Kreis Wesel. Ob Angst, Sucht oder chronische Krankheiten – im Kreis Wesel gibt’s für fast jedes Thema eine Selbsthilfegruppe. Fünf von ihnen stellen wir vor.

Von A wie Alzheimer bis Z wie Zwänge. Ja, es gibt kaum ein gesundheitliches oder soziales Thema, mit dem sich nicht eine Selbsthilfegruppe beschäftigt. Über 300 sind es allein im Kreis Wesel, einige von ihnen stellen wir anlässlich einer bundesweiten Aktionswoche vom 3. bis zum 11. September an dieser Stelle vor. Dabei kommen Menschen zu Wort, die sich mit ihren Problemen zunächst völlig allein gefühlt haben, die irgendwann nicht mehr wussten, wie es weitergehen sollte. Erst durch Gespräche mit anderen Betroffenen konnten sie neuen Mut schöpfen und ihren Alltag anders gestalten. Das ist es auch, was eine Selbsthilfegruppe ausmacht, betont Anne Gawlik von der Selbsthilfe-Kontaktstelle: „Es ist ein Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe.“ Viele fühlen sich verstanden, weil sie sich endlich mal nicht erklären müssen. „Das ist für viele das Schönste.“

Interessierte können sich am Donnerstag, 8. September, an einem Infostand auf dem Xantener Wochenmarkt über die Selbsthilfe im Kreis Wesel informieren. Informationen über die Aktionswoche sind zu finden unter www.wir-hilft.de Kontakt zur Selbsthilfe-Kontaktstelle Kreis Wesel: www.selbsthilfe-wesel.de

Selbsthilfegruppe „Oase für chronisch Kranke“

Heute ist kein guter Tag. Deshalb bittet Rika Stückrath darum, als Erste von ihrer Selbsthilfegruppe erzählen zu dürfen – um sich danach ausruhen zu können. Die 26-Jährige aus Schermbeck ist chronisch krank, hatte schon als Kind orthopädische Probleme und bekam früh Arthrose. Dann, 1998, wurde sie von einer Zecke gebissen. „Aber die Diagnose Borreliose, wodurch sich Gelenkrheuma entwickelte, bekam ich erst 2005, vorher wurde immer alles nur auf die orthopädischen Probleme geschoben“, erzählt sie. Mit der Diagnose schaffte sie es schließlich raus aus den Depressionen, „weil ich es langsam akzeptieren konnte.“

Rika Stückrath hat die Selbsthilfegruppe „Oase für chronisch Kranke“ in Schermbeck gegründet.
Rika Stückrath hat die Selbsthilfegruppe „Oase für chronisch Kranke“ in Schermbeck gegründet. © Stückrath

Der Weg dorthin ist schwer, das weiß die gelernte Erzieherin und Gesundheitsberaterin, deshalb hat sie 2018 die Selbsthilfegruppe „Oase für chronisch Kranke“ gegründet. „Ich wollte anderen helfen“, sagt sie. „Ich sehe es als meine Berufung an und will das Beste aus meiner Krankheit machen.“ Dabei spielt es keine Rolle, welche chronischen Krankheiten die Teilnehmenden haben. Vielmehr geht’s darum, wie jeder und jede lernen kann, damit umzugehen. Statt pauschale Tipps zu geben, versucht die Gruppe individuelle Lösungen zu finden. „Wir wollen uns nicht gegenseitig runterziehen“, betont sie, „sondern uns ermutigen.“

Die Selbsthilfegruppe „Oase für chronisch Kranke“ trifft sich am ersten und dritten Freitag im Monat von 11 bis 12.30 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus, Kempkesstege 2, in Schermbeck.

Selbsthilfegruppe „Angststörung“

Manchmal wacht Martina Stöfken mitten in der Nacht auf, das Herz rast und der linke Arm schmerzt. Sie verfällt in einen Panikzustand, glaubt, dass es nun vorbei ist. „Es fühlt sich körperlich wirklich an wie ein Herzinfarkt“, erzählt sie. Nur: Es ist kein Herzinfarkt. Die Rheinbergerin leidet unter einer Angststörung, so wie Millionen anderer Menschen auch. „Aber im Gegensatz zu Depressionen ist Angst noch immer ein absolutes Tabu-Thema“, hält sie fest. Das möchte sie ändern und spricht deshalb ganz offen über ihre Diagnose, die sie im Jahr 2014 erhalten hat.

Martina Stöfken leitet die Selbsthilfegruppe „Angststörung“ in Wesel.
Martina Stöfken leitet die Selbsthilfegruppe „Angststörung“ in Wesel. © Stöfken

„Man unterscheidet zwischen realer und irrealer Angst“, erklärt sie. Wenn während eines Sturms ein Baum umfällt, verspürt sie zwar auch Angst, „aber die kann ich ganz anders händeln.“ Im Gegensatz zur Panik in harmlosen Alltagssituationen – beim Friseur, im Supermarkt oder Auto. „Die Angst hat keine Berechtigung und kann nicht mit dem Verstand gelöst werden.“ Und doch ist sie da. Wie Betroffene damit umgehen können, darüber können sie sich in der Selbsthilfegruppe austauschen. Für die Rheinbergerin ist dabei eines besonders tröstlich: „Die anderen wissen genau, wie es sich anfühlt.“

Die Selbsthilfegruppe „Angststörung“ möchte sich ab Herbst wieder alle 14 Tage in Wesel treffen.

Selbsthilfegruppe „Herzerkrankungen“

Angelika Golitz ist in diesem Sommer mit dem E-Bike von München an den Gardasee gefahren – und das, obwohl sie noch vor sieben Jahren der festen Überzeugung war, dass sie einen solchen Urlaub nie wieder machen könnte. „Nach meinem Herzinfarkt habe ich extreme Ängste entwickelt“, erzählt die Moerserin. „Ich habe mich nur noch ums Krankenhaus herum bewegt.“ Und manchmal schaffte sie nicht einmal mehr das. Sie traute sich kaum noch, alleine einkaufen zu gehen, zu groß war die Angst, erneut einen Herzinfarkt zu erleiden.

Angelika Golitz lädt zur Selbsthilfegruppe „Herzerkrankungen“ in Moers ein.
Angelika Golitz lädt zur Selbsthilfegruppe „Herzerkrankungen“ in Moers ein. © Golitz

Sie besuchte eine Selbsthilfegruppe, ging trotz ihres Ruhestands weiter arbeiten. Denn das war immer ihr Ziel: „Ich will mich nicht an mein neues Leben gewöhnen, ich will mein altes Leben zurück.“ Der Weg dorthin kostete viel Kraft, doch am Ende schaffte sie es. Gut, zwischendurch kommt schon noch mal die Panik, „aber ich kann jetzt viel besser damit umgehen“, sagt sie. Um anderen Menschen in einer ähnlichen Situation helfen zu können, rief sie die Selbsthilfegruppe „Herzerkrankungen“ ins Leben. Hier können Betroffene sich darüber austauschen, wie sie zurück in ihr neues, altes Leben finden können.

Die Selbsthilfegruppe „Herzerkrankungen“ trifft sich wieder in Moers, sobald sich genug Interessierte melden.

Selbsthilfegruppe „Sucht“

Arnold Dehnen war süchtig, dazu steht er: „Ich habe Alkohol in großen Mengen konsumiert.“ Bis er vor 22 Jahren sagte: „So geht es nicht mehr weiter.“ Er ließ sich in eine Entgiftungsklinik einweisen, blieb dort fünf Tage, und war danach trocken. Bis heute. Allerdings weiß er, dass es auch ganz anders laufen kann, „Rückfälle gehören fast immer dazu.“ Gerade in solchen Situationen ist es wichtig, mit anderen Betroffenen zu sprechen. Wieso habe ich wieder getrunken? Wie kann ich es beim nächsten Mal verhindern? „Niemand wird verteufelt“, hält er fest. „Wir bearbeiten das Thema gemeinsam.“

Arnold Dehnen ist Vorsitzender des ALOS Freundeskreises Moers-Schwafheim/Krefeld e.V.
Arnold Dehnen ist Vorsitzender des ALOS Freundeskreises Moers-Schwafheim/Krefeld e.V. © Dehnen

Obwohl viele Teilnehmende alkoholkrank sind, vertritt der ALOS Freundeskreis alle Süchte, von Cannabis- über Handy- bis hin zur Kaufsucht. Allerdings weiß der Duisburger auch, dass für viele Suchtkranke die Hürde groß ist, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen. „Die Stigmatisierung ist ein großes Thema“, sagt er. „Viele schämen sich für ihre Sucht.“ Deshalb stellt er regelmäßig in Krankenhäusern seine Arbeit vor, telefoniert vorab mit den Neuen und hat eine Willkommenskultur etabliert. Jeder und jedes Mitglied bekommt beim ersten Treffen eine Tasse, auf der geschrieben steht: „Schön, dass du da bist!“

In Moers treffen sich die Frauen- und Männergruppe des ALOS Freundeskreises am vierten Donnerstag des Monats um 18.40 Uhr in der Ev. Kirchengemeinde, Schwarzer Weg 15. In Krefeld kommt die allgemeine Gruppe immer montags um 19 Uhr in der Ev. Friedenskirche, Mariannenstraße 106, zusammen.

Selbsthilfegruppe „Darmerkrankungen“

Die Diagnose Darmkrebs war für Fritz Elmer ein Schock. Und sofort wirbelten unzählige Fragen in seinem Kopf umher: Was bedeutet ein künstlicher Darmausgang? Wie lässt es sich damit leben? Glücklicherweise konnte ihm seine Tante, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit 30 Jahren mit Stoma lebte, viele Antworten geben. „Und sie war froh, dass sie endlich mal mit jemandem darüber sprechen kann“, erinnert er sich. Eine echte Initialzündung. Denn plötzlich wurde ihm bewusst, wie wichtig der Informations-, aber auch der Gefühlsaustausch in einer solchen Situation ist.

Fritz Elmer ist Regionalsprecher der ILCO am Niederrhein.
Fritz Elmer ist Regionalsprecher der ILCO am Niederrhein. © Elmer

Mittlerweile bietet er gemeinsam mit seinem Team in sieben Kliniken Besuchsdienste vor und nach den OPs an, außerdem leitet er die Selbsthilfegruppen in Dinslaken und Wesel. „Ich sehe uns als Stammtisch mit ernstem Hintergrund“, erklärt er. Klar, das Handicap ist natürlich immer wieder Thema, Fragen dazu können jederzeit gestellt werden. „Aber viel wichtiger ist es doch, gute Laune zu verbreiten und den Menschen wieder zurück in den Alltag zu holen.“ Wie das klappen kann, zeigen übrigens auch mehrere Videos der ILCO: www.ilco-niederrhein.de.

Insgesamt gibt’s acht Selbsthilfegruppen der ILCO am Niederrhein. In Wesel trifft sich die Gruppe an jedem zweiten Dienstag in den ungeraden Monaten um 18 Uhr im Restaurant „Zum Bootshaus“, Am Yachthafen 7, in Dinslaken an jedem ersten Mittwoch um 15 Uhr in der AWO Begegnungsstätte, Ulmenstraße 17.