Chancen für den Arbeitsmarkt.

Wasserstoff in Voerde und Duisburg

„Am meisten profitieren Bürgerinnen und Bürger vom Wasserstoff, wenn sie seine Vorteile im Alltag erfahren“, meint Andreas Rimkus, Düsseldorfer SPD-Bundesabgeordneter und Wasserstoffbeauftragter seiner Fraktion. „Wenn Pkw, Lkw und Busse mit Wasserstoff fahren, und zwar leise und ohne schädliche Abgase, dann gewinnen alle ein Stück Lebensqualität.“

Die Wasserstoffwirtschaft könne unmittelbare Vorteile für die Menschen liefern, ist sich Wasserstoffexperte Rimkus sicher. „Die Stadtwerke in Düsseldorf wollen grünen Wasserstoff produzieren, der dann die neue Bus-Flotte antreiben soll.“ So biete man möglichst vielen Menschen Teilhabe an der Energiewende, „und zwar auf bezahlbare und nachhaltige Art und Weise.“

Wie wird Wasserstoff erzeugt?

Zur Erzeugung von Wasserstoff gibt es verschiedene Methoden. Die bekannteste ist die herkömmliche Variante, mit der aus fossilem Erdgas unter hohen Temperaturen und Druck Wasserstoff und CO2 als Abfallprodukt entstehen. Diese Methode, mit der Grauer Wasserstoff produziert wird, gilt als klimaschädlich, da pro Tonne Wasserstoff zehn Tonnen CO2 anfallen, wie das Bundesforschungsministerium erklärt.

Grüner Wasserstoff dagegen nutzt Energie aus erneuerbaren Produzenten wie Wind- oder Solaranlagen. Hierfür wird die Elektrolyse verwendet, wodurch der Wasserstoff aus Wasser gewonnen wird. Als Nebenprodukt fällt nur Sauerstoff an. Derzeit liegt die Effizienz dieser Methode bei 70 Prozent. 30 Prozent der Energie gehen also noch verloren.

Dazu gibt es auch noch den Blauen Wasserstoff, bei dem das bei der Erzeugung von Grauem Wasserstoff anfallende CO2 im Erdboden gespeichert wird. Türkiser Wasserstoff wird aus Methan gewonnen, wobei statt CO2 fester Kohlenstoff als Nebenprodukt entsteht. Das Verfahren befindet sich noch in der Entwicklung. Orangener Wasserstoff schließlich wird aus Abfall und Reststoffen gewonnen.

Zum Ausbau des Wasserstoff-Netzes werden in Zukunft weitere Leitungen verlegt werden, wie jene zwischen Emmerich und Bocholt oder zwischen Voerde und Duisburg-Walsum. Ein Ausbau, der nicht allen Anwohnern gefällt, durch deren Garten so eine Leitung in Zukunft laufen könnte.

Und auch Projekte, wie die Entwicklung eines Wasserstoff-Zentrums an der Stelle des alten Kraftwerks in Voerde, gehören zu den Investitionen in die moderne Technologie dazu. Angesichts der aktuellen Haushalts-Krise der Bundesregierung, gibt es jedoch Befürchtungen, dass diese Investitionen vorerst auf Eis gelegt werden könnten.

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Land NRW: Wasserstoff als Baustein für Klimaneutralität

Das NRW-Wirtschaftsministerium sieht im Wasserstoff aber weiterhin Chancen, auch für einen abgasfreien Verkehr. Dabei werde Wasserstoff eher im Güterverkehr und im ÖPNV zum Einsatz kommen. „Bei Pkws sollte aus Effizienzgründen die Elektromobilität Vorrang haben“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Im ÖPNV bieten leisere Bussen und Bahnen „ein angenehmeres Fahrgefühl und sie verursachen weniger Lärm- und Schadstoffemissionen.“

Die reduzierten Abgase seien dabei ein Faktor beim Klimaschutz. „Grüner Wasserstoff, der mit Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, spielt eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045“, so die Ministeriumssprecherin.

Dabei reduziere man nicht nur CO₂-Emissionen, sondern auch die Abhängigkeit von Exportländern fossiler Rohstoffe. „Prinzipiell können deutlich mehr Länder in Zukunft Wasserstoff exportieren, als es heute Exportländer für fossile Rohstoffe gibt.“

IG Metall für 32-Stunden-Woche in Industrie

Die Gewerkschaft IG Metall NRW vertritt die organisierten Arbeitnehmer der Branchen Metall/Elektro, Stahl, Textil/Bekleidung, Holz/Kunststoff und Informations- und Kommunikationstechnologiebranche im Land. Durch die Umstellung auf eine wasserstoffbasierte Produktion soll die Stahlindustrie in NRW gehalten werden. Nach einer Übergangsphase, in der mit alter und neuer Technologie Stahl produziert wird, werde es in der Branche aber in einigen Jahren zu Druck auf die Beschäftigten kommen, sagt Gewerkschaftssprecher Mike Schürg.

„Die neue Technologie ist produktiver und bestimmte Tätigkeiten fallen weg. Dann braucht es ein Instrument, damit Beschäftigte ihren Arbeitsplatz behalten können“, so der IG-Metall-Sprecher. „Hier spielt die Arbeitszeitverkürzung eine herausragende Rolle.“ Die Gewerkschaft wolle daher in der aktuellen Tarifrunde für die Beschäftigten der Stahlindustrie eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich erreichen. „Die vorhandene Arbeit wird auf mehr Schultern verteilt und sichert Beschäftigung.“

Dabei jedoch müsse man den Bedarf zuerst aus eigener und europäischer Produktion decken, betont indes Dirk Jansen, Sprecher des Naturschutzverbandes BUND NRW: „Auf dem Weg zur notwendigen Klimaneutralität kommt Wasserstoff – wenn er denn aus erneuerbaren Energien erzeugt wird – eine zentrale Rolle zu. Mit Wasserstoff kann Energie gespeichert, umgewandelt oder durch Verbrennung zu hohen Temperaturen freigesetzt werden.“

Jansen meint: „Sowohl bei der Umstellung der Erdgaskraftwerke auf einen CO₂-neutralen Brennstoff als auch bei vielen industriellen Prozessen und Produkten führt an grünem Wasserstoff kein Weg vorbei.“

Keine neuen Abhängigkeiten schaffen

Der BUND fordert, „dass vorrangig auch die nationalen und europäischen Potenziale zur Produktion grünen Wasserstoffs genutzt werden“. Das schaffe Energiesouveränität, nutze die hiesigen Wertschöpfungsketten und vermeide neue Energieabhängigkeiten. „Für notwendige Wasserstoffimporte müssen tragfähige soziale und ökologische Standards entwickelt werden.“ Aus Klimasicht sei auch wichtig, dass die Produktionsländer vor Ort zunächst ihre eigenen Bedarfe decken, bevor sie exportieren.

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In NRW investieren derweil auch Unternehmen wie ThyssenKrupp in Wasserstoff und sie richten ihre Geschäftsmodelle darauf aus. Darin sieht das Wirtschaftsministerium Chancen für den Arbeitsmarkt.

Wasserstoff trage dazu bei, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben in Unternehmen des produzierenden oder verarbeitenden Gewerbes wie der Glas-, Stahl- oder Chemieindustrie, betont die Sprecherin. „Unternehmen, die auf Wasserstoff umsteigen, haben beste Chancen, weiterhin hier am Standort zu produzieren. Davon profitieren viele Bürgerinnen und Bürger direkt.“

Potenzial für 130.000 neue Jobs in NRW

Für Andreas Rimkus hat Wasserstoff aber auch das Potenzial, Jobs zu schaffen, nicht nur zu erhalten. „Wenn die Wasserstoffwirtschaft hochläuft, haben wir die Chance auf erhebliche Wertschöpfung und eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz – und das mit gut bezahlten Industriearbeitsplätzen. NRW ist dabei aufgrund seiner hohen Industriedichte und seiner bestehenden Infrastruktur in einer sehr guten Ausgangsposition.“

Ihn wundere es daher nicht, dass für NRW mit rund 130.000 neuen Arbeitsplätzen gerechnet wird. Für ihn ist das sogar noch eine konservative Schätzung.

Die Arbeitsplätze gebe es dann in mehreren Sektoren. In der Industrie und bei den Dienstleistungen, erklärt Rimkus. „Das geht vom Industriemechaniker über Elektriker, zu Ingenieuren und auch Kaufleuten. Das ist universell. Deswegen brenne ich so dafür, denn das Potenzial ist richtig groß.“

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Gewerkschaft fordert Tempo beim Wasserstoff-Ausbau

Die Gewerkschaft IG Metall NRW fordert dafür aber Planungssicherheit für die Unternehmen. Man wolle, „dass die Klimaschutzziele erreicht werden und NRW gleichzeitig ein Industriestandort mit guten Arbeitsplätzen bleibt“, so Sprecher Mike Schürg.

Für beides brauche es die ökologische Transformation der Industrie, gerade auch der Stahlindustrie. „Um die Klimaziele einhalten zu können, muss zum Beispiel Stahl künftig mit Wasserstoff und übergangsweise mit Gas hergestellt werden. Wasserstoff ist damit ein wichtiger Schlüssel zur Dekarbonisierung industrieller Prozesse.“

Die Politik müsse jedoch schneller am Ausbau der Infrastruktur und der Versorgungssicherheit arbeiten, fordert die Gewerkschaft. „Ohne eine offensive Wasserstoffstrategie der Bundesregierung besteht eine massive Bedrohung für die rund 80.000 Beschäftigten in der Stahlindustrie, aber auch bei vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten.“ Es werde nur gelingen, die Stahlindustrie durch die Umstellung auf wasserstoffbasierte Produktion grundsätzlich in NRW zu halten.