Issum. Die Hälfte aller Diebels-Beschäftigten muss bis Jahresende gehen. Mitarbeiter fürchten um Jobs und Existenz – und eine Gemeinde um ihr Altbier.
Issums Bürgermeister Clemens Brüx hängt sehr am Altbier seiner Gemeinde, an der Traditionsbrauerei Diebels. Das merkt man zum Beispiel, wenn man die Gemeinde-Webseite aufruft. Dort heißt er Besucher „auf den Internetseiten des ‚freundlichen‘ Issum, der Heimat alter Braukunst“ willkommen. Oder wenn man ihn über Altbier reden hört, so wie am Montag: „Bier ist Heimat, Emotion und Verbundenheit.“
Ein Stück seiner Heimat ist jetzt in Gefahr – und dazu noch die Existenz von rund 180 Beschäftigten. Die Brauereigruppe Anheuser-Busch InBev, zu der Diebels gehört, will zum 31. Dezember die Hälfte aller Stellen in der Issumer Brauerei streichen. Eine von zwei Abfülllinien soll geschlossen werden. Dem „Altbierdorf“ droht, sein Altbier zu verlieren.
Kahlschlag bei Diebels in Issum: Schreckensnachricht auf vier Folien
Montag, 13.45 Uhr: Schichtwechsel in der Brauerei. Es ist ruhig vor dem Eingangsbereich. Eine Phalanx aus Hunderten Kisten Becks und Diebels steht auf Europaletten im Hof gestapelt. Mitarbeiter gehen durchs Drehkreuz Richtung Parkplatz, haben Feierabend, andere fangen gerade erst an. Dazu gehört auch ein 62-Jähriger: Dunkelgrüner Arbeitsoverall, ein Rucksack über die rechte Schulter geschmissen, seinen Namen möchte er nicht nennen.
An die außerordentliche Betriebsversammlung vom 30. August erinnert er sich noch genau. „Die Chefin hat mit einem Overhead-Projektor vier Folien auf eine Leinwand geworfen.“ Darauf hätten zwei Schreckensnachrichten gestanden: Flaschenkeller eins werde bald geschlossen, die Hälfte der Mitarbeiter würde entlassen. „Ich war total baff und wusste nicht, was ich dazu sagen soll“, berichtet er. „Bis zur Rente wollte ich den Job auf jeden Fall machen, jetzt muss ich um ihn fürchten.“
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So ging es wohl vielen Beschäftigten, erklärt der Betriebsratsvorsitzende Thomas Engelsiepen: „Wir haben damit gerechnet, dass irgendwann etwas passiert. Aber 50 Prozent aller Stellen abzubauen sind drei Viertel mehr, als wir gedacht haben.“ Diese Größenordnung mache die Mitarbeiter sauer: „Die sind auf 180 und zu allen Schandtaten bereit, sich mit dem Weltkonzern anzulegen.“
Gewerkschafterin kritisiert: „Kahlschlag ohne Sinn und Plan“
Auch für Claudia Hempel von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sei die Mitteilung „ein Schock“ gewesen. Weder Aufsichts- noch Betriebsrat seien vorab informiert worden. „Dieser Stil war völlig unbarmherzig und eine Unverschämtheit“, sagte die Geschäftsführerin der NGG Krefeld-Neuss bei einem Pressegespräch am Montag.
Sie nennt das Vorgehen des Konzerns einen „Kahlschlag ohne Sinn und Plan“. Bisher habe er nämlich keine genauen Infos mitgeteilt, wie es mit der Brauerei weitergehen soll. So wisse bisher niemand, wie viele Beschäftigte im Dezember tatsächlich gehen müssen.
„Rund 180 Personen sind hier beschäftigt, davon aber auch manche in Teilzeit“, sagt der Diebels-Betriebsratsvorsitzende Thomas Engelsiepen. Auf volle Stellen gerechnet betrage die Arbeitsleistung 140 Plätze. Ob davon die Hälfte gestrichen werde, oder von den 180 Stellen insgesamt, sei unklar.
Stellenabbau bei Diebels: So argumentiert der Konzern
Die Tochterfirma von Anheuser-Busch InBev in Deutschland begründet den Stellenabbau damit, dass Kosten gestiegen seien, sich die Bedürfnisse der Kunden verändert hätten und der Biermarkt insgesamt geschrumpft sei. Die Entscheidung sei „sowohl notwendig als auch unaufschiebbar, wenn wir den Standort erhalten wollen“, teilte Unternehmenssprecher Fried Allers am 30. August mit.
Wie stark der Absatz von Diebels zurückgegangen ist, will der Konzern gegenüber der NRZ nicht mitteilen. Auch wolle er sich nicht dazu äußern, ob auch in den anderen deutschen AB-InBev-Brauereien in Bremen (Becks), Wernigerode (Hasseröder) und München (Spaten) bald Stellen gekürzt werden, so Sprecher Allers.
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Der Konzern wolle den Stellenabbau „so sozialverträglich und fair wie möglich“ gestalten. Auf NRZ-Nachfrage, was das konkret bedeutet, sagt Sprecher Fried Allers am Montag: „Das will Anheuser-Busch Inbev jetzt gemeinsam mit der Belegschaft und dem Betriebsrat entwickeln.“ Das Unternehmen wolle mit den Mitarbeitern nach „einvernehmlichen Lösungen“ suchen.
Aktionstag in Issum soll Forderungen unterstreichen
Gewerkschafterin Hempel zufolge mangele es jedoch nicht an Nachfrage. „Man muss aufhören, dem Handel den schwarzen Peter zuzuschieben.“ Der Konzern habe über Jahre die größten Absatzmärkte des Altbiers missachtet: Festivals, Stadien, Bierzelte. Sie fordert: „Verkauft Bier und hört auf, Leute zu entlassen.“
Claudia Hempel will aus den Gesprächen mit dem Konzern das „Optimum“ für die Beschäftigten herausholen. Auf eine Zahl an Stellen, die sie retten will, will sich die Gewerkschafterin nicht festlegen: „Mein Ziel ist, so viele wie möglich zu retten und den Markt für Diebels zu stärken.“ Der Konzern wolle im kommenden Jahr 600.000 Hektoliter Bier in Issum produzieren. „Dafür muss man die Mitarbeiter mitnehmen.“
Nicht nur am Verhandlungstisch wollen die Mitarbeiter lautstark sein. Für den 3. Oktober rufen sie zu einem Aktionstag in Issum auf. Um 11.55 Uhr – also symbolisch um fünf vor zwölf – wollen sie mit einer Demonstration ihre Forderungen unterstreichen: „Wir wollen einen Plan sehen, wie die Brauerei für die Zukunft aufgestellt werden soll“, sagt Betriebsratsvorsitzender Engelsiepen.
Stellenabbau bei Diebels: Bürgermeister will sich für Mitarbeiter einsetzen
Er habe über die sozialen Medien mitbekommen, dass viele Issumer die Demo unterstützen: „Viele brennen für unsere Marke und werden am 3. Oktober aufschlagen.“ Auch Beschäftigte aus den anderen Brauereien in Bremen, Wernigerode und München wollen für den Aktionstag nach Issum kommen, meint Engelsiepen.
Bis dahin will auch Bürgermeister Clemens Brüx seinem Heimat-Bier wieder auf die Beine helfen: „Ich stecke schon mit dem Kreis und Landrat die Köpfe zusammen, wie wir helfen können.“ Auch will er mit Verantwortlichen im Unternehmen sprechen. „Der Konzern muss seiner Verantwortung gerecht werden.“
>> BIER IN DEUTSCHLAND: ALTBIER WIRD UNBELIEBTER
- Altbier wird in Deutschland immer unbeliebter, zumindest im Marktanteil, wie Zahlen des Marktforschungsinstituts Nielsen zeigen. 2010 habe Altbier in Deutschland einen Marktanteil von 1,2 Prozent gehabt, jetzt seien es nur noch 0,6 Prozent, sagt Nielsen-Getränkeexperte Marcus Strobl.
- Der Altbier-Branche fehle es an Innovationen, sagt Marcus Strobl gegenüber der NRZ. Zudem seien sättigendere Biersorten wie Altbier immer unbeliebter. „Altbier hat es nie geschafft, über die Region am Niederrhein herauszukommen.“