An Rhein und Ruhr. Bis zu 70 Personen der Drogenszene leben in Baracken gedrängt auf einem Baugelände. Bald ziehen nebenan Familien ein. Wie geht es weiter?
Schmutzige Baracken aus Holzplatten und Plastikplanen auf der einen und ein strahlend weißer Neubau auf der anderen Seite. Das Bild, das sich einem auf dem Gelände des „Grand Central“ in Düsseldorf bietet könnte unterschiedlicher kaum sein. „Elendig“ leben 60 bis 70 Menschen aus der Drogenszene dort in der Baugrube, wie Michael Harbaum, Leiter der örtlichen Drogenhilfe, sagt. Wie lange sie bleiben können ist fraglich. Denn ab November sollen nebenan die ersten Familien einziehen. Doch noch etwas anderes bereitet der Drogenhilfe Sorgen: Die Abhängigkeit von Crack nehme zu. Und das in mehreren NRW-Städten.
Düsseldorf: Gelände sollte komplett bebaut werden
Offene Plätze, auf denen sich Menschen aus der Drogenszene aufhalten können, seien in Düsseldorf immer mehr verkleinert worden, beklagt Harbaum. „Es braucht einen öffentlichen Raum für die Leute, die sich draußen einrichten müssen.“ In den letzten Jahren habe sich die Szene auf den Worringer Platz in Bahnhofsnähe konzentriert, da andere Plätze weggefallen seien. Seit Juni stehe aber das Ordnungsamt mehrere Stunden lang auf dem Worringer Platz und viele aus der „Szene“ meiden ihn. Ihre Alternative sei wenige hundert Meter entfernt, die große Baugrube des „Grand Central“.
Ein großes Wohnquartier sollte hier auf dem ehemaligen Post-Gelände entstehen. Bisher wurde nur ein Teil bebaut, der Rest liegt seit Jahren brach und wurde nach und nach von Menschen der Obdachlosen- und der Drogenszene besiedelt.
Auch interessant
Wie es dort weitergeht ist unklar. Ab dem 1. November sollen die ersten Mieter im Neubau einziehen, berichtet Oliver Ongaro, Streetworker beim Straßenmagazin „FiftyFifty“. Große Wohnungen für Familien gebe es dort. Wie das Nebeneinander mit der Drogenszene dann funktionieren soll, wisse keiner. Und zuständig sieht sich die Stadt Düsseldorf auch nicht. Es handele sich um ein „Privatgrundstück und nicht um einen der Allgemeinheit gewidmeten zugänglichen Raum“, teilt die Stadt mit.
Drogenszene in NRW: Abhängigkeit von Crack nimmt zu
Durch die Verdrängung der Szene in die Grube sei auch für die Streetworker nicht mehr einsehbar, was dort passiert. Gewalt und Übergriffe hätten zugenommen. Ebenso der Drogenkonsum. Die Grube sei ein offener Konsumraum, sagt Ongaro. Besonders die Abhängigkeit von Crack habe zugenommen.
Dieser Trend ist auch in anderen Städten zu beobachten. Man sehe eine Zunahme auch bei langjährigen Abhängigen, die „ihren Konsum mit Crack erweitern“, teilt die Stadt Duisburg mit. Die Stadt Essen indes beobachte einen Anstieg in Wellen und erwartet für 2023 einen erneutes Hoch. Das sei auch in Düsseldorf zu erwarten, sagt Drogenhilfe-Leiter Michael Harbaum. In diesem Jahr sei im Drogenkonsumraum bereits über 20.000 mal Crack konsumiert worden. „Im ganzen letzten Jahr waren es 16.600.“ Allerdings habe man nun auch mehr Plätze.
Der zunehmende Konsum von Crack verstärke die Probleme der oft langjährig abhängigen Menschen, so die Stadt Düsseldorf. Abhilfe schaffen sollen verlängerte Öffnungszeiten der Anlauf- und Hilfsstellen, die gemeinnützige Organisationen in der Innenstadt betreiben. Michael Harbaum derweil fordert eine Verstreuung der Szene. „Wenn auf einem Platz nur zehn Leute sitzen würden und woanders auch zehn, dann wäre es nicht so ein Problem“, meint er.
„Szene“ in Essen wurde verstreut
Vorgemacht hat das die Stadt Essen. „Die Zeiten, in denen Essen eine offene Szene hatte sind lange verjährt“, erklärt Frank Langer von „Suchthilfe direkt“. „Hinter dem Hauptbahnhof saßen früher bei gutem Wetter 70 bis 80 Leute.“ Dann habe es eine Verstreuung gegeben und seitdem gebe es keine große offene Szene mehr. Vor etwas mehr als 20 Jahren ging die Stadt den Schritt. Seinerzeit habe man festgestellt, dass durch reine Strafverfolgung keine Lösung des Problems zu erreichen sei, heißt es seitens der Stadt. Das Ziel war, die „Szenenansammlung am Hauptbahnhof zu reduzieren“.
Dafür habe man einerseits die Hilfsangebote am Bahnhof eingestellt, andererseits die Angebote wie jene des Drogenhilfezentrums angepasst. Zudem wurde der Konsumraum und die Substitutionsambulanz eröffnet. Wichtig sei auch der Einsatz von Streetworkern, um Kontakt zu den Konsumenten zu halten.
Das erhofft sich auch Oliver Ongaro für Düsseldorf. Er könne sich vorstellen, einen kleinen Platz hinter dem Gesundheitsamt in Düsseldorf für die Szene anzubieten, um sie so zu verteilen. „Aber die Stadt scheint kein Konzept zu haben“, kritisiert er. Ob sich das ändert, wenn dann die ersten Familien in die etwa 150 Wohnungen in den schönen Neubau am „Grand Central“ einziehen, wird sich zeigen. Sollte das Ordnungsamt dann verstärkt kontrollieren, warnt Michael Harbaum, „drängt man die Szene wieder in den öffentlichen Raum.“
LKA NRW erklärt: Warum Crack so gefährlich ist
Um Crack herzustellen, wird das herkömmliche weiße Kokain-Pulver rauchbar gemacht. „Um Crack zu erhalten, wird das Kokain mit Natron oder Backpulver und Wasser verbacken“, erklärt das LKA NRW. „Am Ende bleiben weiß-gelbliche oder rosa steinähnliche Kristalle übrig.“ Crack wird nach der Herstellung schnell mit kleinen Pfeifen geraucht, da es nicht lange haltbar sei. Durch das Rauchen trete bereits nach wenigen Sekunden die Wirkung ein und hält etwa fünf bis zehn Minuten an. Crack ist einer der Suchtstoffe mit dem höchsten psychischen Abhängigkeitspotenzial, warnt das LKA. „Wegen des abrupt eintretenden Endes der Wirkung entsteht ein hoher Suchtdruck. Weitere negative Folgen sind unter anderem Bluthochdruck, Kreislaufzusammenbrüche, Paranoia wie Wahnvorstellungen oder Verfolgungswahn sowie Schwächegefühl, unkontrolliertes Zittern und Zucken oder Hautjucken. Eine Überdosierung kann zu Atem- und Herzstillstand führen.“
Das LKA NRW bestätigt eine leichte, aber stetige Zunahme von Straftaten im Zusammenhang mit Crack. Dabei handelt es sich der Statistik nach um die Einfuhr, den Handel oder den Besitz der Droge. Aufgrund der nur kurzen Haltbarkeit kaufen Konsumenten, welche Crack konsumieren möchten, in den meisten Fällen Kokain und bereiten dieses zu Crack auf und konsumieren dieses dann zeitnah im privaten Umfeld. „Aus diesem Grund kommen Sicherstellungen von Kokain deutlich häufiger vor bei Crack.“