Goch. Pfarrerin Rahel Schaller lebt mit ihrer Frau im beschaulichen Goch. Ein Gespräch über Vielfalt und die Rolle der Frau in der Kirche.

Rahel Schaller schließt die schwere Tür auf und bittet hinein in die Evangelische Kirche am Gocher Markt. Sonnenstrahlen fallen durch die hohen Fenster, verwandeln den schlichten Innenraum in einen freundlichen Ort. Seit mittlerweile 19 Jahren steht die Pfarrerin hier regelmäßig vor der Gemeinde, hält Predigten oder spricht Gebete. „Es ist ein schöner, vielseitiger Beruf“, sagt sie. Dabei stand für sie nicht von Kindheit an fest, dass sie eben jenen Beruf einmal ausüben würde. Auch, wenn er ihr eigentlich in die Wiege gelegt wurde.

„Meine Eltern haben beide Theologie studiert“, erzählt Schaller. „Auch meine Mutter. Aber das war in einer Zeit, als Frauen nur Vikarin werden durften.“ Als Vikarin war es ihnen beispielsweise nicht erlaubt, eine Gemeinde zu leiten. „Und mit ihrer Heirat schieden sie sowieso aus der Kirchenarbeit aus.“ Erst seit 1975 sind in der Evangelischen Kirche im Rheinland (eKiR) Frauen und Männer im Pfarramt rechtlich vollkommen gleichgestellt, seit 1991 wird die Gleichstellung der Geschlechter verstärkt gefördert. „Ich weiß, dass ältere Kolleginnen richtige Kämpfe auszufechten hatten“, sagt die Pfarrerin.

Feministische Theologie im Studium

Schaller selbst entscheidet sich schließlich im Jahr 1986 für die Theologie, weil „Kirche immer eine Rolle in meinem Leben gespielt hat“. Und weil sie sich für das vielfältige Studium interessiert, die Gegenüberstellung von christlichem und jüdischem Glauben fasziniert sie besonders. Während ihrer Zeit an der Uni kommt sie immer wieder in Kontakt mit feministischer Theologie, beschäftigt sich zudem regelmäßig mit einer für sie wichtigen Frage: „Welche Rolle habe ich als Frau in der Kirche?“ Denn eines ist ihr bewusst: „Ich werde anders wahrgenommen als meine Kollegen.“

Pfarrerin Rahel Schaller in der evangelischen Kirche in Goch.
Pfarrerin Rahel Schaller in der evangelischen Kirche in Goch. © FFS | Kai Kitschenberg

Das zeigt sich beispielsweise in der Frage, ob Schaller als Frau wirklich eine Gemeinde leiten könne. Aber auch in der Annahme, sie sei einfühlsamer als ein Mann. Als sie im Jahr 2002, nach ihrem Studium und Vikariat, nach Goch zieht, bekommt sie nur selten Vorurteile zu spüren. Auch, dass sie mit einer Frau zusammen lebt, sei für „fast alle okay“. Über die Jahre erarbeitet sie sich dann endgültig „ihren Stand“, wie sie erklärt. Das Thema Feminismus aber verschwindet nie ganz aus ihrem Leben, obwohl sie selbst über sich sagt: „Ich presche nicht vor, sondern mache das eher untergründig.“

Gendergerechte Sprache

Dazu gehört auch, auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei den Presbyterinnen und Presbytern zu achten. „Mir ist es wichtig, dass eine Vielfalt widergespiegelt wird“, sagt sie. Und damit sich eine solche Vielfalt auch in Führungspositionen zeigt, müsse sich bereits bei der Kindererziehung einiges ändern: „Wenn Jungen mehr zugetraut wird als Mädchen, macht das etwas mit einem.“ Vorurteile abbauen, Vielfalt wahrnehmen und sich gerade als Frau mehr zutrauen, das spielt in ihrem Amt als Pfarrerin immer eine Rolle.

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Manchmal aber reicht Schaller die „untergründige“ Arbeit in Sachen Feminismus nicht. Sie erinnert sich da an ein Gespräch mit Frauen, die sich selbst als „Presbyter“ bezeichnen. Dass sich die Frauen auch durch die männliche Form angesprochen fühlen, ist für sie unverständlich: „In solchen Situationen diskutiere ich dann auch richtig mit ihnen.“ Sprache schafft Wirklichkeit, das hat schon der Philosoph Ludwig Wittgenstein festgehalten. Und auch die Pfarrerin betont mit Blick auf geschlechtergerechte Sprache: „Nur so werde ich auch als Frau wahrgenommen.“

Gott mit oder ohne Gendersternchen?

Doch wie steht es um die meist männlichen Gottesnamen? „Da bin ich vielleicht eher konservativ“, sagt Schaller und lacht. Gott mit Gendersternchen, also G*tt, findet sie zwar in der Theorie sinnvoll. „Aber in einem Gottesdienst kann ich den Namen schlicht nicht aussprechen.“ Deshalb redet sie oft einfach von „Gott“, versucht aber zwischendurch auch Gottesnamen wie „Freundin des Lebens“ zu nutzen. „Eine gewisse Irritation finde ich gut, aber es braucht auch etwas Vertrautes“, hält sie fest.

Den Menschen Vertrauen und Halt geben, das war Schaller schon immer wichtig. „Ich will für sie da sein“, sagt sie. „Und ein Stück weit das machen, was meine Mutter nicht machen konnte.“ Wie sehr ihre Arbeit fruchtet, hat sich erst vor wenigen Wochen wieder gezeigt. Als eine junge Frau aus Goch in den Sozialen Medien über das Thema „Queer auf dem Land“ geschrieben hat. Für sie sei die Pfarrerin aus ihrer Heimatstadt ein Vorbild gewesen, weil sie ihre Homosexualität immer selbstverständlich gelebt habe. „Und genauso ist es mit mir als Frau im Pfarramt“, sagt Schaller. „Das lebe ich ebenso selbstverständlich.“

>>> Gocher Pfarrerin als Vorreiterin

Eine der ersten Pfarrerinnen Deutschlands kommt aus Goch. Ilse Härter (1912 geboren in Asperden und 2012 in Moyland gestorben) verweigerte 1939 ihre Einsegnung als Vikarin, weil die Ordination Männern vorbehalten bleiben sollte.

Als Pfarramtsverwalterin erreichte sie 1943 jedoch, dass sie gemeinsam mit Hannelotte Reiffen in Sachsenhausen ordiniert wurde. Diese waren die ersten und für lange Zeit die einzigen vollgültigen Ordinationen von Frauen in Deutschland.

Mittlerweile werden mehr Frauen zu Pfarrerinnen als Männer zu Pfarrern ausgebildet, wie Pfarrerin Rahel Schaller weiß. Woran das liegt? „Vielleicht am Relevanzverlust der Kirche“, so ihre ernüchternde Antwort. „Das war das Gleiche mit dem Lehrerberuf. Früher war er gesellschaftlich höher angesehen und es gab mehr Lehrer als Lehrerinnen. Heute arbeiten vor allem in der Grundschule kaum noch Männer.“