Krefeld. Leerstehende Psychiatrien oder verlassene Hotels: Sven Fennema aus Krefeld reist durch ganz Europa, um „Lost Places“ zu fotografieren.
Wilde Pflanzen ranken sich um die zerbrochenen Grabsteine und nehmen den abgeschiedenen Teil des alten Friedhofs immer mehr für sich ein. Nur ein steinerner Engel hat den Erdrutsch vor vielen Jahren unbeschadet überstanden, sodass er noch immer majestätisch über allem stehen und melancholisch in die Ferne schauen kann. Eine geheimnisvolle, mystische Atmosphäre umgibt den Platz, der sich irgendwo in Italien findet. Wo genau, das verrät Sven Fennema nicht. Sonst wäre es ja kein „Lost Place“ mehr. Auf solche, also vergessene Orte, hat sich der Fotograf aus Krefeld spezialisiert, schon vor vielen Jahren, noch bevor sie zum Trend auf Instagram & Co. wurden.
Denn es ist doch so, erklärt der Fotograf: „Lost Places erzählen Geschichten.“ Das fand er bereits als Jugendlicher spannend, als er durch verlassene Industriegebiete im Ruhrgebiet schlenderte, damals allerdings noch ohne Kamera. Denn zunächst schlug er beruflich einen anderen Weg ein, arbeitete in der IT-Branche, bis er 2010 den Schritt in die Selbstständigkeit wagte. „Ich bin Autodidakt“, sagt er. Das Fotografieren hat er sich selbst beigebracht, unter anderem auf ebenjenen Zechengeländen. Doch irgendwann wurde ihm das „zu eintönig“, wie er erzählt. „Was gibt’s sonst noch so?“, fragte er sich und begann zu recherchieren.
Das Geheimrezept des Fotografen
Eine nicht gerade leichte Aufgabe. Denn Google Streetview, heute ein wichtiges Hilfsmittel für ihn, war damals kaum verbreitet, und auch auf andere Onlinedienste konnte er noch nicht zurückgreifen. Deshalb machte Sven Fennema das, was er als sein „Geheimrezept“ bezeichnet: sich eine grobe Route überlegen und dann einfach losfahren. „Aber ohne Autobahn, ich versuche möglichst langsam durchs Land zu reisen“, fügt er hinzu, „dadurch kommt man an Ecken vorbei, die man sonst nie finden würde.“ So wie ein kleines, leerstehendes Hotel in Frankreich… Trübes Licht fällt in den heruntergekommenen Flur, doch unter den abfallenden Tapeten und dicken Staubschichten scheinen noch die guten, alten Zeiten durch.
Um das perfekte Foto schießen zu können, muss der Krefelder manchmal viele Stunden warten – bis das Licht stimmt – oder gegebenenfalls auch an einem anderen Tag wiederkommen. „Die Planung ist das A & O“, sagt er. Denn seine Suche nach verlassenen Orten hat ihn bereits quer durch Europa geführt: Deutschland, Belgien, Schottland, Wales, Rumänien, Georgien… die Liste ist lang, sein Lieblingsland aber ist und bleibt Italien. „Kein Land hat so viele historische Gebäude und dadurch natürlich auch eine große Menge an verlassener Bauwerke“, erklärt er. Deshalb hat er nach seinem ersten Bildband „Tales of Yesteryear“ auch zwei Italienbücher veröffentlicht: „Nostalgia“ und „Melancholia“.
Trophäenjagd für Instagram
Prunkvolle Villen, die Menschen vergessen haben und die sich nun die Natur zurückerobert… da stellt sich die Frage: Wieso stehen solche Gebäude überhaupt leer? Sven Fennema zuckt mit den Schultern. „Die Häuser befinden sich ja meistens nicht mitten in Mailand oder Venedig, sondern in einem kleinen Bergdorf.“ Der nächste Supermarkt liegt weit entfernt, nicht gerade praktikabel, dazu kommt der strenge Denkmalschutz. „Dafür braucht es Investoren, weil es sonst zu teuer ist.“ Deshalb geraten selbst wunderschöne Palazzi in Vergessenheit, wobei, das merkt er immer mehr: „Die Suche nach Lost Places ist in den letzten zwei, drei Jahren völlig explodiert.“
Durchs Internet ist die Recherche einfacher geworden, sodass sich immer mehr Menschen an der „Trophäenjagd“, wie der Krefelder es nennt, beteiligen. Wer findet den schönsten, vergessenen Ort? Wer knipst das beste, außergewöhnlichste Bild? „Das sind dann aber selten hochwertige Fotografien.“ Dazu kommt noch ein weiteres Problem: Sobald ein „Lost Place“ bekannter wird, kommt es häufig zu Plünderungen. Diebe reißen Böden aus, stehlen ganze Wandpaneelen. Deshalb ist ihm Transparenz immer wichtig. Konkret bedeutet das: bei Behörden eine Genehmigung einzuholen oder auch schon mal bei Nachbarn anzuklopfen und Bescheid zu geben.
Gruselstimmung in alten Psychiatrien
Doch mal ganz ehrlich, wird ihm nicht manchmal auch etwas mulmig zumute, wenn er allein durch einen verlassenen Ort läuft? Sven Fennema nickt zögerlich. „In den italienschen Psychiatrien sind die Hallen und Gänge unfassbar riesig gebaut worden, damit sich der Mensch ganz klein fühlt“, erzählt er. Wenn dann auch noch der Wind durch die Fenster pfeift, kann es schon unheimlich werden. Wie gut, dass er nicht an Geister glaubt… „Und die Stimmung führt ja auch immer dazu, wie man fotografiert.“ Schließlich geht’s ihm nicht um die reine Dokumentation, sondern um die kunstvolle Inszenierung. „Ich will etwas erzählen und das Kopfkino anschalten“, erklärt er. „Meine Bilder sollen die Fantasie anregen.“
Und tatsächlich, beim Anblick von zerstörten Gräbern, verlassenen Hotels und heruntergekommenen Villen stellt sich schnell die Frage: Was ist passiert? Welche Geschichte steckt dahinter? Für seinen nächsten Bildband über „Lost Places“, der im Herbst erscheinen soll, muss der Fotograf bald wieder los. Viele Länder hat er dafür bereits bereist, nur zwei Ziele fehlen ihm noch. In Spanien will er alte Castillos besuchen, in Portugal „wunderschöne Villen mit etwas anderem Charme.“ Mehr aber verrät er noch nicht…
>>> Lost Places und verwunschene Friedhöfe
Sven Fennema hat gerade erst einen neuen Bildband herausgebracht: In „Memento“ nimmt er mit auf eine Reise zu den verwunschenen Friedhöfen in Europa. Das Buch zählt 240 Seiten mit 180 Abbildungen, ist bei Frederking & Thaler erschienen und kostet 49,99 Euro.
Seine Fotografien von Friedhöfen und anderen „Lost Places“ sind im kommenden Jahr auch im Gewölbekeller von Kloster Kamp zu sehen. Weitere Informationen, auch zu aktuellen Ausstellungen, sind auf seiner Homepage zu finden: www.sven-fennema.com