Duisburg. Nachts um 3 Uhr auf dem Großmarkt Duisburg: Ein Plausch über den Wandel des Handels mit zwischen Kisten voller Kürbis und Kohl.
„Moment. In fünf Minuten habe ich ein bisschen Zeit“, sagt Andreas Kiermaier vertieft zwischen Kürbis- und Salatkisten. Es ist kurz nach 3 Uhr. Die ersten Frischwaren, die der Obst- und Gemüsehändler seit Jahrzehnten auf dem Großmarkt in Duisburg anbietet, haben die Halle bereits verlassen. Noch eben etwas Blumenkohl beim Händler nebenan zugekauft, „weil der Kunde den kurzfristig geordert hat“, und Andreas Kiermaier hat ein bisschen Zeit für einen kurzen Plausch zwischen Erdbeeren, Endivien und Kohl.
40 Jahre ist er auf dem Großmarkt dabei, erzählt der Familienvater aus Straelen. Den Betrieb hatte sein Vater Karl einst gegründet. „Als ich zehn Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal auf einem Gabelstapler gesessen. Ich bin hier groß geworden und habe das Geschäft von der Pike auf gelernt“, blickt er zurück.
Andreas Kiermaier ist einer von 25 Mietern auf 32.000 Quadratmetern Großmarktfläche. Obst, Gemüse, Fisch und sonstige frische Lebensmittel bieten die Importeure und Großhändler werktags zu den Kernzeiten zwischen 3 und 11 Uhr an. Zu den Kunden zählen Gastronomen, Fachgeschäfte, Wochenmarktbeschicker und Lebensmittelhändler, „wobei die immer weniger werden“, sagt Andreas Kiermaier.
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Er und seine „Hallennachbarin“ Maria Röskes, die den „Weitz Frischdienst“ in dritter Generation betreibt, „sind die Urgesteine des Großmarktes hier“, erklärt Udo Jesel, Geschäftsbereichsleiter Märkte von Duisburg Kontor. Er ist seit 2017 zuständig für das Frischezentrum und weiß, dass sich auch auf dem Großmarkt der Handel im Wandel befindet.
Bestellungen per Mail
Irgendwie war die Vorstellung eine andere, so um 3.30 Uhr in der großen Halle. Kein großes Feilschen, kaum Kunden, die sich die Waren anschauen. Vieles laufe heute bereits digital. Spontane Käufe sind kaum dabei. „Die meisten bestellen zuvor per Mail“, sagt Udo Jesel. Entweder liefern die Großmarkthändler dann die Bestellungen aus oder die Kunden fahren vor, laden ein und sind wieder weg. Großes Markttreiben – „das war einmal“, sagt auch Maria Röskes. Sie erinnert sich noch an die Zeit, als ihre Großmutter und ihre Eltern hier ihre Waren feilboten. „Das war ein Gewusel, die Kunden standen nachts Schlange vor den Toren. Und vor dem Eingang standen Menschen, die einen Job suchten. Das gibt’s heute nicht mehr. Mitarbeiter zu finden, ist schwer“, erzählt die Mülheimerin. Für sie ist der Hochbetrieb bald schon wieder vorbei. Das Traditionsunternehmen hat sich auf die Belieferung von Großküchen fokussiert. „Hier die Kisten müssen noch weg“, sagt Maria Röskes zu ihrem Fahrer, der gerade von einer Fuhre wiedergekommen ist. Während für sie und Andreas Kiermaier die Schicht bald fast gelaufen ist, beginnt das Treiben bei den Händlern, die weitestgehend den türkischen Einzelhandel beliefern, erst so richtig.
Andreas Kiermaier packt die Kisten für den nächsten Kunden zusammen. 4 Uhr gleich. Noch drei, vier Stunden, dann ist für ihn hier erst einmal Schluss, der Arbeitstag aber noch nicht beendet. Die nächsten Tage müssen organisiert werden. Telefonate mit Geschäftspartnern in Spanien und Italien, Exporteuren und Spediteuren stehen an. Während andere Händler mittlerweile vieles digital machen, setzt Andreas Kiermaier noch aufs Gespräch. Danach fährt er mit seinem Lkw an den Niederrhein, kauft Obst und Gemüse aus der Region, direkt beim Bauern ein. „Das ist frischer, als wenn ich den Kohl anliefern lassen würde“, sagt der Familienvater, der seit Jahrzehnten „mit drei, vier Stunden Schlaf“ auskommt. „Mein Wecker geht immer um 23 Uhr“, sagt er. Aber daran habe er sich längst gewöhnt. Und auch wenn das Geschäft schwieriger geworden ist, die Umsätze seit Beginn der Corona-Pandemie zurückgegangen sind und der Großmarkt längst nicht mehr so viele Kunden anzieht wie früher, so will Andreas Kiermaier den Job solange machen, „wie ich fit bin.“
Noch gelernt, zu handeln
Rund 100.000 Tonnen Waren im Wert von 120 Millionen Euro werden jährlich auf dem Großmarkt in Duisburg, der 1927 erstmals öffnete, gehandelt. Die Kunden kommen aus Duisburg und den umliegenden Städten wie Mülheim und Oberhausen sowie den Kreisen Wesel und Kleve – ein Einzugsgebiet mit etwa zwei Millionen Verbrauchern.
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Gegen 0.30 Uhr trifft Andreas Kiermaier zumeist am Großmarkt ein und sortiert dann die Kisten voller Äpfel, Möhren, Salat, Champignons, Spitzkohl. Auf dem Großmarkt gibt es keine Preisschilder. Im Schein des Neonlichts wird gehandelt. „So habe ich es gelernt“ – zu einer Zeit, als noch nicht die großen Discounter den Preiskampf eröffnet und die Gewinn-Margen bestimmt haben.“ Früher, so erzählen Kiermaier und Maria Röskes, da hätten auch die Supermarktbetreiber auf dem Großmarkt ihr Obst- und Gemüsesortiment bestückt. Da gab es noch eine Handschlagmentalität. Doch diese Zeiten seien schon lange vorbei: „Die meisten Supermarkthändler dürfen heute hier gar nicht mehr zukaufen, die bekommen ihre Waren von der Zentrale vorgeschrieben.“ Reine Obst- und Gemüsegeschäfte gibt es nur noch wenige. Und die meisten Gastronomen und Caterer wissen ganz genau, was sie wollen. Manchmal sogar Pfirsiche im Winter, worüber Maria Röskes den Kopf schüttelt. Großmarkt bedeutet eigentlich auch: Saisonware. Und das sind Pfirsiche im Winter wahrlich nicht.