Gronau/Düsseldorf. Nachdem Durchsuchungen im Kreis Kleve eklatante Mängel aufgezeigt haben, wurde nun im Kreis Borken kontrolliert. Was hier aufgedeckt wurde.

Zwei Jungen stehen in der Dunkelheit auf der nassen Wiese, spähen neugierig über den grünen Doppelstabzaun. Sie wollen wissen, was die Polizeibeamten auf den Grünflächen hinter den Mehrfamilienhäusern treiben, warum sie sich vor geöffneten Fenster in den Fluren in den ersten Etagen positionieren, warum Menschen auf Bierzeltgarnituren von Männern und Frauen in offiziellen Jacken und Westen befragt werden. An diesem Abend werden die Wohnungen einer Straße im westfälischen Gronau im Kreis Borken von Polizei und Ordnungsamt, von Gesundheitsamt, Ausländerbehörde, dem niederländischen und erstmals auch dem rumänischen Arbeitsschutz unangekündigt durchsucht.

Leiharbeiter werden mit weißen Bullis in die Fleischfabriken gebracht

In den Häusern sind viele Leiharbeiter vor allem aus Osteuropa untergebracht, die mit weißen Bullis zum Arbeiten in niederländische Fleischfabriken gebracht werden. Leben müssen sie teils in unzumutbaren, schäbigen und unhygienischen Unterkünften, wie vergangene Razzien im Kreis Kleve im Februar und Mai gezeigt haben.

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach schaut sich die Wohnungen bei der Kontrollaktion von Sammelunterkünften in Gronau selbst vor Ort an.
NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach schaut sich die Wohnungen bei der Kontrollaktion von Sammelunterkünften in Gronau selbst vor Ort an. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Zwei Frauen sind an einem Küchentisch in der ersten Etage. Zwei Dosen Bier stehen darauf. Eine Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes will wissen, ob die Frauen geimpft oder genesen sind. Ein Mann von der Bauordnung blättert in Unterlagen, zwei Polizisten bewachen den Eingang, Journalisten drängen sich in die Küche. Der Türrahmen ist notdürftig geflickt, im Hausflur ist es dunkel. Doch so dreckig und kaputt wie in Sammelunterkünften in Geldern oder Emmerich sieht es hier nicht aus. Für die Menschen, die hier leben, ist es zumindest ein gutes Zeichen.

Im Haus gegenüber dagegen spricht die Wohnung eines Mannes eine andere Sprache. Ein beißender Geruch setzt sich trotz FFP2-Maske in die Nase. Der erste Raum soll eine Küche sein, der Herd ist mit braunen, teils verkrusteten Flecken übersäht, das ist selbst in der Dunkelheit zu sehen. Ein kaputter Wäscheständer lehnt in einer Ecke, ein Fahrrad steht davor.

Nur ein Sessel in der Wohnung ist frei

Das Katzenklo ist nicht sauber, in einem Napf schwimmt milchige Flüssigkeit. Im Nebenraum, der ein Wohnzimmer sein soll, lässt ein Bewohner Journalisten einen Blick reinwerfen. Auf der Couch türmen sich Kleidung und andere Dinge, der Tisch ist voll, mehrere Plastikflaschen Bier stehen darauf. Nur ein Sessel ist so weit frei, dass er benutzbar ist. Auf einem Bildschirm wartet ein Computerspiel auf den Start. Schlimm findet es der Mann hier nicht, auch wenn er sich mal etwas anderes suchen wollte, sagt er. Im Gegensatz zu den anderen Bewohnern des Hauses arbeitet er nicht in der Fleischindustrie, sagt er.

Auch interessant

Früher waren in dieser Siedlung Textilarbeiter untergebracht, heute leben hier Leiharbeiter aus Rumänien, Bulgarien und anderen Ländern neben Menschen, die hier seit eh und je und dauerhaft leben. Wie viele Leiharbeiter in diesen Häusern leben, weiß man oft nicht. Auch darüber soll diese Kontrollaktion Auskunft geben. 350 Euro für ein Bett bezahle eine Frau, berichtet der Landrat des Kreises Borken. Dazu kommen 60 Euro Fahrtkosten im weißen Bulli, der die Arbeiter zur Fleischfabrik bringt. In der Praxis sieht es oft so aus, dass dieses Geld für Wohnen und Transport direkt vom Gehalt einbehalten wird.

Leiharbeiterin erhält nur sieben Euro

Eine Frau in rotem Langarm-Shirt sitzt auf der Bank der Bierzeltgarnitur unter einem weißen Pavillon. Vor ihr liegt eine Mappe mit Dokumenten, ihr Personalausweis daneben. Ihr gegenüber sitzt ein Mann vom niederländischen Arbeitsschutz und eine Übersetzerin. „Möchten Sie, dass wir Ihnen helfen?“, fragt er sie. Die Frau scheint zurückhaltend, nimmt die Hilfe etwas zaghaft an. Denn sie möchte, dass sie auch den ihr wohl versprochenen Lohn von 11 Euro erhält. Stattdessen, so sagt sie in dem Gespräch mit dem Behördenmitarbeiter, bekommt sie sieben Euro.

Auch interessant

An diesem Abend soll es nicht darum gehen, die Menschen zu verängstigen. Diese Razzia wollen die Beteiligten als Kampf gegen die Ausbeutung verstanden wissen. Das Wohnraumstärkungsgesetz des Landes NRW ist eine Grundlage dafür, andere das Verbot von Werkverträgen in Bereichen der Schlachtung und Zerlegung oder das Recht auf Mindestlohn.

Mitarbeiter des niederländischen und rumänischen Arbeitsschutzes befragen die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, die in niederländischen Fleischfabriken arbeiten.
Mitarbeiter des niederländischen und rumänischen Arbeitsschutzes befragen die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, die in niederländischen Fleischfabriken arbeiten. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Die Razzia dauerte an diesem Abend bis 22 Uhr, 42 Wohnungen durchsuchten die Ordnungsbehörden, am Dienstag nahmen sie vier weitere Immobilien in Südlohn unter die Lupe. Die Bilanz: Brandschutzmängel, Schimmel, fehlende Stromversorgung und weitere bau- und wohnungsrechtliche Mängel. Die Unternehmen hätten zudem von den Bewohnerinnen und Bewohnern zu hohe Mieten verlangt, sie abgeschottet, bedroht und sie über ihre Mieterrechte in Unkenntnis gelassen, heißt es als Fazit. In den meisten Wohnungen würden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer willkürlich, ohne sich zu kennen, einquartiert. Dort wo es einen Anfangsverdacht von Mietwucher und Straftaten gibt, sollen Strafverfahren eingeleitet werden. Zudem wurden Verstöße gegen das niederländische Arbeitsschutzrecht festgestellt.

Im Kreis Kleve sind Unterkünfte stillgelegt worden

Die Verfahren aus den anderen Razzien im Kreis Kleve laufen noch, wie NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) am Abend gegenüber der NRZ sagte. Damals stellten die Kontrolleure unter anderem Verstöße gegen den Brandschutz fest, einige Unterkünfte wurden umgehend stillgelegt. Zudem bestätigte sich der Verdacht einer organisierten Einschleusung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Mieter- und Arbeitnehmerausbeutung. Außerdem gab es den Verdacht auf Steuerstraftaten und Verstöße gegen das Arbeitsschutzrecht.

„Mit dem Wohnraumstärkungsgesetz haben wir erstmals eine Meldeverpflichtung für Unterkunftsbetreiber eingeführt: Verfügungsberechtigte haben die Einrichtung einer Unterkunft außerhalb eines Betriebsgeländes vor deren Inbetriebnahme der Gemeinde anzuzeigen. Zugleich haben sie ein Betriebskonzept vorzulegen. Die oder der Verfügungsberechtigte beziehungsweise eine beauftragte Person hat darüber hinaus zur Sicherstellung eines geordneten Betriebs oder einer geordneten Nutzung ständig erreichbar zu sein“, sagt Ministerin Scharrenbach zur NRZ. „Für bestehende Unterkünfte galt die Verpflichtung zum 31. März 2022. Wir werden im Austausch mit den Kommunen prüfen, ob und inwieweit die Meldepflicht umgesetzt wurde und ob es ggf. weiterer Verbesserungen bedarf. Ziel ist es, dass die Städte und Gemeinden wissen, wo sich die Unterkünfte befinden und wer der ständige Ansprechpartner ist. Dies ist zu gewährleisten.“