An Rhein und Ruhr. Billionen weggeworfene Zigarettenfilter vergiften die Umwelt. Freiwillige sammeln in einer Aktionswoche Stummel auf – und mahnen.
Jährlich werden etwa 4,5 Billionen Zigarettenfilter weltweit achtlos weggeworfen – diese Schätzung basiert auf Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Das ist eine unvorstellbare Zahl, eine Größenordnung von zwölf Nullen“, berichtet Birgit Kaiser de Garcia, Sprecherin des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv). Zur Einordnung: Nach aktuellsten Schätzungen der Vereinten Nationen beläuft sich die Weltbevölkerung auf acht Milliarden Menschen – pro Kopf sind das über 560 „Kippen“ pro Jahr, die in der Natur landen. „Der einzige Ort, an dem Zigarettenstummel hingehören, ist der Restmüll“, stellt jedoch Kaiser de Garcia klar.
Joachim Umbach, Initiator der Aktion „RhineCleanUp“, die entlang von Flüssen wie dem Rhein Freiwillige animiert, Müll aufzusammeln, sind weggeworfene Zigarettenstummel ebenfalls ein Dorn im Auge. „Bei unseren Aufräumaktionen sind uns immer wieder Kippenreste ins Auge gefallen, gerade an Orten, an denen die Menschen beim Spazierengehen eine Pause einlegen.“ Eine Woche lang wird nun unter dem Stichwort „Rheinkippen 2023“ auf die Folgen aufmerksam gemacht, die Zigarettenreste für die Umwelt haben können.
Bestandteile aus Kunststoff
Und die sind beträchtlich. Die Zigarettenfilter bestehen aus Celluloseacetat, einem Kunststoff, der nur schwer biologisch abbaubar ist. An Land dauert der Abbau bereits zwei bis fünf Jahre, im Meerwasser dagegen noch länger. Zudem gelangen Abbaureste als Mikroplastik in Ozeane und, wie Forscherinnen und Forscher inzwischen nachgewiesen haben, in die Nahrungskette.
„Die Filter enthalten aber auch giftige chemische Stoffe“, merkt Kaiser de Garcia an. Das Landesumweltamt führt bis zu 700 solcher Bestandteile auf, Arsen, Blei, Cadmium, Formaldehyd,Benzol, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und Nikotin sind dabei nur einige. Das Land NRW sieht in der aktuellsten Fassung des „Verwarnungs- und Bußgeldkatalog Umwelt“ Strafen von bis zu 100 Euro für das Zigarettenwegschnipsen vor, etwa die Stadt Essen hat diese Strafe übernommen.
Verhaltensänderung als Ziel
Viel mehr als die Androhung von Bußgeldern könne aus Sicht von Birgit Kaiser de Garcia aber die Aufklärung über die Gefahren der Kippenreste zielführender sein. „Wer sich bewusst macht, was mit den Zigaretten passiert, ändert vielleicht sein Verhalten.“
Von einem großen Aufwand, die Giftstoffe aus den Abwässern zu klären, berichtet Ilias Abawi, Sprecher von Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV). Die EGLV ist nach eigenen Angaben einer der größten Betreiber von Kläranlagen im Bundesgebiet, 60 sind es aktuell. „Für uns ist das ein Thema, Nikotin und weitere Stoffe geraten ins Wasser“, berichtet Abawi. Innerhalb von 30 Sekunden würden sich Zigarettenstummel im Regen auflösen und die giftigen Bestandteile freigeben. „Rund 90 Prozent der Stoffe können wir klären.“
Weitere Kläranlagen erhalten vierte Reinigungsstufe
Nach und nach würden weitere Kläranlagen mit einer zusätzlichen, dann vierten Reinigungsstufe (nach Rechenklärung, Vorklärung und biologischer Reinigung) ausgerüstet. Damit wird keine bestimmte Klärtechnik bezeichnet, sondern eine ganze Reihe verschiedener Optionen wie Ozonierung, eine Membranfiltration oder Aktivkohlefiltration. „Das alles ist aber mit Kosten verbunden. Kosten, die zu Lasten der Allgemeinheit gehen“, ruft Abawi in Erinnerung. „Und allein schon durch steigende Energiekosten wird die Abwasseraufbereitung teurer.“
Der EGLV-Sprecher appelliert an die Mitbürgerinnen und Mitbürger, weder Zigarettenstummel noch andere Abfälle in die Natur einzubringen. „Auch Medikamente werden ja leider oft über die Toilette entsorgt.“ So könnte die Renaturierung von Flüssen wie der Emscher, die Milliarden Euro gekostet hat, ad absurdum geführt werden.
Auf mehr Achtsamkeit setzt auch Jochen Umbach – mehr Kontrollen allein seien keine Lösung. „Ich mache den Beschäftigten in den Ordnungsämtern keinen Vorwurf. Es ist einfacher, ein falsch abgestelltes Auto mit einem Strafzettel zu versehen, als tatsächlich Personen auf frischer Tat beim Kippen wegschnipsen zu erwischen.“
Umbach schätzt, dass die Freiwilligen in der Aktionswoche „Rheinkippen“ bis zum kommenden Freitag bis zu 200.000 Kippen einsammeln werden. „Wir wissen selbst, dass das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein wird.“ Aber irgendwie müsse man ja anfangen.
Über die Internetseite der Aktion „RhineCleanUp“ (www.rhinecleanup.org) können sich Gleichgesinnte zu Müllsammelaktionen zusammenfinden.