An Rhein und Ruhr. Wirtschaft, Bahn und Politik demonstrierten bei einer Regionalkonferenz zum Deutschlandtakt ihre große Koalition für den Bahnausbau in NRW.

Vor Jahren warb eine Automarke mit dem Slogan „Umparken im Kopf“. Das hat stattgefunden, allerdings anders als gedacht. Auch wenn zur „NRW-Regionalkonferenz zum Deutschlandtakt“ reichlich dicke, dunkle Dienstwagen in der Tiefgarage der Industrie- und Handelskammer in Münster geparkt wurden: Die (weit überwiegend) Herren in ebenso dunklen Anzügen haben geistig umgeparkt: Die Wirtschaft nimmt die Bahn und die Politik in die Pflicht, endlich die Schiene zu einem Verkehrssystem auszubauen, das Mobilität für Güter und Menschen (wieder) zuverlässig und klimagerecht möglich macht.

Immerhin waren NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer, NRW-Bahnchef Werner Lübberink und Susanne Henckel, Staatssekretärin des Bundesverkehrsministeriums, nicht mit leeren Händen gekommen: Sie unterzeichneten (wir berichteten) den Beschluss zum Ausbau der Bahnstrecke Münster-Lünen. Dort soll künftig Tempo 200 gefahren und – oha – das zweite Gleis verlegt werden, das rund 100 Jahre Verspätung hat.

Zwar ist die Vereinbarung eine Wundertüte, in der weder ein Zeitplan noch ein Finanzplan steckte, aber immerhin viel gute Absicht: Die Kostenverteilung ist geregelt: 60 Prozent Bund, 40 Prozent Land. In der Summe: ein weiterer kleiner Baustein zum großen Gesamtkunstwerk Deutschlandtakt.

„Die Schweiz hat 30 Jahre vor uns angefangen“

Der kommt ja schon 2030. Oder doch 2073? Oliver Krischer war klug genug, den Erwartungshorizont mal weicher zu zeichnen: „Das wird nie fertig sein. Die Schweiz hat 30 Jahre vor uns angefangen. Und die bauen ja auch immer noch.“ (mit ungefähr viermal so viel Fränkli pro Kopf und Jahr wie hierzulande – umgerechnet – an Euro in die Bahn fließen).

Entscheidend aber ist, was man will: alle großen Ballungsräume im 30-Minuten-Takt verbinden (so häufig wie die S-Bahn Oberhausen-Essen, wenn alle Lokführer mal gesund wären), gesicherte Umsteigemöglichkeiten schaffen und so das Land zuverlässig über die Schiene zu verknüpfen, um Inlandsflüge überflüssig zu machen. Und dazu über Ländergrenzen hinaus zu denken und in den Regional- und Lokalverkehr hinein.

Schneller durch Deutschland: Neubaustrecken von Hannover nach Hamburg und Bielefeld sowie Stuttgart 21 machen es möglich, dass die Menschen künftig  schneller per Schiene durchs Land kommen.
Schneller durch Deutschland: Neubaustrecken von Hannover nach Hamburg und Bielefeld sowie Stuttgart 21 machen es möglich, dass die Menschen künftig schneller per Schiene durchs Land kommen. © Bundesverkehrsministerium | Grafik

Das entscheidende Umparken beim Deutschlandtakt ist vor allem dieses: Zuerst wird der Fahrplan entwickelt – und dann die dafür notwendige Infrastruktur gebaut. Derzeit ist es anders: Die Verkehrsverbünde – oder die Fernverkehrsanbieter (meist DB, dazu z.B. Thalys, Flix und ÖBB-Nachtzüge) bestellen und Fahrplaner konstruieren Trassen, die irgendwie passen müssen.

Was passiert, wenn man ein Bahnnetz bis an die rechnerischen Kapazitätsgrenzen ausreizt mit allem, was in der Theorie fahrbar ist, können Fahrgäste in der Region jeden Tag bestaunen: Selbst ohne Baustelle bringen kleinste Verspätungen das große System aus dem Takt. Also: Es müssen mehr Schienen her – und mehr Bahnsteigkanten. Staus vor Köln, Dortmund, Duisburg und anderen Bahnhöfen aufgelöst werden. Und mehr Güterzugtrassen und Überholmöglichkeiten braucht die Bahn auch dazu.

Deswegen wird gebaut. Selbst der RRX, überwiegend auf Schnelligkeit getrimmt, damit er mit dem Fernverkehr weitgehend mitschwimmen kann, führt zu mehr Gleisen zwischen Köln und Duisburg und mehr Weichen und Überholmöglichkeiten im östlichen Revier. Dazu kommt der drei- bzw. viergleisige Ausbau zwischen Dortmund und Hamm. Über das Nadelöhr zwischen Duisburg und Dortmund traut sich derzeit keiner zu reden – oder es fehlt die Idee, wie dieses aufzulösen ist. So hat man hier vor zwei Jahrzehnten noch eine Bahntrasse zum Radschnellweg umgewidmet – nachdem sie für den Magnetschwebetraum namens Metrorapid gemeuchelt wurde.

Das größte und umstrittenste NRW-Projekt liegt im Osten

Das größte, teuerste und umstrittenste Projekt, das schon spruchreif ist, entsteht ganz im Osten NRWs: Für den Deutschlandtakt soll die Fahrzeit zwischen Hamm und Hannover auf eine Stunde sinken – vor allem durch eine Neubaustrecke zwischen Bielefeld und Hannover. Noch ist die ideale Trasse nicht gefunden, die Diskussionen und Widerstände schwappten bis in den Saal in Münster: Bürgerinitiativen dort wehren sich gegen einen Streckenneubau, wollen lieber, dass die bestehende Trasse umgebaut wird.

Fraglich ist allerdings, ob sie dies mit den Menschen entlang der Trasse abgestimmt haben, denen dann zwei zusätzliche Gleise durch die Städte gelegt werden, zumindest zwischen Minden und Wunstorf.

Im Lande der Nimbys: Nimby steht für: Not in my backyard. Überall da, wo die Bahn neu bauen will, sagen viele Anwohner: Alles schön, dolle Sache mit dem Klimaschutz und so. Aber bitte nicht hier. Insofern hat die Bahn noch viele Diskussionen vor der Brust. Und mit Lars Klingbeil und einem ostwestfälischen FDP-Bundestagsabgeordneten dummerweise Wahlkreisinteressen gegen sich: Nimbys im Bundestag....
Im Lande der Nimbys: Nimby steht für: Not in my backyard. Überall da, wo die Bahn neu bauen will, sagen viele Anwohner: Alles schön, dolle Sache mit dem Klimaschutz und so. Aber bitte nicht hier. Insofern hat die Bahn noch viele Diskussionen vor der Brust. Und mit Lars Klingbeil und einem ostwestfälischen FDP-Bundestagsabgeordneten dummerweise Wahlkreisinteressen gegen sich: Nimbys im Bundestag.... © HA | Hanna Kastendieck

Was Bauen im Bestand für Bahnkunden bedeutet, erfahren seit rund sechs Jahren die Anwohner entlang der Bahnstrecke zwischen Emmerich und Oberhausen: In zehn Tagen wird die Bahnstrecke mal wieder für rund sechs Wochen komplett gesperrt. Als vor 30 Jahren klar wurde, dass vor allem die Niederlande darauf drängten, mehr Güter über die Schiene nach Deutschland bringen zu können, hatten Bürgerinitiativen eine Neubautrasse entlang der A3 gefordert, um genau diese Dauerbaustellen zu verhindern. Damals galt das als nicht finanzierbar und utopisch.

Im Falle des Neubauprojektes Bielefeld-Hannover scheint das Bundesverkehrsministeriums trotz der Widerstände die Neubautrasse durchsetzen zu wollen. Wenn man nicht das gesamte Konstrukt „Deutschlandtakt“ wieder beerdigen wolle, so Susanne Henckel, müssen die Züge die Distanz zwischen Bielefeld und Hannover in 30 Minuten bewältigen. Da sei der Neubau „eigentlich alternativlos.“

Bleibt die Frage, ob das Umparken auch dort gelingt, wo ein Parteifreund des FDP-Bundesverkehrsministers seinen Wahlkreis hat.