An Rhein und Ruhr. Wolfgang Strubel ist wütend: Seit Wochen fallen Unterrichtsstunden seiner Tochter aus. Situation stellt den Duisburger vor große Probleme.
Nach der zweiten Stunde war schon wieder Schulschluss – und das jeden Montag. So drastisch war im letzten Halbjahr der Stundenplan einer 12-jährigen Duisburgerin. Sie geht in die siebte Klasse einer Realschule und bekommt wie alle anderen auch die Folgen des Lehrermangels täglich zu spüren. In den vergangenen Monaten wurden manche Fächer ganz vom Stundenplan gestrichen. Vertretungs-, oder Betreuungsunterricht gab es nicht. Montags musste sie deshalb schon vor 10 Uhr den Heimweg antreten.
Ihrem alleinerziehenden Vater Wolfgang Strubel gefällt das nicht. „Ich habe einen kulanten Arbeitgeber, kann aber nicht jeden Montag von zuhause arbeiten“, sagt der Duisburger, der ein Caritas-Haus in Rheinberg leitet. Den Montagvormittag hätte die Schülerin zwar gut nutzen können, um Hausaufgaben zu erledigen, „das hat ohne Hilfe aber nicht immer so gut funktioniert. Meine Tochter hat deshalb häufig gewartet bis ich zuhause war.“
Am Abend noch das mit dem Kind nachzuholen, was durch den ausgefallenen Unterricht versäumt wurde, sei quasi unmöglich, findet Strubel. Betroffen seien bei der Realschülerin neben Sport und Musik auch die Naturwissenschaften.
Fast überall fehlen Lehrer
Der Grund: Die meisten Schulen in NRW haben zu wenig Lehrer, vor allem Grundschulen und Förderschulen. Laut einer Forsa-Umfrage, die der Verband für Bildung und Erziehung in Auftrag gegeben hat, haben mehr als die Hälfte aller Schulen mindestens eine offene Stelle. Bei etwa einem Drittel der betroffenen Grundschulen und Förderschulen liegt der Anteil der offenen Stellen bei über 15 Prozent.
Und damit nicht genug: Der Bruder der Realschülerin besucht die achte Klasse einer Duisburger Förderschule. „Hier wurde ein neues Konzept erarbeitet, um die Unterrichtsausfälle zu reduzieren“, erklärt der Vater, der selbst Teil der Schulpflegschaft ist. So wurde eine Lernstandserhebung für die Stufen 8 bis 10 angeordnet und die Schüler anschließend leistungsorientiert neu aufgeteilt. „Aus zwölf Klassen wurden dann acht“, berichtet Strubel.
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Seitdem sei es zu deutlich weniger Unterrichtsausfällen gekommen. Infolgedessen haben sich auch die Leistungen des Jungen gebessert, erzählt sein Vater. Ähnlich verfährt die Heinrich-Pattberg-Realschule in Moers, die bereits Förderkurse zusammengelegt hat. Zusätzlich habe man die wöchentlichen Stundenzahlen der Lehrer erhöhen müssen, sagt Schulleiter Thomas Urner.
Größere Klassen, weniger Individualität
„Dass Schüler aus verschiedenen Stufen zusammengelegt werden, ist eher untypisch und an den meisten Schulen auch gar nicht möglich“, erklärt Andreas Bartsch, Präsident des Lehrerverbands (NRWL). Dass es aber innerhalb einer Jahrgangsstufe zu weniger Klassen mit jeweils mehr Schülern kommt, sei inzwischen normal geworden.
„Das führt zu deutlich mehr Stress für die Lehrer und zu einem Verlust der Individualität“, erklärt der NRWL-Präsident. Deshalb gebe es Klassenfrequenzhöchstwerte, die laut einer Sprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf nur in Ausnahmefällen überschritten werden dürfen. Für die meisten Schulformen liegt diese Grenze bei unter 31.
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Besonders an den Grundschulen sei die individuelle Förderung unabdingbar, meint Bartsch. „Die weiterführenden Schulen sind darauf angewiesen, dass in den Grundschulen ein gutes Fundament geschaffen wird. Das wird heute aber immer schwieriger.“ Vor allem Kinder mit besonderem Förderbedarf blieben auf der Strecke, erklärt eine Sprecherin der Landeselternschaft für Gymnasien.
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Und das spiegelt sich auch in den Zahlen des IQB-Bildungstrends wider. 21,6 Prozent der Viertklässler in NRW erreichen beim Lesen nicht den Mindeststandard, bei Mathe gilt das für etwa 28 Prozent. Jeder dritte Viertklässler hat erhebliche Probleme mit der Rechtschreibung.
So sollen die Probleme gelöst werden
Ein Handlungskonzept der Landesregierung soll an diesen Problemen ansetzen, Lehrer entlasten und den Beruf für die Zukunft attraktiver zu machen. Der Lehrerverband und die Landeselternschaft loben unter anderem die geplante Erhöhung der Einstiegsbesoldung für Lehrer der Primarstufe und Sekundarstufe 1. Auch die Verwaltungsunterstützung, die Lehrer von vielen organisatorischen Aufgaben befreien soll, wurde positiv aufgenommen.
„Trotzdem gibt es aktuell noch eine Menge, was den Beruf unattraktiv macht“, findet Bartsch und meint damit die ungewollten Abordnungen der Lehrkräfte an andere Schulformen. Grundsätzlich sollten sich die Lehrer auf das reine Unterrichten konzentrieren können, so die Landeselternschaft., so die Landeselternschaft. Es sei schließlich zu verhindern, dass „vor unseren Kindern überforderte, demotivierte und ausgebrannte Lehrer stehen, die unseren Kindern die Freude am Lernen nehmen.“
>>> Der Lehrermangel in Zahlen
Vergleichsweise gut ausgestattet sind im Regierungsbezirk Düsseldorf die Gymnasien. Hier sind im gesamten Bereich etwa 37 Stellen unbesetzt. Die Personalausstattungsquote liegt bei über 99 Prozent, ebenso wie bei den Hauptschulen. Das teilt die Bezirksregierung mit. Anders sieht es bei den Grundschulen aus: Hier fehlen aktuell mehr als 600 Lehrkräfte. Die niedrigste Personalausstattungsquote liegt bei den Förderschulen. Von den etwa 4337 Stellen im Regierungsbezirk ist ungefähr jede zehnte Stelle unbesetzt.
An den Berufskollegs in der Region sind etwa 237 Stellen offen, an den Realschulen fehlen ungefähr 223 Lehrkräfte, an den Gesamtschulen 433. Eine Ausstattungsquote von über 100 Prozent haben lediglich die wenigen Sekundarschulen und Weiterbildungskollegs.