Krefeld. Siegfried Cremer hat neun Jahre in Krefeld gelebt. Eine wichtige Zeit für den Künstler, dessen Werke der Krefelder Kunstverein nun präsentiert.
Der dünne Draht windet sich erst in die eine, dann in die andere Richtung und endet schließlich in einem winzigen Quader. Kurz mal angetippt – nee, das ist eigentlich nicht erlaubt, aber als Kurator darf Peter Josteit das! – und schon wackelt das filigrane Gebilde. So zart das eine mitten im Raum steht, so schwer hängt das andere an der Wand. Ein kleines Quadrat aus schwarzem Blei, ein „komprimiertes Bild“. Denn, das erklärt der Kurator, „auf kleinstem Raum geht’s um ganz viel optische Masse.“ Ja, Gegensätze – leicht und schwer, groß und klein, monochrom und mehrfarbig – haben den Künstler Siegfried Cremer zeitlebens fasziniert. Das zeigen seine Werke aus vier Jahrzehnten, die der Krefelder Kunstverein aktuell in der Ausstellung „Aufgehende Saat“ präsentiert.
Aufgehende Saat? Peter Josteit nickt. „Das sagt schon was aus.“ Denn Siegfried Cremer, 1929 in Dortmund geboren und 2015 in Stuttgart gestorben, lebte neun Jahre in Krefeld, von 1955 bis 1964, „und hier haben verschiedene Perioden seines Schaffens seinen Ursprung“. Dabei arbeitete er hauptberuflich nicht etwa als Künstler, sondern als Restaurator. Wenn auch nicht ganz freiwillig, wie der Kurator betont: „Er hatte immer das Ziel, Künstler zu sein. Aber er hat schnell gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist, als solcher Geld zu verdienen.“ Und das brauchte er für seine Familie. Deshalb also wurde er Restaurator – erst am Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld, später an der Staatsgalerie in Stuttgart. Eigentlich aber, das ist auch seiner Tochter Susannah Cremer-Bernbach wichtig zu betonen, war er hauptsächlich Künstler.
Avantgarde in Krefeld
Und als solcher erlebte Siegfried Cremer die vielleicht spannendste Zeit in der (Kunst-)geschichte von Krefeld. In den 1950ern und 1960ern holte Paul Wember die Avantgarde an den Niederrhein, darunter herausragende Künstler wie Yves Klein oder Jean Tinguely. Die neuen Materialien, die neuen Ideen der zeitgenössischen Kunst haben auch ihn geprägt, wie die frühe Phase seines Schaffens beweist. Da sind die gezeichneten Linien, die er in den dreidimensionalen Raum holt. Da sind die komprimierten Bilder, die sein Interesse an der Astronomie widerspiegeln. „Er hat sich viel mit schwarzen Löchern beschäftigt“, erzählt Peter Josteit und zeigt auf eine Rundung an der Wand. Wer sich nun an die richtige Position stellt, meint ein schwarzes Rohr zu sehen, das weit in die weiße Wand hineinragt…
Denn plötzlich ging’s Siegfried Cremer nicht mehr um das Begrenzte, sondern um die Ausdehnung. Quasi um den Urknall. Gut, das klingt doch etwas theoretisch, deshalb geht’s nun zu einem winzigen, grünen Quadrat. Wobei, hinter dem Bild schimmert es doch rot? „Leuchtfarbe“, erklärt Peter Josteit. Mit der hat der Künstler die Rückseite bemalt, damit die Farbe ins Unendliche geht. Er selbst soll einst gesagt haben: „Meine kleinsten Bilder sind meine größten.“ Und von denen hat er einige geschaffen: weiße Quadrate, rote Rechtecke… und in der oberen Etage gibt’s noch mehr zu entdecken. Gelbe, graue, schwarze Leisten und dahinter die unendliche Kraft der bunten Leuchtfarben. Übrigens dreht sich dabei auch vieles um die Proportionen – aber welcher Satz des Pythagoras genau hinter „Bild 30,55“ steht, kann der Kurator jetzt auch nicht sagen.
Collagen aus Abfall
Dafür aber weiß er, was es mit den „Unbeabsichtigt entstandenen Skulpturen“ auf sich hat: „Das sind Moniereisen, die er auf dem Bau gefunden hat.“ Eisenstangen, die aussehen wie Schnecken, Libellen oder, oder, oder… „Da kann jeder selbst überlegen, an was ihn die Objekte erinnern.“ Aus vermeintlichem Müll ein neues Kunstwerk zu schaffen, das beschäftigte Siegfried Cremer auch in späteren Jahren, als er längst Professor für Maltechnik an der Kunstakademie Düsseldorf war. Auf seinem täglichen Weg zur Arbeit sammelte er weggeworfene Zigarettenstummel, benutzte Taschentücher oder zusammengeknüllte Papierfetzen vom Boden auf und verarbeitete sie weiter zu Collagen. Auch hier ist nun die Kreativität der Betrachtenden gefragt: Ist das etwa ein tanzender Vogel? Fast, wie die Inschrift verrät: „Blinkend gekrönter Adler nach abruptem Aufsetzen auf dem Reichsapfel, noch ohne Zepter.“
>>> Siegfried Cremer in Krefeld
„Aufgehende Saat. Siegfried Cremer – Werke aus vier Jahrzehnten“ ist noch bis zum 12. März im Krefelder Kunstverein, Westwall 124, zu sehen. Die Ausstellung ist mittwochs bis freitags von 10 bis 13 Uhr geöffnet.
Zur Ausstellung erscheint eine Edition mit Unikaten von Siegfried Cremer. Am Freitag, 5. März, findet um 12 Uhr im Krefelder Kunstverein ein Künstlergespräch statt. Weitere Infos: www.krefelder-kunstverein.de
Im Rahmen von KunstlmPuls wird zudem am 2. März im Kaiser-Wilhelm-Museum, Joseph-Beuys-Platz 1, ein Raum mit Arbeiten von Siegfried Cremer eröffnet. Weitere Infos: www.kunstmuseenkrefeld.de