An Rhein und Ruhr. Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind den neuen Stadträten kaum vertreten. Politiker von CDU, SPD und Grünen fordern ein Umdenken.

Nach den Kommunalwahlen werden bald die neuen Stadt- und Gemeinderäte an Rhein und Ruhr ihre Arbeit aufnehmen. In etlichen zeigt sich die bunte Vielfalt der Parteienlandschaft. Was sich aber in den wenigsten zeigt, ist die Vielfalt der Bewohner Nordrhein-Westfalens. Menschen, die selbst oder deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden, sind kaum vertreten. Politiker von CDU. SPD und den Grünen räumen selbstkritisch Versäumnisse ein, fordern ein Umdenken und eine stärkere politische Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund.

Kaum ein anderes Bundesland hat einen höheren Anteil an Einwohnern mit einer Zuwanderungsgeschichte als Nordrhein-Westfalen. Gut 30 Prozent der Menschen an Rhein und Ruhr sind Migranten, von denen über die Hälfte einen deutschen Pass hat. In den neu gewählten Stadt- und Gemeinderäten zeigt sich ein völlig anderes Bild. In Essen beispielsweise liegt der Anteil der neuen Ratsmitglieder mit einem Migrationshintergrund gerade einmal bei sechs Prozent. In Düsseldorf sind es 6,6 Prozent. In ländlichen Kommunen wie Isselburg, Rees, Hünxe oder Neukirchen-Vluyn finden sich gar keine Ratsmitglieder mit einer Zuwanderungsgeschichte.

Forscherin: Migranten sind unterrepräsentiert

Für Aimie Bouju ist das keine Überraschung: „Menschen mit Migrationsgeschichte sind in Parlamenten auf Kommunal-, Landes-, und Bundesebene generell anteilig unterrepräsentiert“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Mercator Forum Migration und Demokratie“ an der Universität Duisburg-Essen. So hätten beispielsweise im Bundestag nur 8,2 Prozent der Abgeordneten eine Migrationsgeschichte.

Woran das liegt, kann Bouju aus wissenschaftlicher Sicht nur vermuten: Ein Erklärungsansatz wäre, dass Parteien schlicht nicht genügend Kandidaten mit Migrationsgeschichte nominierten. Eine mögliche Ursache: „Politische Parteien stehen vor einem Rekrutierungsproblem und bleiben für die Bevölkerung mit Migrationsgeschichte in Deutschland weitgehend unattraktiv“, so die Wissenschaftlerin. Es könne aber, so Bouju, auch daran liegen, dass Parteien bei Aufstellungsprozessen amtierende Ratsmitglieder bevorzugten, was es neuen Kandidaten mit Migrationsgeschichte, aber auch Frauen oder jüngeren Menschen erschwere, aufgestellt zu werden.

Serap Güler: Räte spiegeln Stadtgesellschaft nicht wider

Serap Güler räumt ein: „Die Zusammensetzung der Räte spiegelt nicht die jeweiligen Stadtgesellschaften wider.“ Sie ist Staatssekretärin im NRW-Integrationsministerium, Mitglied der CDU, also der Partei, deren Landesvorsitzender Armin Laschet 2005 der bundesweit erste Landesintegrationsminister wurde. Güler weiß: „Es war für uns lange Zeit eine Herausforderung, Menschen mit Einwanderungsgeschichte für deutsche Politik und Parteiarbeit zu begeistern.“

Einerseits spielt die Staatssekretärin den Ball ins Feld der Migranten: Wer sich nicht in einer Partei engagiere und die häufig mühselige Basisarbeit betreibe, könne eben auch keine Mandate erringen. Andererseits müssten sich die Parteien insbesondere im ländlichen Raum die Frage stellen, wie sie ein politisches Programm anbieten können, das „von Menschen mit Einwanderungsgeschichte interessiert angenommen wird“, sagte Güler unserer Redaktion.

Beteiligung von Migranten als strategische Frage

Gerade die dritte und vierte Generation leide häufig unter einem Gefühl der Ausgrenzung und der mangelnden Wertschätzung für das, was ihre Eltern und Großeltern geleistet hätten, ist Gülers Erfahrung. Parteien seien gut beraten, die Belange von Menschen mit Einwanderungsgeschichte aufzugreifen, etwa, indem sie für eine Öffnung in der Gesundheits- und Pflegepolitik hin zu mehrsprachigen Angeboten werben, so die Staatssekretärin.

Migranten als Kandidaten zu gewinnen, sei letzten Endes auch eine strategische Frage, so die Christdemokratin: „Meine Partei ist die einzig verbliebene Volkspartei.“ Wenn die CDU das in Zukunft bleiben wolle, müsse sie sich den migrantischen Communities zuwenden. „Ohne sie sind in Zukunft keine Wahlen zu gewinnen.“

Felix Banaszak: Demokratiepolitische Notwendigkeit

Auch die Grünen sehen sich „strategisch gut beraten uns zu öffnen, um neue Wähler-Milieus zu gewinnen“, sagt ihr Landesvorsitzender Felix Banaszak gegenüber unserer Redaktion. Für ihn ist die Stärkung der Vielfalt vor allem „eine demokratiepolitische Notwendigkeit, weil ohne sie das Versprechen gleichwertiger Teilhabe unerfüllt bleibt“. Auch die Partei, die sich wie keine andere Multi-Kulti auf die Fahnen geschrieben hat, hat erheblichen Nachholbedarf: Im neuen Essener Stadtrat hat nur ein grünes Ratsmitglied von 16 einen Migrationshintergrund, in Düsseldorf sind es zwei von 22.

„Ehrlicherweise sieht es mit der Repräsentation von Menschen mit Migrationsgeschichte noch nicht gut genug aus“, räumt Banaszak selbstkritisch ein. Die „Diversitäts-Frage“ habe im Vorfeld der Kommunalwahlen nicht überall in ausreichendem Maß im Fokus gestanden. Es ist den Grünen bislang nicht gelungen, „die progressiven und aufstrebenden Milieus in den Communities in einer Form anzusprechen, wie es unser Ziel wäre“. Der Grünen-Landesvorsitzende betont: „Wir müssen da noch besser werden“.

Sebastian Hartmann: Eine Herausforderung

Die Grünen, so Banaszak, wollen „dieses strukturelle Problem mit strukturellen Lösungen“ angehen. Auf Bundesebene hat eine Vielfalts-Kommission bereits Vorschläge erarbeitet. Es ist vorgesehen, einen Vielfaltsrat zu schaffen, die Stärkung der Vielfalt in die Statuten einzupflegen und sich selbst zu mehr Vielfalt zu verpflichten. „Was davon auf Landesebene umgesetzt werden kann, diskutieren wir gerade intensiv“, so der Grünen-Landesvorsitzend. Wichtig sei es, „relevante Personen wie Kreis- und Bezirksvorsitzende“ einzubeziehen.

Auch SPD-Landeschef Sebastian Hartmann beklagt, Menschen mit Migrationshintergrund seien in der „Politik leider immer noch nicht ausreichend vertreten“. Dass in den Räten „unsere Gesellschaft in ihrer Vielfalt noch nicht abgebildet wird“, sei „eine Herausforderung, der wir offensiv begegnen müssen“, so Hartmann gegenüber unserer Redaktion. Es gehöre zum Selbstverständnis der SPD, „gerade Menschen mit Einwanderungsgeschichte eine politische Heimat zu geben und politische Karrieren zu fördern“, betont er. Vielerorts gebe es dafür positive Beispiele für Mandatsträger mit Migrationshintergrund. „Aber wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen“, so der SPD-Landesvorsitzende.

Forderung: Leichte Listenzuteilung für Migranten

Einer dieser Mandatsträger ist Caner Aver, der für die SPD in den Essener Stadtrat gewählt worden ist. Er sagt: „Politische Partizipation ist von zentraler Bedeutung für die Integration“. Er fordert, die Parteien müssten dafür sorgen, dass wir die eingebürgerten Migranten erreichen“. Es sollte ihnen deswegen über relativ sichere Listenzuteilungen erleichtert werden, Mandate zu erringen. Immerhin, sagt Caner Aver: „Es tut sich bereits etwas. Aber es ist ein langsamer und mühseliger Prozess“.