An Rhein und Ruhr. Inflation und Krise bedeuten noch schwerere Zeiten für Menschen ohne Dach über dem Kopf. Betroffene erzählen vom Leben auf der Straße in NRW.
„Frikadellen haben mal 2,50 Euro gekostet, jetzt sind es 3,99 Euro“, erzählt Uwe. Der 63-Jährige ist obdachlos und hat sich bei der Armenküche in der Düsseldorfer Altstadt eine warme Suppe mit einem Stück frischem Brot geholt. Auf einer Bank vor einem noch geschlossenen Café verspeist er sein Mittagessen und klagt über die hohen Preise. Diese, im Zuge von Inflation und Energiekrise stark angestiegenen, Preise machen auch Obdachlosen wie ihm zu schaffen. Wie er das noch bezahlen soll, weiß er nicht und schüttelt den Kopf. „Wenn es die Armenküche nicht gäbe, wüsste ich nicht, was ich machen würde“, sagt Uwe.
Zahlen zu Wohnungs- und Obdachlosen oft mit hoher Dunkelziffer
48.285 Menschen ohne eigenes Dach über dem Kopf zählte das NRW-Sozialministerium in seiner Wohnungslosenstatistik 2021. Der allergrößte Teil davon sind Wohnungslose, die von den Kommunen in Notunterkünften oder ohne eigenen Mietvertrag in kommunalen Wohnungen untergebracht wurden. Nach vorsichtigen Schätzungen einer vom Ministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung lebten Mitte 2021 in NRW rund 5300 Menschen obdachlos auf der Straße oder in Behelfsunterkünften wie etwa Abrisshäusern oder Bauwagen.
Zu diesen offiziellen Statistiken gebe es aber immer eine hohe Dunkelziffer, sagt Streetworker Oliver Ongaro vom Düsseldorfer Straßenmagazin „FiftyFifty“. Wirklich obdachlose Menschen seien eben schwer zu zählen, sagt er. „Viele haben gute Verstecke, wo sie die Nächte verbringen, und tagsüber sind sie oft irgendwo unterwegs“, so Ongaro. Selbst er und seine Kollegen seien oft auf Hinweise anderer Obdachloser angewiesen, die sie auf weitere, den Streetworkern noch unbekannte Personen aufmerksam machen.
Dabei sind Informationen über die Zahl von auf der Straße lebenden Menschen auch für die Kommunen wichtig. Denn die Unterkünfte sind oft überfüllt und es braucht mehr Plätze. Besonders jetzt, da die kalte Jahreszeit vor der Tür steht. Allerdings gehen viele Obdachlose nicht gerne in die Unterkünfte. „Es wird mehr geklaut als vor den Krisen“, berichtet Daniel. Seine Sachen könne er dort nicht unbeaufsichtigt lassen, sagt der 43-Jährige.
Die letzten Nächte im Karton im Park geschlafen
Bei der Geschäftsstelle von „FiftyFifty“ an der Höhenstraße 51 in Düsseldorf-Oberbilk lässt er sich mit einigen Unterlagen helfen. Auch er klagt über die hohen Lebensmittelpreise. Das Geld sei trotz Minijob und kleinem Hartz IV-Satz zu knapp, erzählt er, nachdem er im Laden des Straßenmagazins einen heißen Kaffee bekommen hat. Seinen Arbeitsvertrag hat er vor sich auf den Tisch gelegt. Für rund 180 Euro im Monat trage er nun Zeitungen in den Stadtteilen Niederkassel und Oberkassel aus. „Eine Wohnung kann ich nicht bezahlen“, sagt Daniel. Denn zu seinem kargen Lohn bekomme er etwas mehr als 220 Euro vom Amt. Die letzten Nächte habe er in einem Karton im Volksgarten verbracht. Doch nicht nur an den Lebensmittelpreisen spürt er die Krise. „Die Leute geben einem auch weniger, wenn man um etwas Geld bittet,“ sagt der 43-Jährige.
Damit taucht auch er nicht in offiziellen Statistiken auf. „Obdachlose, die tatsächlich auf der Straße leben, sind aber schwer zu zählen. Die Zahlen muss man schätzen“, sagt auch Markus Lahrmann, Sprecher der Caritas NRW. „Wer auf der Straße lebt, bekomme ebenso Hartz IV, wie Menschen, die nicht obdachlos sind.“ Sie seien daher genauso von den Kostensteigerungen betroffen, so Lahrmann. „Und die Sätze werden ja nicht höher.“ Da müsste aber geschaut werden, was die Menschen jetzt im Winter zusätzlich an Kleidung oder Essen brauchen. Besondere Sorgen mache man sich aber auch darum, „dass Wärmestuben im Winter nicht warmgehalten werden können oder dürfen. Und darum, welche Hilfen es im Winter zum Schutz vor Kälte geben kann“, sagt Lahrmann.
Mit der Zwiebelmethode gegen die Kälte
Angst vor dieser Kälte habe er nicht, sagt Nico. Bis vor einigen Tagen schlief der 41-jährige Wohnungslose in einer Unterkunft. „Jetzt darf ich auf dem Campingplatz eines Freundes mein Zelt aufschlagen“, freut er sich. Auch er hat beim Laden von „FiftyFifty“ einen Kaffee bekommen. Seinen Rucksack hat er neben sich auf die Bank gestellt. Von den Streetworkern hat er eine neue Isomatte bekommen. „Ich habe schon bei Minusgraden gezeltet“, erzählt er achselzuckend. „Da mache ich mir keine Sorgen um etwas Kälte“, sagt Nico. „Da hilft die klassische Zwiebelmethode, um sich warm zu halten. Gegen eine kleine Miete von 200 Euro könne er seine Sachen auch auf dem Campingplatz lassen. „In ein paar Monaten wird mir da auch ein Wohnwagen hingestellt. Bleiben könne er dort bis zum Sommer. „Dann will mein Kollege seinen Campingplatz sicher auch mal wieder nutzen“, sagt er mit einem Lachen.
Seit kurzem arbeitet er als Gabelstaplerfahrer
Doch bis dahin wolle er ohnehin etwas Eigenes gefunden haben. Denn seit kurzem hat er einen Vollzeitjob. Bei einem Kfz-Zulieferer aus Neuss arbeitet er als Gabelstaplerfahrer. Den Führerschein dafür habe er schon vor einigen Jahren gemacht. „Ich habe im Hamburger Hafen auch mal gelernt, Container zu entladen. Das dürfte ich auch machen, mit etwas Auffrischung natürlich“, sagt der 41-Jährige. Allerdings wolle er beim Gabelstapler bleiben. „Das macht mir Spaß.“
Früher schlief er immer in seinem Zelt an gut versteckten Orten. Das müsse sein, nicht nur wegen Diebstählen, sondern auch wegen des Ordnungsamtes, berichtet er. „Die räumen einem das Zelt ab und lassen es entsorgen. Tagsüber sowieso. Wenn die deine Sachen finden, sind die direkt weg“, sagt Nico. „Aber auch nachts kann es sein, dass du deine Platte sofort wegräumen musst, wenn sie dich entdecken.“
Auch ihm machen die hohen Preise zu schaffen. Doch die Krise bemerke er auch daran, dass mehr Flaschensammler unterwegs seien als früher, wie er sagt. „Flaschen gibt es wohl genauso viele wie früher“, überlegt Nico. „Aber es gibt eben mehr Leute, die sammeln.“
Armenküche: Mehr Spenden trotz Krise
Umso wichtiger werden Einrichtungen, wie der Verein Altstadt Armenküche, der mehrere hundert Mahlzeiten am Tag herausgebe, wie Sozialarbeiter Holger Korchhöfer, sagt. Zudem kämen mittlerweile mehr Leute als noch vor der Krise. „Besonders zum Monatsende. Früher war es so ab dem 24, dass mehr Leute kommen. Jetzt ist es ab dem 20.“, so Korchhöfer. „Da sind es dann etwa 200 Leute. Zum Monatsanfang etwa 150. Das sind einerseits Obdachlose, Drogenabhängige, aber auch Rentner, deren Rente nicht ausreicht.“
Trotz der Krise habe aber die Spendenbereitschaft nicht nachgelassen, so der Sozialarbeiter. Im Gegenteil: „Es gibt mehr Spenden als früher. Es kommt auch vor, dass Leute einfach mal bei der Essensausgabe hier vorbeikommen und uns 20, 50, 100 oder 200 Euro dalassen.“
Kälteschutz im Winter
Für Menschen, die auf der Straße leben, ist der Winter besonders gefährlich. Jedes Jahr erfrieren in der kalten Jahreszeit Obdachlose. Um diese Menschen zu schützen betreiben Kommunen, aber besonders wohltätige Organisationen Kältebusse oder Wärmeräume.
Einen solchen Wärmeraum betreiben die Johanniter an der Berger Kirche in der Düsseldorfer Altstadt. Das Deutsche Rote Kreuz in Essen bietet derweil Wärmezelte im Stadtgebiet an. Der Verein „vision:teilen“ ist in Düsseldorf jeden Montag und Donnerstag von 22 bis 0.30 Uhr in der Altstadt und am Hauptbahnhof mit dem „Gutenachtbus“ im Einsatz. Dort bekommen Obdach- und Wohnungslose auch warmes Essen.
Hilfsorganisationen, so auch die Malteser, appellieren an die Bevölkerung, gerade im Winter ein offenes Auge zu haben. Wer einen Obdachlosen in der Kälte schlafen sieht, sollte den Notruf unter 112 verständigen.
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