Haldern. Vor einem Jahr machte das Land dicht - wegen Corona. Wir haben geschaut, was das Jahr mit den Menschen gemacht hat. In Haldern, 5500 Einwohner.

Das 5500-Einwohnerdorf scheint ein Faible für Musik zu haben. Chöre (na, klar), der Spielmannszug der Schützen wird nächstes Jahr 100 Jahre, es gibt eine Musikschule des Kreises Kleve, die „Haldern Strings“, ein Tonstudio. Und schon ein sonst im Land vergessener Marschkönig hat vor hundert Jahren das Dorf besungen:

„Was die alten Linden rauschen,
mir ins frohe Herz hinein;
Immer wieder möcht’ ich lauschen,
Lindendorf am Niederrhein“

So lautet die erste Strophe des Haldern-Liedes von Hermann-Josef Blankenburg. Wir haben auch gelauscht, bei Haldernern, wie sie das Corona-Jahr erlebt haben. Heute besuchen wir das Haus St. Marien.

Seit letzter Woche ist hier die Luftwaffe im Einsatz – obwohl niemand höher rauskommt als in den dritten Stock. Zwei Soldaten sind Abstrichsbevollmächtigte in St. Marien – kein Altenheim, sondern ein Haus fürs „gepflegt leben“. Die Soldaten machen bei jedem, der ins Haus kommt, einen Schnelltest, genauso bei 130 Mitarbeitern, jeden zweiten Tag.

Damit auch ein Jahr nach Beginn des Lockdowns um Gottes Willen die Serie hält, die da heißt: Nicht ein einziger Coronafall in der Einrichtung, in der 105 Bewohner leben, zwischen 50 und etwas über 100 Jahren alt. „Wir haben uns auch sehr angestrengt“, sagt Dagmar Freericks. „Seit Beginn der Corona-Krise sind wir alle um zehn Jahre gealtert.“Dass das Marienhaus schon vorher aufgeteilt war in acht Wohneinheiten mit eigener Küche für je neun bis elf Bewohner, hat es leichter gemacht.

Kurz vor dem Muttertag musste schnell improvisiert werden

Dennoch ist vor allem verloren gegangen, wofür Mechthild Kitzinger im Rahmen eines NRW-Pilotprojektes eingestellt wurde: Die Einbindung der Pflegeeinrichtung ins Dorf hinein verbessern, einen Mittagstisch anbieten für alle Menschen im Dorf, gemeinsame Angebote zum Basteln, Singen, Klönen. Alles das, was vorher auch in der Einrichtung gang und gäbe war: Ausflüge mit dem Rheinschiff, Akkordeonnachmittag, Gymnastik – nur im Spätsommer und Herbst konnte ein wenig davon aufleben.

„Letztes Jahr zum Muttertag mussten wir in kürzester Zeit wieder Besuche möglich machen. Mehr als 60 Besucherinnen und Besucher wollten kommen“, erzählt Dagmar Freericks. Gartenstühle beschaffen, Außenbereiche anlegen – sie haben es möglich gemacht, dass die Senioren im Haus endlich wieder Besuch bekommen konnten.

Doch abgerissen sind die Kontakte der Bewohner zu ihren Familien nie. „Unsere Azubis hatten ohnehin ein Ausbildungsprojekt mit einer App, über die sich datensicher Bilder tauschen lassen.“ Über diese elektronische Krücke konnten die Marienhaus-Bewohner auch während der harten Lockdown-Phase zumindest Bildergrüße schicken. Viele sind jetzt handyfit.

Mittlerweile sind alle geimpft - MItarbeiter und Bewohner

Manches allerdings lässt sich nicht nachholen. Was für ein Gefühl muss es sein, sich jahrelang gemeinsam mit seinem Lebenspartner auf die Goldene Hochzeit gefreut zu haben – auf ein gemeinsames Fest mit der ganzen Familie… und dann zerplatzt dieser Traum. Wird vertagt und die bange Frage ist: Wie viele gemeinsame Hochzeitstage werden wir noch haben?

Eines will das Team dann doch betonen: „Hier bei uns ist keiner einsam und allein gestorben“. Sterbebegleitung habe das Haus immer möglich gemacht – das gehöre sich so für ein christliches Haus. Mittlerweile gibt es wieder begleitete Spaziergänge: Auch die ältesten Halderner bekommen wieder ein wenig mit vom Leben um den Kirchturm und unter den Linden. Dass mittlerweile alle ihre Impfungen bekommen haben, macht die kleine Welt deutlich sicherer. Wer tüchtig ist, verlässt sich nicht auf sein Glück.

Lesen Sie hier die weiteren Folgen aus der Serie „Lockdown auf dem Land":