Duisburg/Düsseldorf. Die Sicherheit der Jüdischen Gemeinden in Düsseldorf und Duisburg ist erhöht worden, trotzdem sind sie in Habachtstellung. Was sie besorgt.

Die Blumen, die vor der Synagoge in Duisburg liegen, lassen ihre Köpfe hängen, Regentropfen perlen von der sie schützenden Folie ab. Es ist, als weine der Himmel über all das Leid, das am 7. Oktober über Israel und die Welt hereingebrochen ist. Rabbiner David Geballe ist froh, wenn in ein paar Stunden der Shabbat beginnt und er sein Mobiltelefon ausschalten kann, wie es das Judentum am Ruhetag verlangt. 24, 25 Stunden lang Pause von den schrecklichen Nachrichten und Bildern. Seit dem 7. Oktober, dem Tag als die terroristische Hamas Israel angegriffen hat, hat sich das Leben in den Jüdischen Gemeinden an Rhein und Ruhr verändert. Mal wieder.

Die Polizisten drehen ihre Runde um die Synagoge in Duisburg, beim Betätigen der Klingel schwenkt die Videokamera um, der Mann an der Pforte schaut dem Besuch in den Rucksack, lässt sich den Personalausweis zeigen. Dann öffnet sich die Tür aus der Schleuse hinein ins Gotteshaus. Die Sicherheit ist seit den schrecklichen Ereignissen vor zwei Wochen an allen jüdischen Einrichtungen verstärkt worden.

Kinder verheimlichen ihren Glauben

Rabbiner David Geballe, ein großer, kräftiger Mann, scheint äußerlich ruhig zu sein. „Es ist A nichts Neues und B nicht überraschend“, sagt er. Immer, wenn es eine Bedrohungslage in Israel gebe, „ist es dasselbe.“ Gemeindemitglieder werden gebeten, nicht zu lange draußen vor der Synagoge zu stehen und die Augen offen zu halten. „Dass ein Gotteshaus überhaupt geschützt werden muss, ist eine Schande“, sagt der 42-Jährige.

Demo in Düsseldorf- Jüdische Gemeinde in Sorge

Angesichts der angekündigten pro-palästinensischen Demonstration in Düsseldorf an diesem Samstag sorgen sich Vertreter der Jüdischen Gemeinden an Rhein und Ruhr um das jüdische Leben in Nordrhein-Westfalen. Der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, Dr. Oded Horowitz, plädiert gar für ein Verbot. „Ich verstehe nicht, warum die Polizei Demos, die sich zu Gewalt gegen Juden entwickeln, trotzdem erlaubt, obwohl sie den öffentlichen Frieden stören“, sagt er gegenüber der NRZ.

In Hamburg seien Demos mit Verweis auf die Sicherheitslage bereits untersagt worden. Horowitz rät Jüdinnen und Juden in Düsseldorf sogar, sich am Samstag aus den Bereichen der Demo fernzuhalten und „größte Vorsicht walten zu lassen“. „So etwas einem Juden in Deutschland im Jahr 2023 zu raten, das tut richtig weh“, sagte er weiter. Er und seine Gemeindemitglieder seien entsetzt, „wie hier vor Ort Menschen in dieser Gesellschaft die Tode und Morde verherrlichen und feiern, auf die Straßen gehen und bedrohliche Szenarien für Juden aufbauen“. Das führe dazu, dass Jüdinnen und Juden wirklich ängstlich seien.

„Ältere Mitglieder haben Angst, dass wieder Pogrome stattfinden. Sie fragen sich, wer kann sie schützen?“, sagt Horowitz. Ähnliche Eindrücke schildert auch Rabbiner David Geballe der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen. Die Hälfte der Kinder aus der Gemeinde verheimlichten in der Schule, dass sie jüdischen Glaubens sind, weil dies zu Problemen führen kann. Er fordert Justiz und Polizei auf, strikt durchzugreifen. Und er wie Horowitz fordern sowohl von der Politik als auch von der Zivilgesellschaft eine klare Haltung und Zivilcourage.

Es ist wie verhext: Die Sicherheit wird erhöht, doch gleichzeitig steigt die Unsicherheit. Jüdinnen und Juden tragen ihre Kette mit dem Davidstern nicht mehr sichtbar über dem Pullover, Schülerinnen und Schüler verheimlichen ihren Mitschülern, dass sie jüdischen Glaubens sind, berichtet Rabbiner Geballe.

Studentinnen und Studenten leiden unter Panikattacken

Auch Oded Horowitz, der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, mit rund 7000 Mitgliedern die drittgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands, weiß von Eltern, die ihre Kinder nicht mehr in die Kita bringen; weiß von Studentinnen und Studenten in Wohnheimen, die unter Panikattacken leiden und sich Beruhigungsmittel vom Arzt verschreiben lassen; weiß von älteren Menschen, die Angst vor Pogromen haben und fragen, wer ihnen helfen kann.

Mit Unverständnis und großer Sorge blickt er auf die propalästinensische Demonstration, zu der am Samstag 2000 Menschen in Düsseldorf erwartet werden. Gemeindemitglieder würden nachfragen, ob sie jüdische Symbole an ihren Häusern aus Sicherheitsgründen entfernen sollten. „Viele unserer Mitglieder fragen sich ernsthaft, ob jüdisches Leben in Deutschland in Zukunft noch Platz hat“, sagt er. Prinzipiell rät Horowitz Jüdinnen und Juden in Düsseldorf, sich am Samstag aus den Bereichen der Demo fernzuhalten und „größte Vorsicht walten zu lassen“. „So etwas einem Juden in Deutschland im Jahr 2023 zu raten, das tut richtig weh“, sagt er.

Beratung, Gebete und Spendensammlungen

Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf bietet weiterhin Gottesdienste an, auch wenn sie aus Angst weniger Menschen besuchen. „Zu dem Zeitpunkt, wenn wir Gottesdienste absagen müssen, ist das eine Kapitulation auf ganzer Linie“, sagt Oded Horowitz. Außerdem bietet die Gemeinde psychologische Unterstützung und sichere Räume an, wo sich Menschen austauschen können. Und sie sammelt Spenden, um Menschen in Israel zu unterstützen, die aus den Krisengebieten wegziehen mussten und nicht viel mitnehmen konnten. Aus der Gemeinde Duisburg, die auch Mitglieder in Dinslaken und Wesel hat, gingen ebenfalls Sachspenden über Initiativen nach Israel, Socken oder Handyladegeräte für die Soldaten. Rabbiner Geballe schließt in den Gottesdiensten nun auch das Gebet für die Soldaten und Entführten ein.

Horowitz appelliert im Gespräch mit der Redaktion eindringlich an alle politischen Träger, „alles in ihrer Macht Stehende zu tun, ihre Kontakte zum Iran, zur Türkei und zu Ägypten zu nutzen, um die Geiseln zu befreien“.

Er sieht auch die Stadt- und Zivilgesellschaft in der Pflicht, gegen Antisemitismus aufzustehen. „Alle Menschen sollen aktiv dafür sorgen, dass diejenigen, die jüdisches Leben verunmöglichen wollen, sich hier nicht wohlfühlen“, wünscht er sich und zieht einen Vergleich mit dem Fußball: Wenn Hooligans im Stadion Ärger machen, kann sie das ganze Publikum ausbuhen und deutlich machen, dass sie nicht im Recht sind. Horowitz sei dankbar für die vielen Solidaritätsbekundungen, die seine Gemeinde erreichen. Aber wichtig sei auch jeder Einzelne, der in der Straßenbahn aufstehe, wenn einem Juden Unrecht widerfährt.

Das fordert auch Rabbiner Geballe ein. Jetzt sei die Zeit, die auf den Holocaust bezogenen Worte „Nie wieder“ mit Taten zu untermauern. Ja, er begrüße die politische Staatsräson, „doch der Fakt auf den Straßen ist leider ein anderer“, sagt er. Jahrelang sei Antisemitismus, der „muslimisch geprägt ist“, weggewischt und verharmlost worden. „’Du Jude’ ist seit Jahren ein gängiges Schimpfwort in Schulen“, schildert er. Es brauche mehr pädagogische und präventive Angebote, Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer und auch neue Lehrpläne, meint er.

Justiz soll Straftaten konsequent ahnden

Der Rabbiner fordert ein striktes Durchgreifen von der Justiz. Warum, fragt er sich, könne ein Mann nach dem Brandanschlag auf eine Synagoge in Berlin mit dem Elektroroller an der Polizei vorbeifahren, israelfeindliche Parolen rufen und werde nach der Identitätsfeststellung wieder freigelassen?

Auch wenn der Geistliche äußerlich ruhig wirkt, ist ihm anzumerken, wie sehr ihn der Krieg und die Situation vor unser aller Haustür belastet. „Jeder, der solche Gräueltaten bejubelt, zeigt, dass er die westlichen Werte nicht respektiert“, sagt er.

Manchmal klingt Verbitterung in seinen Sätzen. Er weiß, dass es vielen Gemeindemitgliedern ähnlich geht. „Sie sagen, bei all den Bildern aus Israel und von unseren Straßen entwickeln sie einen Groll, teilweise Hass, gegen den Islam, und dass sie sich nicht zu helfen wissen“, beschreibt er. Eine Antwort biete die jüdische Religion, in der es heißt: Man soll nicht einen Menschen hassen, sondern seine Taten. „Diese Handlung wird immer schwerer“, sagt der Rabbiner.