An Rhein und Ruhr. Die Vorsitzende der Pflegekammer NRW, Sandra Postel, sieht Erfolge, die Pflege zu stärken. SPD: Landesregierung mache falsche Hoffnungen
Nicht ohne Nebentöne ging die Pflegekammer NRW, das neue „Organ der Selbstverwaltung“ aller Pflegefachpersonen im Land, an den Start. Kritik gab es etwa von Verdi – die Gewerkschaft forderte eine Urabstimmung aller Pflegefachkräfte ein – oder der SPD. Seit Dezember besteht die Kammer, die vom Selbstverständnis her „Stimme der Pflegenden“ sein möchte, offiziell, seit Februar verfügt sie über einen gewählten Vorstand mit Sandra Postel an der Spitze. Sie sagt: „Wir haben die Zeit hinter uns gelassen, in der es aus der Pflege heraus Einzelmeinungen und -einschätzungen zu Themen gab. Jetzt sprechen wir, die Pflegefachpersonen in Nordrhein-Westfalen, mit einer Stimme.“
Postel, selbst ausgebildete Pflegekraft, nennt drei Themen, bei denen die Kammer bereits Gehör gefunden habe. „Wir haben unsere Standpunkte bei der Diskussion um Gewalt in der Pflege eingebracht, konnten unsere Ideen rund um die Unterstützung pflegender Angehöriger äußern und haben auch Position zur Leiharbeit bezogen.“
Kontroverse Reaktionen
Die Reaktionen auf die Stellungnahme zur Leiharbeit, die Fingerspitzengefühl und eben keine Verteufelung oder striktes Verbot einfordere, seien kontrovers gewesen. „Wir als Kammer vertreten auch die Kolleginnen und Kollegen, die in der Leiharbeit tätig sind, nehmen ihre Anliegen ernst. Leiharbeit ist ein Symptom eines leider kranken Systems.“ Aus Sicht der Kammer könne Leiharbeit den Fachkräftemangel temporär reduzieren. Aber Stellschrauben müssten justiert werden, Einrichtungen selbst einen kritischen Wert für den Einsatz von Leiharbeitenden festlegen, Mindeststandards und Qualitätssicherung gewährleistet sein.
Ein Erfolg sei, dass am 1. Januar 2024 eine Weiterbildungsordnung in Kraft treten wird. „Das ist das erste Mal, dass die Weiterbildung in der Pflege nicht mehr von politischen oder anderen Institutionen geregelt wird, sondern von Expertinnen und Experten aus Reihen der Pflegefachpersonen selbst – in Absprache auch mit weiteren Professionen in der Gesundheitsbranche.“
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Postel möchte auf die Situation von Beschäftigten in Kinderstationen in Kliniken hinweisen. „In der Vergangenheit war es so, dass im Winter Überstunden aufgebaut wurden, die dann im ruhigeren Sommer abgebaut werden konnten. Diese Ruhe gibt es aber nicht mehr, die Arbeitsbelastung auf den Kinderstationen ist überall und vor allem durchgehend sehr hoch.“
Infektionswellen bei Säuglingen und Kleinkindern, wie sie zuletzt mit dem RS-Virus auftraten, einem Erreger von Atemwegserkrankungen, werde es auch in Zukunft geben. „Wir brauchen dringend transparentere Systeme in den Krankenhäusern. Ärzte und Pfleger müssen auf Augenhöhe zusammenarbeiten und klar kommunizieren, ab wann eine Überlastung droht.“
Postel erlebte zwei Mal, dass notgedrungen in Gesprächen mit dem Gesundheitsministerium Personaluntergrenzen ausgesetzt werden mussten und sie dem mit Bauchschmerzen zustimmte. „Ohne Zusicherungen für Verbesserungen für die Beschäftigten darf es so etwas nicht mehr geben“, fordert sie ein.
Verdi: Geringe Wahlbeteiligung
„Der Pflegekammerwahl 2022 war entgegen unserer Forderung keine Vollbefragung der Pflegefachkräfte vorausgegangen, ob sie neben der Vertretung durch die Betriebsräte und Verdi eine Kammer wünschen“, ruft Uwe Meyeringh, Gesundheits-Experte von Verdi in NRW, in Erinnerung. An der Wahl der Kammerversammlung hätten sich dann auch weniger als zehn Prozent der zu Vertretenden beteiligt. Dennoch würden die auf den Verdi-Listen gewählten Mitglieder (18 von 60 an der Zahl) konstruktiv mitarbeiten und aus Gewerkschaftssicht für Transparenz sorgen.
Mit der neuen Weiterbildungsordnung könne die Pflegekammer dem Fachkräftemangel entgegenwirken, so Meyeringh. „Die Pflegekammer kann aber konkret die Personalausstattung, die tariflichen Bedingungen und den wertschätzenden Umgang der Verantwortlichen mit den verschiedenen Beschäftigtengruppen in den Einrichtungen nicht verbessern.“
Landesregierung mache sich einen „schlanken Fuß“
An diesem Punkt setzt die Kritik von Thorsten Klute, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, an. Die Landesregierung mache sich einen „schlanken Fuß“, wenn sie fortlaufend den Eindruck erwecke, als könne die Kammer nun alle Probleme in der Pflege lösen. „Dafür ist Minister Laumann immer noch selbst verantwortlich. Seine Bilanz in der Pflegepolitik in NRW ist allerdings dramatisch schlecht.“
Die SPD dringt darauf, dass den gewählten Mitgliedern der Kammerversammlung eine Freistellung für die Zeit einer Sitzung oder eine Aufwandsentschädigung für die Arbeit in der Pflegekammer ermöglicht werde. Dafür werde eine Änderung des Heilberufsgesetzes benötigt, die noch ausstehe. „Das kritisieren wir scharf.“
Das NRW-Gesundheitsministerium spricht davon, „dass die Pflege durch die Pflegekammer endlich präsent ist“, wie eine Sprecherin auf NRZ-Anfrage erklärt. Die Expertise der Kammer fließe in politische Entscheidungsfindungsprozesse ein und wirke so „aktiv an Veränderungen in der Pflege mit“. „Zudem ist es nun die Aufgabe der Pflegekammer, ihre eigene Profession selbst weiterzuentwickeln.“ Die Zusammenarbeit zwischen Kammer und Ministerium sei konstruktiv.