Düsseldorf. Tragen Integrationsräte zur demokratischen Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund bei? Das spricht für sie, das dagegen.

Tragen Integrationsräte dazu bei, Menschen mit Migrationshintergrund an Rhein und Ruhr eine demokratische Teilhabe zu ermöglichen? Oder haben sie vielmehr die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt? Andreas Blätte, Politikwissenschaftler und Professor an der Universität Duisburg-Essen, sprach in der vergangenen Woche bei der Vorstellung einer Studie über die Vielfalt in der Kommunalpolitik davon, dass Integrationsräte durch eingeschränkte politische Gestaltungsmöglichkeiten und auch eine geringere Wahlbeteiligung nicht geeignet wären, eine bestehende Repräsentationslücke zu schließen. Tayfun Keltek hält nun dagegen: „Die Integrationsräte sind als Instrument der politischen Partizipation der Menschen internationaler Familiengeschichte in den Kommunen unverzichtbar.“

Keltek, der gebürtig aus der Türkei stammt und seit 1970 in Köln lebt, ist seit 1996 Vorsitzender des Landesintegrationsrat Nordrhein-Westfalen. Für das Ansinnen von Andreas Blätte eine einfachere und schnellere Möglichkeit Einbürgerung einzufordern, hat Keltek dagegen Sympathien. „Der Landesintegrationsrat NRW spricht sich seit jeher für die Einbürgerungen derjenigen aus, die die Voraussetzungen erfüllen, und hat in der Vergangenheit entsprechende Einbürgerungskampagnen von Land und Bund unterstützt.“

Keine Konkurrenz zur Einbürgerung

Die Integrationsräte als kommunale Gremien stünden jedoch nicht in Konkurrenz zur Einbürgerung, sondern hätten ihre eigene Daseinsberechtigung. Denn eine Einbürgerung könne in aller Regel erst nach frühestens sechs beziehungsweise acht Jahren erfolgen. „Ohne Integrationsräte gibt es keine demokratische Teilhabe für Ausländerinnen und Ausländer aus Nicht-EU-Ländern!“ Zu beachten sei auch, dass Einbürgerungsverfahren schon jetzt langwierig und mit vielen Hürden verbunden seien, ruft der frühere Realschullehrer in Erinnerung.

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Tayfun Keltek merkt zudem an, dass nicht nur Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit bei der Integrationsratswahl gefragt sind ihre Stimmen abzugeben, sondern auch Menschen, die neben ihrer Deutschen noch eine oder mehrere weitere Staatsangehörigkeiten haben. „Allein bei der Gruppe der Wahlberechtigten zeigt sich die Bedeutung der Integrationsräte als kommunales Repräsentationsgremium für nahezu alle Menschen mit internationaler Familiengeschichte unabhängig von der Staatsbürgerschaft.“ Darüber hinaus befassen sich die Räte mit Fragen der Integration, Themen wie Antirassismus, Chancengerechtigkeit und Vielfalt.

Unterschiedliche Rahmenbedingungen in den Städten

Die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Integrationsräte seien in den Kommunen jedoch sehr unterschiedlich. Es hänge viel vom Kooperationswillen der Stadträte ab, auch Fürsprecher in den jeweiligen Stadtverwaltungen seien wichtig. „Wir fordern eine klare Regelung zur Übertragung von Entscheidungskompetenzen vom Rat auf den Integrationsrat und eine verpflichtende Aufnahme in die Beratungsfolge des Rates.“

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Ferner glaubt Keltek, „dass Integrationsräte einen niedrigschwelligen Einstieg in die (Kommunal)Politik ermöglichen und die Gremien auch als ‘politische Schule’ fungieren“. Der Kölner führt an, dass sich die Mitglieder der Integrationsräte zumeist aus den migrantischen Communities selbst rekrutieren, deren Vereinen und Organisationen. „Die Hürden der Mitwirkung sind im regulären politischen System ungleich höher“, befindet er. „Notwendig für mehr politische Teilhabe von Menschen mit internationaler Familiengeschichte ist daher zunächst die Erleichterung des Zugangs, was nur durch den politischen Willen zur Öffnung gelingen kann“, wirbt er um eine personellen Öffnung der Parteien.

Parteien haben unterschiedlich hohe Anteile von Vertretern mit Migrationshintergrund

Gerade an diesem Punkt gebe es noch großen Handlungsbedarf, wie die Studie „Vielfalt sucht Repräsentation – Amts- und Mandatsträger*innen in der Kommunalpolitik“ aufzeigt, die Andreas Blätte im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit Laura Dinnebier und Merve Schmitz-Vardar herausgegeben hat. Mandatsträgerinnen und -träger in den 77 deutschen Großstädten sowie in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg wurden befragt. Innerhalb der Parteien gibt es Unterschiede. Während bei den Freien Wählern keine Menschen mit Migrationshintergrund zu finden sind, treten sie bei Grünen (18 Prozent), den Linken (16 Prozent) und der SPD (14 Prozent) deutlicher in Erscheinung – CDU (8 Prozent) und AfD (10 Prozent) liegen dahinter.