Kalkar. Wenn plötzlich der Papa oder die Mama stirbt, bricht für die Kinder eine Welt zusammen. Der Verein Herzenswunsch Niederrhein hilft in der Trauer.
Bis eben war im Leben des neunjährigen Jungen noch alles in Ordnung. Doch nun stehen Polizisten vor der Tür, fragen nach seiner Mama. Er muss ins Kinderzimmer, während die Erwachsenen reden. Als er wieder rauskommt, sieht Mama ganz anders aus. Unter Tränen sagt sie ihm, dass sein Papa einen Verkehrsunfall hatte, dass Papa nicht mehr wiederkommen wird. Und auf einmal ist alles anders.
Die Traurigkeit über den Tod des Papas kann dem Jungen niemand nehmen. „Wir sind keine Zauberer, die einfach die Trauer wegzaubern können“, sagt Bianca van Hardeveld. Doch als ehrenamtliche Kinder- und Jugendtrauerbegleiterin können sie und ihr Team auf andere Weise helfen. Wie, das verrät die neue Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins „Herzenswunsch Niederrhein e.V.“ im Gespräch.
Frau van Hardeveld, trauern Kinder anders als Erwachsene?
Ein klares Ja! Erwachsene müssen in Zeiten der Trauer ihr Leben weiter organisieren. Am Anfang geht es nur darum, zu überleben. Kinder dagegen trauern in Wellen. Sie sind in einem Moment ganz, ganz, ganz traurig, im nächsten Moment aber entdecken sie eine neue Barbiepuppe oder schaffen das nächste Level im Computerspiel und sind wieder glücklich. Das ist für Erwachsene dann meistens schwer zu verstehen.
Wird die Trauer von Kindern und Jugendlichen also unterschätzt?
Es ist immer noch ein Problem, dass Trauer selten in der Gesellschaft thematisiert wird. Viele Menschen haben Angst, damit umzugehen. Dabei reicht manchmal schon eine nette Geste.
Wie sollten sich Erwachsene denn trauernden Kindern und Jugendlichen gegenüber verhalten?
Kinder brauchen Normalität, einen Rahmen. Wenn also der Vater immer den Jungen zum Fußballtraining gebracht hat und die Mutter ohne Führerschein das nach dem Tod des Vaters nicht leisten kann, könnte zum Beispiel der Verein unterstützen und den Jungen abholen. Außerdem sollten sich Erwachsene nicht davon abschrecken lassen, wenn Kinder über den Tod sprechen. Gerade im Kindergarten kommt das vor, manche spielen sogar Beerdigung. Das klingt für uns makaber, aber so verarbeiten Kinder das Erlebte.
Wie unterstützt in einer solchen Trauerphase der Verein „Herzenswunsch“?
Wir helfen den Kindern und Jugendlichen, ihre eigene Trauer zu verstehen. Außerdem geht es darum, ihnen einen Ort anzubieten, wo die Trauer Raum und Zeit findet. Wenn ein Kind zuhause sagt, wie „doof“ es ist, dass der Papa tot ist, wie reagiert da die Mama? Sie fängt vielleicht an zu weinen und das Kind merkt, dass es lieber gar nicht erst über den Papa reden sollte. Bei uns können sie alles sagen, niemand zuckt zusammen oder fängt an zu weinen. Wir können auch ganz sachlich ihre Fragen beantworten. Und wenn sie wieder nach Hause gehen, machen sie die Tür hinter sich zu und lassen vielleicht die Trauer für eine Zeit hier.
Wieso sind Sie Kinder- und Jugendtrauerbegleiterin geworden?
Hauptberuflich arbeite ich im IT-Bereich und vor zehn Jahren sollte ich eine Software für einen ambulanten Hospizdienst mitentwickeln. Dazu musste ich durch ganz Deutschland reisen und bei den Besuchen hat mich etwas berührt, das mich nicht mehr losgelassen hat. Daraufhin habe ich eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin gemacht und das fand ich schon sehr erfüllend. Aber irgendetwas fehlte noch. Ich hing eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin für Kinder und Jugendliche dran und dabei haben wir uns einen Tag mit der Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Da wusste ich plötzlich, was ich gesucht hatte. Denn es gibt für trauernde Erwachsene viele Angebote, Trauercafés oder Trauergruppen, aber was ist mit den trauernden Kindern und Jugendlichen?
Und so sind Sie dann bei „Herzenswunsch“ gelandet?
Eine Zeit lang habe ich für die Malteser in Xanten gearbeitet, bis ich dann auf Reinhold Kohls gestoßen bin, der „Herzenswunsch“ zunächst als Hospizverein gegründet hatte. Die Trauerbegleitung war damals noch nicht Teil der Vereinsarbeit. Als wir uns zusammengesetzt haben, das war so vor sechs Jahren, habe ich ihn gefragt: Was hältst du davon, wenn wir auch eine Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche anbieten? Er ist ein totaler Visionär und fand die Idee sofort gut. Damit fing alles an.
Wie läuft eine Trauerbegleitung ab?
Wenn sich jemand bei uns meldet, das können auch Freunde oder Bekannte sein, vereinbaren wir erst einmal ein Kennenlerngespräch mit der Familie. Wir hören uns dann an, was passiert ist und wie das Netzwerk aussieht. Das ist ganz wichtig, denn wir helfen nicht nur bei der Trauerbegleitung, sondern auch bei den Formalitäten. Wir können also quasi den Tisch decken mit all dem, was möglich ist, und die Familie kann davon auswählen, was sie haben möchten. Danach fangen wir mit der Einzelbegleitung an und nach mindestens vier Treffen schauen wir, welche Angebote für das Kind oder den Jugendlichen in Frage kommen: zum Beispiel der Trommelworkshop, die Theatergruppe oder die Gruppentreffen.
Wie lange bleiben Kinder und Jugendliche normalerweise bei „Herzenswunsch“?
Viele kommen über Jahre zu uns. Das liegt vor allem daran, dass die Kinder und Jugendlichen alle etwas Ähnliches erlebt haben. Sie sind endlich mal nicht etwas Besonderes, denn das Besondere ist in diesem Fall etwas Negatives. Das merken sie wahnsinnig schnell, schon nach dem ersten Treffen sind sie integriert. Alle sind so sozial, das finde ich sehr berührend.
Kommen Sie manchmal während der Trauerbegleitung selbst an Ihre Grenzen?
Man darf sich die Geschichten der Menschen nicht zur eigenen machen, das habe ich in der Ausbildung gelernt. Aktuell aber habe ich einen Fall, bei dem zwei Kinder ihre Mutter verloren haben. Wir haben uns vier Mal gesehen, aber jetzt ziehen sie zu ihrem Vater ins Ausland. Ich werde also nicht den Verlauf der beiden sehen, damit muss ich erst einmal klarkommen. Normalerweise können die Kinder und Jugendlichen selbst entscheiden, wann sie uns nicht mehr brauchen, in diesem Fall ging das leider nicht.
Bei all der Traurigkeit, die das Thema unweigerlich mit sich bringt, gibt es auch schöne Momente?
Jede Menge. Wenn beispielsweise der Moment gekommen ist, dass uns die Kinder oder Jugendlichen ihr Vertrauen schenken und offen über das sprechen, was sie bewegt. Oder wenn uns die Eltern zurückmelden, dass sie merken, wie viel Kraft ihre Kinder für den Alltag bei uns sammeln können.
Haben Sie selbst einen Herzenswunsch?
Mein Herzenswunsch ist, dass die Menschen noch mehr Mut haben, in der Zeit der Trauer Unterstützung anzunehmen. Keiner braucht alleine zu sein.
>>> Die neue Vorsitzende des Vereins „Herzenswunsch“
Reinhold Kohls war fast 18 Jahre lang Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins „Herzenswunsch Niederrhein“. Zunächst handelte es sich dabei um einen Hospizverein, der todkranken Menschen ihren letzten Wunsch erfüllen wollte.
Bianca van Hardeveld hat Anfang des Jahres das Amt übernommen. Sie legt den Fokus der Vereinsarbeit nun auf die Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen. Die klassische „Herzenswunsch“-Arbeit haben die Johanniter-Sternstunden übernommen.
Die Trauergruppentreffen finden einmal im Monat statt. Für Kinder zwischen fünf und elf Jahren findet das Treffen von 16 bis 18 Uhr, für Jugendliche ab zwölf Jahren von 17.30 bis 19.30 Uhr statt. In der halbstündigen Überschneidung essen die Gruppen gemeinsam zu Abend.
Der Verein ist in den Räumen an der Wallstraße 10 in Kalkar untergebracht. Kontakt zu Bianca van Hardeveld: 0151/65625815