An Rhein und Ruhr. Regelmäßig sterben Hunde und Katzen in NRW an Giftködern. Die Täter kommen meist ungestraft davon. Ein Betroffener erzählt von seinem Verlust.
Seinen 48. Geburtstag wird Fausto Piccino sicherlich niemals vergessen. Statt auf seiner geplanten Party verbrachte der Gastronom aus Essen-Werden den Abend in der Tierklinik. Für seinen Hund „Lord“, ein stattlicher American Staffordshire Terrier, sollte der 25. Mai der letzte Tag seines achtjährigen Lebens werden. Auf dem Gelände des Vereinsheims, das sein Herrchen betreibt, wurde er vergiftet. Für „Lord“ kam die Hilfe der Tierärzte in Duisburg-Asterlagen zu spät, die Wirkung des Blutverdickungsmittels war bereits zu weit fortgeschritten.
Heute, fast ein Jahr später, wissen Fausto Piccino und seine Freundin Ramona trotz sofortiger Anzeige bei der Polizei immer noch nicht, wer ihren Hund vergiftet hat. Das mache es nicht leichter, den Verlust zu verarbeiten: „Ich fühle eine Mischung aus Hass, Trauer und Unverständnis. Wer uns das angetan hat, ist für mich kein Mensch.“
Giftköder-Statistik NRW: Exklusive Zahlen von der Hunde-App Dogorama
Diese Gefühle kennen viele Menschen in Nordrhein-Westfalen. Wie viele Giftköder an Rhein und Ruhr ausgelegt werden, war lange Zeit unklar. Offizielle Statistiken führen Polizei und Ministerien nicht, weshalb eine verlässliche Einordnung zum Ausmaß des Phänomens lange Zeit nur schwer möglich war.
Ändern könnte das nun die „Dogorama“, mit mehr als einer halben Million Nutzern in ganz Deutschland die größte Community-App. Dort können Tierhalter andere Besitzer vor Giftködern in der Umgebung warnen. Leckerchen mit Rattengift, Wurststücke mit Nägeln – ein kurzer Blick auf das Gefahrenradar der App zeigt, dass der böswilligen Kreativität der Täter kaum Grenzen gesetzt sind. In NRW wurden im vergangenen Jahr insgesamt 1331 absichtlich ausgelegte Giftköder in der App gemeldet. Damit geht der Wert im Vergleich zum Vorjahr leicht zurück (1540 Meldungen bei geringerer Nutzerzahl).
Giftköder in NRW: Die meisten Meldungen kommen aus Köln, Düsseldorf, Essen und Dortmund
Der Geschäftsführer von „Dogorama“, Jan Wittmann, und sein Team haben für die NRZ ausgewertet, dass sich beim Blick auf lokale Meldungen ein ähnliches Bild zeigt. „Unter den Städten lassen sich keine Auffälligkeiten feststellen“, sagt Wittmann mit Blick auf NRW. „Köln hat die meisten Meldungen, danach folgen mit jeweils etwa gleich vielen Meldungen Düsseldorf, Dortmund und Essen. Die Anzahl der Meldungen scheint also mit der Anzahl der Einwohner zu korrelieren.“ An Rhein und Ruhr – also in den Städten Düsseldorf, Duisburg, Essen, Mülheim, Oberhausen, sowie den Kreisen Kleve und Wesel – wurden im vergangenen Jahr 191 Giftköder gemeldet, 2021 waren es mit 218 noch knapp mehr.
Tierschützer stellen dennoch in Frage, inwieweit diese Entwicklung eine gute Nachricht ist. „Jeder Giftköder ist einer zu viel. Zudem dürfte die Dunkelziffer sehr hoch sein“, meint Katrin Umlauf, Fachreferentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund. Dass einige Menschen überhaupt extremes Leid für Tier und Besitzer in Kauf nehmen, ist aus ihrer Sicht „alarmierend“. Dazu können die Täter nur in seltenen Fällen ermittelt werden. Das Auslegen von Giftködern gilt vor dem Gesetz als versuchte Sachbeschädigung. Kommt ein Tier zu Schaden oder stirbt es gar, greift das Tierschutzgesetz. Täter müssen dann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen.
Aktuelle Giftköder-Meldungen aus den Städten in NRW:
- Essen: Giftköder-Alarm – Leckerli mit Rattengift bestrichen
- Duisburg: Hundeköder – Wo Halter wachsam sein sollten
- Kamp-Lintfort: Neue Warnung vor Giftködern im Niersenbruch
- Kamp-Lintfort:Vorsicht – Unbekannte legen Giftköder aus
Ist dieser Strafrahmen nicht abschreckend genug? Das NRW-Innenministerium ließ eine Anfrage zu diesem Thema unbeantwortet. Katrin Umlauf betont jedenfalls, dass nicht nur Hunde und Halterinnen betroffen seien. Auch Katzen, Wildtiere und sogar spielende Kinder würden stark gefährdet. „Das wird vorsätzlich in Kauf genommen und muss auch dementsprechend bestraft werden“, fordert sie.
Tierschutzbund über Giftköder: Hunde nicht aus den Augen lassen
Der Tierschutzbund rät, Hunde beim Spaziergang nicht aus den Augen zu lassen. In Gebieten, in denen Giftköder-Fälle gemeldet wurden, sollten Hunde nicht von der Leine gelassen werden und besonders gut beim Schnuppern im Gras beobachtet werden. „Hunde, die partout alles aufsammeln, was ihnen vor die Schnauze kommt, sollten gegebenenfalls einen Maulkorb tragen. Am besten ist es natürlich, wenn man seinem Hund beigebracht hat, nichts zu fressen, was im Gebüsch liegt“, so Umlauf. Verdächtige Beobachtungen seien der Polizei zu melden, um andere Tiere zu schützen.
Wie schnell es gehen kann, selbst zum Opfer eines Giftköders zu werden, weiß Fausto Piccino leider genau. Einen neuen Hund will er vorerst nicht. Aus Angst vor einer Wiederholung? Nein, betont der Essener. „Meine Freundin ist schwanger geworden, kurz nachdem Lord von uns gegangen ist. Es ist fast so, als ob er uns unseren Nachwuchs geschickt hätte.“